Bis zu neun Euro in der Stunde zahlt Landwirt Löscher den Erntehelfern. Seine Arbeitskräfte aus Osteuropa kommen immer wieder gern.

Winsen/Luhe. Wie große weiße Wattebäusche ziehen die Wolken am blauen Himmel, der Wind bläst stark an diesem Morgen und lässt die endlos langen Kunststoffbahnen über dem Spargelfeld flattern. "Mit dem schwarzen, wärmenden Material beschleunigen wir die Ernte", sagt Herbert Löscher und weist auf die Planen, die sich wie eine Decke über die Erdwälle schmiegen. "Mit den weißen zögern wir sie hinaus, sodass wir auch am Ende der Saison noch Ware anbieten können." Herbert Löscher ist der größte Spargelbauer im Landkreis Harburg, seine Felder bedecken 35 Hektar Land südlich von Hamburg. Sein Betrieb hat eine lange Tradition, das Bauernhaus am Elbdeich ist seit 1783 in Familienbesitz.

Der 60-Jährige blickt über die braunen Erdwälle und nimmt eine Spargelstange in die Hand, sie schimmert rosa. "Wenn wir nicht schnell genug ernten, verfärben sich die Stangen und bringen nur einen Bruchteil des Preises", sagt der Bauer und meint mit "wir" sein wichtigstes Kapital, seine Erntehelfer. Doch die Zeiten, als im einstigen Agrarland Deutschland die Landwirte zu den wichtigsten Arbeitgebern gehörten, sind lange vorbei.

Auf Löschers Feldern arbeiten ausschließlich Polen und Rumänen. Tischler, Lehrer, sogar ein Pastor gehören zur Belegschaft: Selbst gut ausgebildete Osteuropäer zieht es in den Sommermonaten nach Deutschland, weil ihre Heimatländer schwer unter der Wirtschaftskrise leiden. Zu Hause bleiben ihnen kaum noch Möglichkeiten, genug Geld zu verdienen.

Deutsche Erntehelfer findet man auf den Spargelfeldern rund um Hamburg praktisch gar nicht mehr, eine Quote wie vor einigen Jahren hat kein Landwirt mehr zu erfüllen. Und in der Regel sind die Helfer aus dem Ausland auch einfach zuverlässiger und fleißiger. Wenn die deutschen Arbeiter früher am Freitag auf ein freies Wochenende pochten, ernteten sie von den Kollegen aus dem Osten nur ein Kopfschütteln: Die Gastarbeiter sind fürs Geldverdienen an die Elbe gekommen und arbeiten sieben Tage die Woche durch, auch wenn es in Strömen regnet oder der Rücken schmerzt.

So wie Marcin Grotkiewicz, 38, ein Mann mit braunem Haar und lausbübischem Lächeln aus der Nähe von Krakau. Schon seine Eltern kamen her, um in den Sommerferien auf Löschers Hof etwas dazuzuverdienen. Für den Sohn ist Deutschland bereits zur zweiten Heimat geworden, schon seit Jahren erntet auch er für Löscher. Aber inzwischen ist aus dem willkommenen Zubrot für den Familienvater eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden. "Ich verdiene als Tischler in Polen nur noch gut 200 Euro im Monat, allein Miete, Heizung und andere Nebenkosten verschlingen aber 400 Euro", sagt Grotkiewicz. Für Lebensmittel, Benzin oder Elektrogeräte müssen die Menschen in Krakau oder Stettin genauso viel bezahlen wie in Deutschland, trotz des niedrigeren Lohnniveaus.

"Sobald unsere Helfer hier ankommen, gebe ich ihnen einen Vorschuss, und den schicken die meisten erst mal nach Hause", sagt Löscher. Er zahlt 6,50 Euro die Stunde, bei Akkordarbeit steigt der Verdienst auf neun Euro. In diesem Jahr beschäftigt der Landwirt 50 Erntehelfer aus Polen und Rumänien, dazu kommen zur Erdbeerzeit noch einmal 120 weitere Gastarbeiter.

Auch wenn Löschers Bedarf als einer der wichtigsten Gemüse- und Obstbauern der Region groß ist - das Angebot an Arbeitskräften aus dem Osten übertrifft die Nachfrage bei Weitem. Das war längst nicht immer so, denn in den vergangenen Jahren waren etliche Gastarbeiter nach Großbritannien gegangen, wo das Lohnniveau auch wegen der Wechselkurse höher war. Nun aber sind wegen der Finanzturbulenzen auch dort die Zeiten schlechter, der schwächelnde Inselstaat spült die Erntehelfer zurück nach Deutschland, dem Land, das immer noch einigermaßen krisenfest zu sein scheint.

Zu der Wanderbewegung beigetragen hat aber auch eine neue Freizügigkeit: Für Polen brauchen deutsche Landwirte nicht einmal mehr eine Genehmigung von der Agentur für Arbeit. Für Rumänen gilt zwar erst von 2014 an die Freizügigkeit in der Europäischen Union bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Aber auch für Erntehelfer aus dem Land am Schwarzen Meer greift seit Kurzem eine unbürokratische Regelung: Sie dürfen als Saisonarbeiter sechs Monate im Jahr in Deutschland arbeiten, ohne Formalitäten. "Alte Kontakte werden nun sehr viel direkter gepflegt, weitere Familienmitglieder helfen auf deutschen Feldern", sagt Knut Böhrnsen, Sprecher der Agentur für Arbeit in Hamburg. Längst haben sich auch private Vermittler darauf spezialisiert, die Frauen und Männer aus ihren Heimatdörfern in den Karpaten oder der Walachei mit Bussen auf Felder zwischen Flensburg und Passau zu bringen. "Ich verzichte aber darauf und setze auf mein eigenes Netzwerk", sagt Löscher. Schließlich behalten die Vermittler einen Teil des Lohns der Arbeiter und lassen sich die oft mehr als 30-stündige Reise teuer bezahlen.

Auch Claudia Tarata aus Rumänien ist für vier Monate zu Herbert Löscher gekommen und wohnt gemeinsam mit den anderen Feldarbeitern in einem Wohncontainer. Daheim hat sie in einer Apotheke gearbeitet, für ein paar Euro mehr half sie zuletzt als Bedienung in einem Restaurant in München. "Jetzt ist das hier schon fast wie mein Zuhause", sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und schaut in die Runde der Spargelhelfer, die sich hin und wieder auch ein wenig Heimat in die Fremde holen: Unter den Erntehelfern auf dem Hof Löscher ist auch ein rumänischer Pastor. Er hat es sich nicht nehmen lassen, gemeinsam mit den anderen Feldarbeitern in Winsen an der Luhe eine provisorische, rumänisch-orthodoxe Ostermesse zu feiern.