Direkte Demokratie spielt im Landkreis Lüneburg kaum eine Rolle. Die Kommunen sind nicht sicher ob das nach Stuttgart 21 auch so bleibt.

Amelinghausen. Samtgemeindebürgermeister Helmut Völker ist besorgt. Die Demonstrationen um den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs haben bei ihm Spuren hinterlassen. "Wenn in Sachen Stuttgart 21 jetzt, nachdem das öffentlich rechtliche Verfahren abgeschlossen ist, eine andere Entscheidung getroffen wird, dann ist das ein Signal bis in die kleinsten Gemeinden hinein."

Der Verwaltungschef sieht diese Problemlage auf die Kommunen zukommen. Was ist, wenn Beteiligungs- und Genehmigungsverfahren abgeschlossen, Entscheidungen rechtswirksam sind, die Partner sich aufeinander verlassen können, jedoch Bürger erst dann aktiv werden, wenn die Bagger anrollen?

Darauf weiß Völker zwar keine Antwort, doch geben er uns seine Mitarbeiter sich alle erdenkliche Mühe, Planungen so transparent wie möglich zu halten. Sein Vorgehen scheint erfolgreich, denn bis heute hat es in der Samtgemeinde weder eine Bürgerbegehren noch einen Bürgerentscheid gegeben.

Seit Ende 1996 gibt es in Niedersachsen das Recht auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Die gesetzlichen Grundlagen sind in Artikel 22b der niedersächsischen Gemeindeordnung zu finden. Bürger haben damit die Möglichkeit, zu kommunalpolitischen Themen eigene Vorschläge in die Diskussion einzubringen. Sollten die gewählten Vertreter diese Vorschläge nicht berücksichtigen, kann in einem verbindlichen Bürgerentscheid durch alle Bürger ein Beschluss gefasst werden.

In der Samtgemeinde Tostedt im Landkreis Harburg wurde im Mai das Bürgerbegehren gegen die Abriss- und Neubaupläne des Rathauses eingeleitet. Die Vertreter des Bürgerbegehrens wollten die Aufnahme neuer Schulden on Höhe von vier Millionen Euro verhindern. Statt der erforderlichen 2024 gültigen Unterschriften, die notwendig gewesen wären um nach dem Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid auf den Weg zu bringen, wurde das dreifache Anzahl gesammelt und das notwendige Quorum von 25 Prozent deutlich überschritten. Der Bürgerentscheid entfiel, weil der Samtgemeinderat den Ratsbeschluss zur Rathauserweiterung dann mehrheitlich aufhob.

Rathäuser sind übrigens ein beliebtes Thema für Bürgerbegehren. In Niedersachsen gab es bereits dreizehn Fälle, in denen sich Bürger per Bürgerbegehren eingemischt haben. Neue Bürgerbegehren wurden in diesem Jahr in Niedersachsen auf den Weg gebracht, davon keines im Landkreis Lüneburg. Fünf Begehren wurden als unzulässig abgewiesen. Die zugelassenen Fälle führten zu Kompromissen zwischen den jeweiligen Räten und Initiativen. Bürgerentscheide gab es in diesem Jahr bisher keine.

Für die Einführung des Bürgerbegehrens 1996 wurde im Niedersächsischen Landtag angeführt, dass es die Bürger motiviere, sich verstärkt in kommunalen Sachfragen zu engagieren.

Darüber hinaus eröffne es ihnen die Möglichkeit, auch zwischen den Wahlen im Einzelfall Entscheidungen der Ratsmehrheit zu korrigieren. Das Verfahren beginnt mit der Sammlung von Unterschriften. Je nach Einwohnerzahl der Gemeinde muss eine bestimmte Zahl von Unterschriften wahlberechtigter Einwohner vorgelegt werden. Mit dem Bürgerentscheid kann dann beantragt werden, dass die Bürger einer Kommune über eine bestimmte Angelegenheit ihrer Gemeinde selbst entscheiden.

"Allerdings mit vielen Einschränkungen", kritisiert Dirk Schumacher, vom Verein Mehr Demokratie Bremen-Niedersachsen. "Während in Bayern aller wichtigen lokale Themen zum Bürgerbegehren zugelassen sind, gibt es Niedersachsen viele Einschränkungen. Beispielsweise die Bauleitpläne, die im Freistaat ein Fünftel aller Begehren ausmachen." Gelten für Bürgerentscheide in Bayern Zustimmungsquoten von 10 bis 20 Prozent, liegt die Hürde in Niedersachsen einheitlich bei 20 Prozent.

So wundert es nicht, dass auf der Volksentscheid Ranking-Liste des Vereins das Land Niedersachsen den drittletzten von 16. Bundeslandplätzen belegt mit nur 212 Bürgerbegehren und 69 Bürgerentscheiden seit 1996. Der drittplatzierte Freistaat indes zählt im selben Zeitraum 1759 Bürgerbegehren und 995 Bürgerentscheide.

Die geringe Zahl der Begehren erklärt Karl Tödter, Bürgermeister der Samtgemeinde Scharnebeck: "Über die Zulassung entscheidet der Rat und selbstverständlich möchten Ratsmitglieder die Entscheidung nicht anderen überlassen." Für Rainer Timmermann, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, ist die niedrige Zahl der Bürgerbegehren und -entscheide Zeichen, für das kluge Vorgehen der Kommunalpolitiker: "Wenn in all den Jahren nur eine Handvoll Bürgerentscheide auf den Weg gebracht wurden, merkt man doch, dass die Räte sensibel reagieren."