Im Interview mit der Lüneburger Rundschau sieht der scheidende BI-Vorsitzende die Ursache für die Leukämie in der Elbmarsch geklärt.

Elbmarsch. Die unheimliche Serie von Leukämieerkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch begann 1986. Bis heute sind 19 Kinder und Jugendliche an Blutkrebs erkrankt. Uwe Harden (58) ist einer der Gründungsväter der Bürgerinitiative (BI) gegen Leukämie in der Elbmarsch, die 1991 ins Leben gerufen wurde. Nach 20 Jahren an der BI-Spitze gibt er den Vorsitz ab. Im Rundschau-Interview sieht er die Ursache für die Erkrankungen geklärt: Radioaktive Strahlung von den Geesthachter Atomanlagen, dem Kernkraftwerk Krümmel und dem einstigen GKSS-Forschungsreaktor.

Lüneburger Rundschau: Herr Harden, Sie geben den BI-Vorsitz ab. Ist das eine Kapitulation, weil Sie keine Chance mehr sehen, dass die Gründe für die Leukämiefälle jemals aufgedeckt werden?

Uwe Harden:Keine Kapitulation. Als BI-Sprecher braucht man Empörung und Zorn als Antrieb - das ist bei mir kein 20 Jahre währender Dauerzustand. Deswegen braucht man den Wechsel an der Spitze. BI-Vereinsvorsitzende waren vor mir übrigens schon Hans-Heinrich Twesten und Reinhard Hoppe.

Was hat die BI erreicht?

Unendlich viel. Wir haben die abnorme Häufung von Kinderleukämie erst bewiesen, Untersuchungen erzwungen, Strahlung als Ursachen erwiesen und am Beispiel Krümmel die Atomkraftwerksgefahren bewusst gemacht. Gorleben und Krümmel sind die Reizwörter für die Anti-Atomkraft-Bewegung, die mittlerweile eine stabile Mehrheit in der deutschen Öffentlichkeit hat. Das zu erreichen war zwar nicht das Ziel der BI gegen Leukämie in der Elbmarsch, sondern die Ursachenforschung, aber es ist zweifellos ein Ergebnis.

Was habe Sie mit Ihrem persönlichen Einsatz erreicht - als Kommunalpolitiker und als Abgeordneter des niedersächsischen Landtages?

Anfangs war die Skepsis gegenüber der BI in der Kommunalpolitik groß, das hat sich völlig verändert. Im Landtag war besonders Ministerpräsident Gerhard Schröder aufgeschlossen für die Elbmarsch-Problematik. Er hat die Finanzierung der Norddeutschen Lymphom-Studie aufgrund einer Landtagsdebatte spontan zugesagt und das Krebsregister eingeführt. Die Anhörung des Landtagssozialausschusses im April 2007 halte ich für eine Sternstunde des Parlaments, denn hier wurde die "Kügelchen-Theorie" offiziell diskutiert und dokumentiert. Wer wissen will, was die Elbmarsch-Leukämien verursacht hat, der findet es in den Protokollen bei den Aussagen von Prof. Mironow. Nach meinem Ausscheiden aus dem Landtag sollte noch ein Fachgespräch unter Federführung des Bundesamtes für Strahlenschutz stattfinden. Diese Absicht wird leider nicht mehr verfolgt. Meiner "Karriere" hat die Ursachenforschung eher geschadet. Für viele war ich nur der Abgeordnete mit der seltsamen "Kügelchentheorie" - und war damit abgestempelt.

Welche Hürden hatten Sie zu nehmen, welche Widerstände gab es?

Bis heute hält die etablierte Wissenschaft das Dogma aufrecht, dass Atomkraftwerke in Deutschland keine gefährliche Strahlung aussenden. Dass diese Wissenschaft in Gesetze und Verordnungen gegossen, international über Euratom (Anmerkung der Redaktion: Die Europäische Atomgemeinschaft ist der EU angegliedert) vereinbart und in der Strahlenschutzkommission dogmatisch verankert ist, ist das Haupthindernis für jede Aufklärung. Dieses Dogma haben die meisten Ministerialbeamten verinnerlicht. Kein deutscher Politiker bekam bis zur Aufdeckung der Asse-Probleme eine atomkritische Vorlage aus seinem Beamtenapparat. Im Prinzip ist das der gesetzlich und personell verankerte Lobbyismus.

Was glauben Sie nach Ihren jahrzehntelangen Erfahrungen und Ihren Erkenntnissen, könnten die Ursachen für die Leukämie in der Elbmarsch sein?

Ich sehe zwei Ursachen: Zum einen ein missglücktes Forschungsexperiment in Geesthacht am 12. September 1986 mit einer enormen Freisetzung von Radioaktivität. Reste von Kernbrennstoff - die berühmten Kügelchen - im Sand von Geesthacht-Tesperhude beweisen, dass hier Thorium bestrahlt wurde. Vermutlich wurde nach einem alternativen Kernbrennstoff für Forschungsreaktoren gesucht. Hierbei wurden viele Menschen belastet, so dass einige Jahre später fast schlagartig eine Leukämie-Epidemie bei Kindern auftrat. Und zum zweiten gibt es eine Erhöhung der Krankheitszahlen durch den normalen Betrieb des Atomkraftwerkes Krümmel, wie sie die KIKK-Studie (Anmerkung der Redaktion: Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) festgestellt hat. Auch diese Ergebnisse werden offiziell weggelogen.

Wird etwas vertuscht?

Das liegt auf der Hand. Die Spuren der Radioaktivitätsfreisetzung 1986 sind da und immer wieder nachzuvollziehen. Man kann sie leider aber auch gezielt umgehen, etwa indem man Bodenproben aus nicht kontaminiertem Boden zieht. Von der 1986er-Verstrahlung müssen Beamte im Kieler Ministerialapparat gewusst haben. Dass Mitwisser dieser Verstrahlung an der Leukämie-Ursachenforschung maßgeblich beteiligt waren, halte ich für evident. Die unsinnige Erklärung der Verstrahlung des AKW Krümmel im Jahre 1986 mit Radon ist der schlagende Beweis dafür. Die Politiker wurden mehr oder weniger an der Nase herumgeführt, wie überhaupt ärgerlich ist, dass die meisten Minister, einmal im Amt, ihre vorherige kritische Einstellung völlig vergessen.

Wie müsste es Ihrer Meinung nach weitergehen, um tatsächlich Licht ins Dunkel zu bringen?

Man kann noch einmal Bodenproben unter Mithilfe der BI nehmen, die strahlenden Teile noch einmal unter öffentlicher Kontrolle untersuchen. Oder ganz einfach: Es muss im Archiv des ehemaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie Unterlagen geben, die den Strahlenunfall erklären. Diese vermutlich höchst geheimen Unterlagen müssen aufgedeckt werden. Schade, dass es WikiLeaks erst so kurze Zeit gibt.

Werden die Ursachen jemals aufgeklärt?

Aufgeklärt sind sie nach unserer Ansicht. Sie sind nur nicht zugegeben und die Umstände und Verantwortlichen nicht offengelegt. Da bleibt nur die Hoffnung, dass irgend jemand ein Gewissen hat, das ihn eines Tages zu sehr plagt.