Mordfall Lena: Wer Hass sät, muss bestraft werden

Der Mord an der elfjährigen Lena in Emden trifft ins Herz der Menschen. Auf erschreckende Weise sind wir alle betroffen. Die schlimme Erkenntnis: Das hätte auch in meiner Familie, in meiner Nachbarschaft geschehen können - ein Sexualverbrechen am helllichten Tag, mitten in einer Heile-Welt-Kleinstadtidylle. Da schlägt Ohnmacht schnell in Wut um. Die hat auch der 17-jährige Berufsschüler zu spüren bekommen, der drei Tage lang als Verdächtiger galt. Inzwischen ist der junge Mann selbst ein Opfer, denn Polizei und Staatsanwalt sind sicher: Er scheidet als Täter aus.

Ein solcher Rückzieher ist nichts Ungewöhnliches in einem Fahndungsfall, der unter höchstem öffentlichen Druck steht und auf schnelle Erfolge zielt - auch verstärkt durch den Druck der Medien. Aber durfte die Polizei bei ihrer Sisyphusarbeit, potenzielle Zeugen zu finden, auch das Internet nutzen? Ja, denn das vor allem bei Jugendlichen beliebte Medium mit seinen Netzwerken außen vor zu lassen, wäre fahrlässig bei der Suche nach dem Täter. Das Video mit einem Verdächtigen in Tatortnähe auf diesem Wege zu verbreiten, ist eine Chance, die nicht vertan werden darf.

Doch die schlimmen Online-Reaktionen in Emden müssen Bürger und Gesetzeshüter aufrütteln: Das Internet darf nicht zum rechtsfreien Raum verkommen, in dem außer Rand und Band geratene Bürger in Wildwestmanier zur Lynchjustiz aufrufen. Wer, wie in Emden, Namen und Adresse des unter Verdacht Geratenen publik macht, muss bestraft werden. Gerade weil die Polizei das Internet für ihre Zwecke nutzt, ist sie verpflichtet, genau hinzusehen, wenn durchgeknallte Online-Nutzer zu Straftaten aufrufen oder persönliche Daten im Netz veröffentlichen.

Noch erschreckender ist das Bild, das die 50 aufgebrachten Bürger abgaben, von denen einige die ganze Nacht vor dem Emder Polizeihaus ausharrten. Zeugen berichteten von Rufen wie "Hängt ihn auf, steinigt ihn". Solche Szenen sind ein Armutszeugnis für ein zivilisiertes Land mit seiner leidvollen Geschichte. Wut rechtfertigt nicht, den Rechtsstaat mit Füßen zu treten. Deren Bestrafung sollte auf dem Fuß folgen.