Mutmaßlicher Täter David H. hatte sich wegen Besitzes von Kinderpornos selbst angezeigt. Doch Gerichtsbeschluss blieb liegen.

Emden/Osnabrück. Würde die kleine Lena noch leben, wenn die Polizei schneller reagiert hätte?

Drei Tage nach der Verhaftung von David H., 18, wurde in Emden eine unfassbare Polzeipanne bekannt : Der mutmaßliche Mörder des elf Jahre alten Mädchens hatte sich im November 2011 bei der Polizei wegen Besitzes von Kinderpornos selbst angezeigt - und blieb unbehelligt.

Friedo de Vries, der stellvertretende Osnabrücker Polizeichef, zeigte sich betroffen und räumte am Dienstag auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz einen "unverzeihlichen" Fehler ein: "Der 18-Jährige hat damals angegeben, dass er Fotos von einem unbekleideten Kind aufgenommen und kinderpornografisches Material gesammelt habe. Er wolle seine pädophile Neigung aber aktiv bekämpfen und befinde sich bereits in fachlicher Betreuung." Der junge Mann habe einen "Schlusspunkt unter dieses Kapitel" setzen wollen.

Nach der Selbstanzeige wurde der Vorgang von der Polizeikommission Emden an die Polizeiinspektion Aurich/Wittmund weitergeleitet, die wiederum die für derartige Delikte zuständige Staatsanwaltschaft in Hannover einschaltete. Diese erwirkte laut de Vries am 30. Dezember 2011 einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Einzimmerwohnung von David H. in Emden, der jedoch bis zu seiner Festnahme am vergangenen Sonnabend nicht vollstreckt wurde.

+++ Schünemann kündigt Konsequenzen im Fall Lena an +++

Wie es dazu kommen konnte, soll nun ein internes Ermittlungsverfahren klären. Über mögliche Konsequenzen innerhalb der Polizei, so de Vries, könne noch nichts gesagt werden, das Verfahren laufe erst seit Dienstag. Die Emder Mordkommission "Parkhaus" sei von den Vorwürfen nicht betroffen.

Die für Kinderpornografie zuständige Staatsanwaltschaft Hannover beteuert rasches Handeln. Es sei "schnell und zügig alles Nötige veranlasst" worden, sagte Staatsanwältin Kathrin Söfker gestern. Die Akten aus Aurich seien am 9. Dezember 2011 eingegangen, am 14. Dezember wurde der Durchsuchungsbeschluss beantragt und sechs Tage später erlassen. Am 21. Dezember sei dieser nach Aurich gesendet worden und soll dort am 30. Dezember angekommen sein.

Die Polizei hätte angeblich schon im September 2011 auf David H. aufmerksam werden können. Sein Stiefvater hatte ihn nach Informationen der RTL-Sendung "Explosiv" angezeigt, weil er auf dessen Computer-Festplatte Kinderpornos entdeckt hatte. Doch die Behörden seien untätig geblieben, sagte der Mann dem TV-Sender.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forderte gestern Abend in Hannover eine umfassende Untersuchung. "Es muss lückenlos aufgeklärt werden, warum es offensichtlich bei der Polizeiinspektion Aurich/Wittmund nach der Einleitung eines Verfahrens zu einer schleppenden Sachbearbeitung durch einzelne Ermittlungsbeamte gekommen ist."

Rudolf Egg, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle von Bund und Ländern, erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. "Im Interesse des Opferschutzes kann man so jemanden nicht einfach gehen lassen, wenn er schon freiwillig zur Polizei kommt", sagte er in den ARD-"Tagesthemen".

Der 18-jährige David H. soll die kleine Lena, die mit einem gleichaltrigen Freund auf dem Fahrrad zum Entenfüttern in die Emder Wallanlagen gefahren war, am 24. März in einem Parkhaus in der Innenstadt getötet haben. Die Polizei geht von einem Sexualverbrechen aus. Der Täter sei durch DNA-Spuren eindeutig überführt. Den Mord hat der Schüler gestanden, den Missbrauch bestreitet er, beruft sich auf "Gedächtnislücken". Heute sollen Polizeitaucher im Umkreis des Tatorts eingesetzt werden, um mögliche Beweise in Gewässern zu suchen. David H. wird außerdem der versuchten Vergewaltigung einer Joggerin - ebenfalls in den Wallanlagen - im November verdächtigt und dreier Einbruchsdiebstähle in Krummhörn nahe Emden. In einem Fall wurde auch dort Genmaterial des Täters gefunden.

Unklar ist noch, wie Lena starb. Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung wurde das Mädchen erstochen. Der Körper soll laut Obduktion "mehrere Stichverletzungen" aufweisen. Die Polizei hält Details und Angaben zur Tatwaffe bisher geheim, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.