Die Polizei hat einen 18-Jährigen als Täter im Emder Fall präsentiert. Der unschuldig verdächtigte 17-Jährige bekommt 50 Euro Entschädigung.

Emden. Die Bilder glichen sich. Ein junger Mann in Handschellen wird von mehreren Polizisten abgeführt. Seinen Kopf hält er unter einer schwarzen Jacke versteckt. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage haben die Ermittler der Sonderkommission "Parkhaus" einen Tatverdächtigen im Fall der missbrauchten und getöteten Lena präsentiert. Doch während erst am Freitag ein 17-jähriger Berufsschüler aus der Untersuchungshaft wieder entlassen werden musste, weil die Beweise vom Tatort die Indizien der Ermittler nicht stützten, sind sich die Beamten der Mordkommission diesmal sicher. Außerdem glauben sie, dass der am Sonntag verhaftete 18-Jährige auch für eine weitere sexuell motivierte Tat vom November verantwortlich sein könnte.

Es sind - neben dem bereits erfolgten Teilgeständnis - die DNA-Spuren vom Tatort , die den 17-Jährigen entlasteten und den 18-Jährigen belasten. Der Jugendliche stehe unter dringendem Tatverdacht des Mordes, erklärte Werner Brandt, der Leiter der 40 Personen starken Mordkommission, auf der am Sonntagnachmittag eigens einberufenen Pressekonferenz.

Nach seiner vorläufigen Festnahme am Sonnabend habe der junge Mann freiwillig einer Speichelprobe zugestimmt. Die Probe sei dann unmittelbar im Landeskriminalamt in Hannover untersucht und mit den Spuren vom Tatort abgeglichen worden. Bereits am Sonnabendnachmittag sei klar gewesen, dass der 18-Jährige der "Spurenverursacher" ist. Einen Tag später habe ein Haftrichter am Amtsgericht Haftbefehl erlassen. Derzeit befinde sich der Tatverdächtige in einer Justizvollzugsanstalt, die "für Jugendliche geeignet ist". Die neue Festnahme beruhe nicht nur auf Indizien, "sondern auch auf klaren, handfesten Beweisen", ergänzte der Leiter der Auricher Staatsanwaltschaft, Bernard Südbeck.

Es waren wohl in erster Linie die Aussagen zweier Zeuginnen, die die Ermittler auf die Spur des jetzt Verhafteten führten. Ihnen war der 18-Jährige aufgrund seines ungewöhnlichen Verhaltens in der Nähe des Parkhauses aufgefallen, in dem die elfjährige Lena vor mehr als einer Woche leblos aufgefunden wurde. Nach den Beschreibungen der beiden Frauen wurde eine Phantomzeichnung angefertigt, die große Übereinstimmung mit den Videoaufnahmen aus dem Parkhaus gezeigt habe, so die Polizei. Am "sehr frühen" Sonnabendvormittag sei der 18-Jährige dann in seiner Wohnung in Emden festgenommen worden. Bei der anschließenden Durchsuchung habe die Polizei auch mehrere Gegenstände sichergestellt. Ob darunter auch die Tatwaffe ist, werde untersucht, sagte Brandt.

Bei seiner ersten Vernehmung soll der junge Mann eine Beteiligung an der Tat noch abgestritten haben. Später räumte er laut Polizei aber ein, Lena getötet zu haben. Bei Fragen zu Einzelheiten berufe er sich allerdings auf Erinnerungslücken. Wie aus dem Geständnis hervorgeht, muss der 18-Jährige in unmittelbarer Nähe des City-Parkhauses am Wasserturm auf die Elfjährige und ihren gleichaltrigen Begleiter getroffen sein. Später sei Lena dem jungen Mann vermutlich freiwillig ins Parkhaus gefolgt, gekannt hätten sich beide nicht, sagte der Chef der Mordkommission.

+++ Die Pressekonferenz zum Nachlesen im Liveticker +++

Der 18-Jährige soll laut Polizei die Extremklettersportart Parkour betrieben und regelmäßig in dem Emder Parkhaus geübt haben. Deshalb kannte er sich gut in dem Gebäude aus. Wie das Mädchen zu Tode kam, ließ Brandt offen. Auch zum Motiv des Mannes äußerte sich die Polizei nicht.

Auf Erinnerungslücken beruft sich der 18-Jährige auch in Bezug auf eine zweite Tat, die ihm jetzt zur Last gelegt wird. Im November vergangenen Jahres soll er versucht haben, eine Joggerin zu vergewaltigen. Auch dies habe ein Abgleich mit der DNA-Datenbank ergeben. Die Frau hatte dem Täter damals entkommen können. Und nach einem Bericht der "Bild am Sonntag" soll er schon ein Jahr zuvor, im Herbst 2010, zusammen mit anderen Jugendlichen wegen Sachbeschädigungen in dem Parkhaus auffällig geworden sein.

Auf das zu erwartende Strafmaß angesprochen, sagte Oberstaatsanwalt Südbeck: Weil der Tatverdächtige ein Heranwachsender sei, müsse im Falle einer Anklage in der Hauptverhandlung geklärt werden, ob er nach dem Jugend- oder dem Erwachsenenstrafrecht behandelt werde. Sollte er einem Erwachsenen gleichgestellt werden, drohe ihm bei einer Verurteilung wegen Mordes eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Das Jugendstrafrecht sehe eine Höchststrafe von zehn Jahren vor.

+++ Kommentar: Keine Chance der Wut in Emden +++

Südbeck resümierte, die Ermittler könnten auf diesen Ermittlungserfolg stolz sein. Gleichzeitig kritisierte er, dass der Name des Verdächtigen - wie schon bei der ersten Festnahme - bereits im Internet kursiere. Die Polizei werde dies energisch verfolgen. Er verteidigte die Arbeit der Ermittler, die in den vergangenen Tagen wegen ihres Umgangs mit dem ersten Tatverdächtigen in die Kritik geraten waren. Sie sollen den Jugendlichen unter anderem in Handschellen präsentiert und damit das Prinzip der Unschuldsvermutung verletzt haben. "Die Festnahme des 17-Jährigen ist in der Rückschau als bedauerlich anzusehen", sagte er. Der junge Mann habe sich allerdings in Widersprüche verwickelt und falsche Angaben zu seinem Alibi gemacht. So sei ein dringender Tatverdacht entstanden. "Wir mussten uns innerhalb von zwei Tagen entscheiden, ob wir einen Haftbefehl beantragen oder ob wir einen dringend Tatverdächtigen wieder auf freien Fuß setzen."

Als Unschuldiger, der zwei Tage in Untersuchungshaft gesessen hat, habe der 17-Jährige Anspruch auf Schadenersatz. Der Satz liege bei 25 Euro pro Tag. Hinzu könnten weitere Entschädigungen kommen, etwa um Verdienstausfälle auszugleichen.

Laut Polizei wurde der junge Mann in den vergangenen Tagen an einem geheimen Ort intensiv betreut. Der Anwalt der Familie, Ralf Giese, äußerte sich in der "Bild am Sonntag": "Die ganze Familie ist völlig durch den Wind. Allein die Verhaftung war für ihn schon eine schwere psychische Belastung, die ihm sehr zu schaffen macht."