Trotz Themenhoppings hielten die Konkurrenten um den Einzug in den niedersächsischen Landtag ihren Blutdruck unter Kontrolle.

Hannover. Sie haben die Konfrontation nicht wirklich gesucht und folgerichtig auch nicht gefunden. Eine Stunde lang stritten der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) und sein SPD-Herausforderer Stephan Weil gestern Abend vor den Kameras im NDR Fernsehen gesittet darüber, was gut ist für Niedersachsen - und waren sich dabei angemessen uneins.

ARD und ZDF haben mit der Veröffentlichung neuer Umfragen gestern alles dafür getan, dass die Kandidaten sich zurückhielten und kein Risiko eingingen bei diesem einzigen TV-Duell vor der Landtagswahl am 20. Januar. Rot-Grün nämlich liegt nach Einschätzung der Demoskopen beider Sender weiter vorn, aber Schwarz-Gelb rückt näher heran - auch deshalb, weil die FDP erstmals seit Jahresfrist wieder die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Das ist weder für die eine noch die andere Seite die Zeit für einen Befreiungsschlag: Schließlich kann ein einziger gründlich missglückter Auftritt im einzigen TV-Duell, wie Richard Hilmer - Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap - dem Abendblatt erläuterte, angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens den Ausschlag geben: "Sieht Weil schlecht aus, kann das für Rot-Grün kippen. Schwächelt McAllister, dann hat Rot-Grün beste Chancen."

Hilmer muss es wissen, er fühlt als Chef des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des NDR so regelmäßig an dem Meinungspuls der Niedersachsen wie kein anderer Demoskop. Und die Ergebnisse seiner Umfragen geben bis heute beiden Seiten Rätsel auf: Es gibt keine echte Wechselstimmung, aber eine Vorliebe für Rot-Grün und sogar Schwarz-Rot weit vor einer Fortsetzung der CDU-FDP-Koalition.

Blutdruck und Wortfluss unter Kontrolle

Im Messestudio des NDR in Hannover waren deshalb während des einstündigen Duells beide Kontrahenten bemüht, den eigenen Blutdruck wie Wortfluss unter Kontrolle zu halten. Rote Köpfe gab es nur wegen der wärmenden Scheinwerfer aber nicht im Eifer des Wortgefechts. Da war keine Frage, die nicht vorgedacht und keine Antwort, die nicht vorformuliert gesessen hätte.

Wirklich überraschend war das alles nicht - und das liegt nicht nur an den Umfragedaten: Weder Amtsinhaber David McAllister (CDU) noch sein SPD-Herausforderer Stephan Weil haben sich in den vergangenen Monaten mit Brandreden oder verbalen Rundumschlägen positioniert. Beide lassen sich vielmehr von ihren Parteien als Sympathieträger inszenieren, es wird beständig um die Wette gelächelt. Und auch gestern Abend war das nicht anders - außer die Kandidaten fühlten sich unbeobachtet von einer Kamera.

Dafür haben beide tüchtig im stillen Kämmerlein mit den jeweiligen Medienberatern geübt, arbeiteten regelrechte Stichwortlisten ab, inklusive der erwartbaren gegenseitigen Sticheleien. Würde Weil sich auch von den Linken den Weg zur Macht ebnen lassen? Er umgeht diese Miniattacke. Schaut McAllister etwa tatenlos zu, wie die Arbeitsplätze bei den SIAG Nordseewerken in Emden den Bach hinuntergehen - aber nein, die Landesregierung tut, was sie kann.

Mehr als ein Duell wollte McAllister dem Herausforderer verständlicherweise nicht gönnen, NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz hetzte also durch die 60 Minuten bei dem Versuch, möglichst viele Politikbereiche abzudecken. Dieses Themenhopping wiederum ist das Spiegelbild eines Wahlkampfes, in dem beide Lager mangels des einen polarisierenden Themas mit einem Bauchladen an Argumenten und Emotionen über die Lande ziehen, um es möglichst vielen potenziellen Wählern recht zu machen. Moderator Cichowicz gibt sein Bestes, aber es reicht nicht, um die Kandidaten aus der Reserve zu locken. Auch McAllister ist selbstverständlich für moderate Strompreiserhöhungen - und SPD-Mann Weil dafür, dass der Bund endlich Nägel mit Köpfen macht bei der Energiewende.

McAllisters Vorsprung schrumpft

In allen Umfragen liegt McAllister bei Bekanntheit und Beliebtheit weit vor Weil, aber der Vorsprung schrumpft im Wahlkampf. Das Fernsehduell nützt also dem Herausforderer mehr, solange es keinen klaren Punktsieger gibt. Weil lächelt deshalb im Verlauf der Sendung immer häufiger, auch er hat die Lektion der Medientrainer gelernt und agiert auf Augenhöhe - allein darauf kommt es für ihn und die SPD an.

Am Ende, das Los hat dies entschieden, dürfen beide Kontrahenten sich dann endlich vom Moderator ab- und den potenziellen Wählern direkt zuwenden. Sie preisen Niedersachsen als schönes Land und bitten freundlich und ernst darum, auf alle Fälle CDU respektive SPD zu wählen. Ein bisschen macht es den Eindruck, beide Männer seien froh, es hinter sich zu haben.

Ob nun ARD oder ZDF - für beide Sender haben die Demoskopen fast auf den Prozentpunkt gleich ermittelt, dass mehr als 40 Prozent der Wähler noch nicht wissen, ob sie überhaupt wählen gehen. Vielleicht schafft ja die Linke wie vor fünf Jahren die Überraschung und zieht entgegen den Prognosen der Demoskopen wieder in den Landtag ein. Dann könnte sich bezahlt machen, dass Weil hier gestern Abend in Kauf genommen hat, schlecht auszusehen.