Sozialdienste der Region setzen auf Freiwillige und rechnen mit steigenden Kosten sowie Einschränkungen im Angebot

Lüneburg. Mit der Aussetzung des Wehrdienstes fällt ab dem 1. Juli auch der Zivildienst weg. Und damit viele Stellen am Krankenbett, in der Pflege und im Umweltschutz. Nach Angaben des Bundesamtes für Zivildienst leisten derzeit 116 Männer ihren Zivildienst in 37 Einrichtungen in Stadt und Landkreis Lüneburg. Allein in der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg sind rund 40 Zivis eingesetzt. "Ohne die Zivis sind wir aufgeschmissen", sagt Karl-Heinz Adlung. Er ist Leiter des Fahrdienstes der Lebenshilfe in Lüneburg und zugleich Beauftragter für den Zivildienst.

"Für unsere Arbeit waren sie bisher unentbehrlich. Besonders in den Bereichen der Werkstätten, der Betreuung von Menschen mit Behinderungen und im Fahrdienst", sagt Adlung.

Fallen die Zivis weg, wird es auf jeden Fall teurer und mancher Dienst wird eingeschränkt, denn was jetzt von Zivis für wenig Geld geleistet wird, müsste dann von Hauptamtlichen übernommen werden. Die Kosten übersteigen das Budget der Sozialdienste; so dass viele Einrichtungen über Einschnitte bei den Leistungen in Kombination mit einer Erhöhung der Gebühren nachdenken.

Seit Jahrzehnten ist der Zivildienst in Deutschland etabliert. Fest waren die jährlich bis zu 76 000 Wehrdienstverweigerer (Zahl des Bundesamtes für Zivildienst vom Jan 2010) in das Personalkonzept sozialer Einrichtungen eingebunden. Sie erwiesen sich als günstige und zuverlässige Arbeitskräfte. "Ein Heildienst, mit dem der Bund die Länder und Gemeinden deutlich subventioniert hat", sagt Heino Wolf, Leiter der Verwaltungsstelle Zivildienst des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen in Hannover.

Auch weiterhin wünschen sich Lüneburger Einrichtungsleiter billige Arbeitskräfte für Betreuungstätigkeiten in Behinderten- und Pflegeeinrichtungen, in Kitas oder für Essen auf Rädern. Ob beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der Lebenshilfe, der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, dem Paritätischen, dem SOS-Hof Bockum oder dem Kinderhaus in Wittorf - nach Lösungen wird überall fieberhaft gesucht.

Karl-Heinz Adlung und seine Kollegensetzen vor allem auf geringfügig Beschäftigte. Schon jetzt melden sich Interessenten bei der Lebenshilfe. "Es sind vor allem Hausfrauen und Rentner. Die Nachfrage ist relativ hoch." Doch es zeichnet sich längst ab, dass die meisten Einrichtungen zumindest um eine Erhöhung der Kosten nicht herum kommen werden. Wo es geht, wird gespart. Das Kinderhaus in Wittdorf verzichtet bereits seit Mai 2010 auf einen Zivi. Seine Arbeit fangen die Mitarbeiter des Hauses auf. Eine Neueinstellung gibt es nicht. Harald Kreft, Geschäftsführer des ASB Kreisverband Lüneburg befürchtet: "Wenn wird die Zivis komplett mit Hauptamtlichen ersetzen müssen, dann kollabiert der Pflegedienst". Damit der Dienst nicht leidet, will der ASB noch in diesem Jahr, mit dem Ausbau der Stellen für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) beginnen.

Für ein Taschengeld engagieren sich darin jährlich rund 30 000 junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sowie der Kinder- und Jugendhilfe (Zahlen: Bundeskreise Freiwilliges Soziales Jahr). Als möglichen Ersatz für den Zivildienst sieht Kreft das FSJ nur dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: Wichtig seien entsprechende rechtliche Absicherungen und Anreize im Blick auf Bezahlung und Berufsorientierung, wie beispielsweise Vorteile im Studium.

Ebenfalls auf diese Karte setzt Christoph Thomann-Fuchs vom SOS-Hof Bockum in Rehlingen. Bisher rekrutierten sich die Zivis auf dem Hof mittels Mundpropaganda, denn der Hof war ein begehrter Platz. Damit sei es vorbei. "Ab Juli gibt es momentan noch keinen Ersatz für die Zivis. Deshalb habe ich Rundschreiben an die Gymnasien im Landkreis verschickt und für das Freiwillige Soziale Jahr geworben." Sicher ist, dass mindestens eine Zivistelle durch eine hauptamtliche Arbeitskraft ersetzt wird. "Es ist die Position des Fahrers", so Thomann-Fuchs.

Wie die 20 Zivildienststellen in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg besetzt werden sollen, ist ebenfalls unbekannt. "Schwierig wird es sein, einen Ersatz für diejenigen zu finden, die im Bereich der Tagesbetreuung eingesetzt sind und Patienten zu externen Terminen oder Stationen begleiten", sagt Angela Wilhelm, Sprecherin der Gesundheitsholding Lüneburg GmbH.

Das Bundeskabinett setzt auch auf Freiwillige, geht allerdings einen anderen Weg. Im Dezember beschloss die Ministerrunde die Einrührung des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) als Ersatz für den Zivildienst. Das entsprechende Gesetz ist für Ende April zu erwarten. "Im Unterschied zum Zivildienst wird er auch Frauen und älteren Menschen offen stehen", sagt Heino Wolf aus Hannover.

Als Experte weiß er: "Der Zivildienst ist nicht hundertprozentig zu kompensieren." Allein bei dem Paritätischen in Niedersachsen gehen durch den Wegfall des Zivis 1000 Vollzeitkräfte verloren. Ehrgeiziges Ziel des Bundesamts für Zivildienst ist es, die Lücke mit 35 000 Freiwilligem im BDF und 35 000 Freiwilligen im FSJ zu füllen. Auf er Homepage des Amts heißt es: "Einsatzplätze wird es alleine durch die 0rund 160 000 anerkannten bisherigen Zivildienstplätzen ausreichend geben." Diesen Optimismus können weder Heino Wolf noch der Paritätische Wohlfahrtsverband nachvollziehen: "Wir stochern im Bodennebel." Wolf ahnt, dass die Zivi-Lücke weder quantitativ noch qualitativ zu stopfen ist und viele Angebote ausfallen werden.