Neulinge im Gremium der Hansestadt Lüneburg kennen aber die Geschäftsordnung noch nicht - 26 Paragrafen sind zu studieren.

Lüneburg. Tobias Ginschel wird am Donnerstag, 6. Oktober, zum ersten Mal in seinem Leben eine Sitzung des Rats der Hansestadt Lüneburg besuchen. Die Lüneburger Wähler haben ihn für die am 1. November beginnende Legislaturperiode als einen ihrer Vertreter in das Gremium für kommunale Selbstverwaltung gewählt. Jetzt heißt es für den 34-Jährigen und seinen Fraktionskollegen Torbjörn Bartels, 28, Sitzungen als Zuhörer zu besuchen und Dokumente zu studieren.

"Das Ergebnis war erfreulich, aber auch überraschend", gab Torbjörn Bartels gegenüber der Rundschau zu. "Wir haben erst mal ein bisschen Zeit gebraucht, das zu verdauen." Vorbereitet auf eine mögliche Entsendung in den Rat haben sich die beiden vorher nicht, das wollen sie in den noch folgenden sechs Wochen bis zur ersten konstituierenden Sitzung des neu zusammengestellten Gremiums am 3. November tun.

"Ich recherchiere im Internet und werden an den beiden nächsten Sitzungen des Rats als Zuhörer teilnehmen", sagte Tobias Ginschel. Kommunalpolitische Erfahrung hat er nicht, das gilt auch für seinen Kollegen Torbjörn Bartels. Der Rundschau sagte er: "Das empfinden wir jedoch nicht als hinderlich, sondern eher als förderlich, um frischen Wind hineinzubringen." Auch bei den anderen Parteien wollen die Neulinge um Rat bezüglich des Rats fragen, "wir werden Kontaktpersonen suchen".

Das will auch Jens Kiesel, neu für die Rentnerinnen-und-Rentner-Partei (RRP) im Rat. Gegenüber der Rundschau gab er zu, "ehrlich gesagt keine Ahnung" von der Geschäftsordnung des Gremiums zu haben. "Darüber muss ich mich jetzt schlau machen." Dass er ein Mandat bekommen würde, hatte er nicht erwartet, "aber meine Nachbarn in Ochtmissen haben mich gewählt". Jetzt will der 67-Jährige mal "gucken, was wir erreichen können."

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Auch Birte Schellmann (FDP) wird sich neu sortieren müssen. Zwar ist die einstige Bürgermeisterin eine erfahrene Kommunalpolitikerin, arbeitet seit 20 Jahren im Rat und ist seit 1996 die Vorsitzende ihrer Fraktion gewesen. Doch nach der Kommunalwahl am Sonntag hat ihre Partei so stark an Stimmen eingebüßt, dass von den bislang drei Sitzen nur einer übrig geblieben ist - ihr eigener.

Gleichzeitig wurde sie erstmals in den Kreistag gewählt: "Ein unglaubliches Vertrauen, dieser Herausforderung muss ich mich stellen und werde versuchen, ihr gerecht zu werden. Das ist jetzt neu und unerwartet. Ich muss sehen, ob ich das im Rat alleine mache oder mich mit anderen zusammenschließe, um Stimmrecht zu bekommen. Das habe ich sonst nicht."

Mit einem Zuwachs an Sitzen hatten die Linken vor der Wahl gerechnet - doch sie haben nach wie vor zwei Plätze im Rat der Hansestadt, keinen mehr als vorher. Michèl Pauly, Nachfolger von Malte Riechey, sagte dazu: "Leider haben wir trotz leichter Zugewinne und obwohl wir jetzt viertstärkste Partei sind, das erhoffte dritte Mandat in Stadtrat und Kreistag nicht erreicht. Wahlsieger sind Piraten und Grüne, denen wir auf diesem Wege herzlich gratulieren." Insgesamt werde der Rat "bunter", darüber äußerte sich Pauly erfreut: "Die bisherige Mehrheitsgruppe erhielt deutlich weniger Stimmen, was auch eine Niederlage des Oberbürgermeisters ist."

26 Paragrafen beinhaltet die Geschäftsordnung des Lüneburger Rats, aufgeschrieben auf sieben Seiten. So dürfen sich laut Paragraf vier Zuhörer nicht zu Wort melden, laut Paragraf fünf ist die Sitzungsdauer auf drei Stunden angesetzt, wovon zwei Stunden Anträge und Anfragen aus der Politik behandeln, der Rest für Beschlussvorlagen aus der Verwaltung gedacht ist.

Anträge zur Tagesordnung müssen bis zum 14. Tag um 12 Uhr schriftlich beim Oberbürgermeister eingehen, vor der Abstimmung dürfen sich der Antragsteller und jeweils ein Vertreter jeder Fraktion jeweils fünf Minuten lang dazu äußern. Anfragen dürfen bis zum siebten Tag, 12 Uhr, eingereicht werden, bei der Sitzung darf der Initiator mündliche Zusatzfragen stellen.

Fraktionslose Ratsmitglieder wie - nach dem Schrumpfen der Abgeordnetenzahl von drei auf eins - Birte Schellmann (FDP) und Jens Kiesel (RRP) dürfen fünf Minuten zu einem Tagesordnungspunkt sprechen, ansonsten hängt die Redezeit von der Größe der Fraktion ab. Die SPD hat wie bisher insgesamt 21 Minuten, die CDU weiterhin 16 Minuten. Und die Grünen dürfen ab November insgesamt ebenfalls 16 Minuten reden anstatt bisher zwölf Minuten. Die Linken haben acht Minuten.

Das alles mag einfach klingen, doch für eine konstruktive Mitarbeit in dem Gremium voller alt eingesessener Hasen wird die Lektüre des Dokuments nicht reichen. Schmerzlich spüren mussten das vor fünf Jahren die zwei Neulinge der Partei Die Linke, die 2006 nach der Kommunalwahl erstmals im Rat saßen. Allzu oft steckten Malte Riechey und Kay-Ralf Kunath Schelte des Oberbürgermeisters und der Ratsvorsitzenden ein, weil sie die Regeln des Zusammenschlusses nicht befolgt - oder nicht mehr genau im Kopf hatten.

Das wird sich in dieser Wahlperiode ändern müssen, die bekannten Gesichter werden sich vermutlich stärker in Geduld üben müssen als nach der vergangenen Wahl. Zwar darf der neue Linke im Bund, Michél Pauly, durchaus als erfahren gelten, da er in den vergangenen Monaten zahlreiche Sitzungen besucht und als Sprecher der Partei gewirkt hat. Doch sind da ja auch noch drei weitere Neulinge, die sich nicht auf eine erfahrene Fraktion um sie herum verlassen können.