Serie: “Lebenslanges Lernen in Lüneburg“. Teil 5: Weiterbildungsboom bei Handwerksberufen als Folge der Wirtschaftskrise von 2008.

Lüneburg. Die Hütte ist voll, sagt Jörg Warnecke, Geschäftsführer der Lüneburger Handwerkskammer. Na ja - Hütte kann man das Technologiezentrum der Handwerkskammer, kurz TZH genannt, wohl nicht nennen. Für Lüneburger Verhältnisse reckt sich der Turm an der Dahlenburger Landstraße geradezu verwegen hoch in den derzeit trüben Himmel. Betritt man das vor einigen Jahren sanierte Gebäude, fällt der Blick zunächst auf Fitnessräume und eine großzügige Cafeteria. Diverse Gänge zweigen ab, ein verwirrendes Labyrinth aus Büros, Werkstätten und mit Computern ausgestatteten Ausbildungsräumen.

Sehr belebt wirken die Räumlichkeiten nicht an diesem Montagmorgen. Der Eindruck täuscht. Mehr als 200 Lehrgänge finden hier jährlich statt, die Nachfrage nach Aus- und vor allem Fort- und Weiterbildungsangeboten ist laut Warnecke enorm: In den vergangenen drei Jahren hätten sie steigende Umsatzzahlen verzeichnen können.

Die Ursache hierfür sieht er in der Finanzkrise im Jahr 2008. "Viele Betriebe mussten ihre Angestellten wegen der schlechten Wirtschaftslage entlassen oder freistellen, Azubis wurden nicht übernommen." Diese hätten die Zeit genutzt und sich weitergebildet. "Wir standen enorm unter Druck, mussten in kürzester Zeit neue Lehrgänge entwickeln und am Markt platzieren."

Die Entwicklung sei gegenläufig, sinniert er: Gehe es der Wirtschaft schlecht, floriere der Weiterbildungsmarkt. Der Boom der Krise hält bis heute an. Warnecke: "Ich habe eigentlich schon im vergangenen Jahr mit einem Einbruch gerechnet. Er kam aber nicht. Wir haben in Lüneburg nach wie vor eine hundertprozentige Auslastung."

Nicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten bei den Handwerksberufen angekurbelt. Auch die rasante technische Entwicklung und das neue Umweltbewusstsein spielen hier eine große Rolle. "Für Leute aus dem Bereich Bau gibt es eine Menge neuer Themen, mit denen sie sich beschäftigen müssen", sagt Warnecke und nennt einige Beispiele: neue Dämmtechniken, neue Heizungsanlagen, Solartechnik, die Energieeinsparverordnung (EnEV).

Genau damit hat sich Bezirksschornsteinfeger Mangnus Werner in den vergangenen Monaten intensiv auseinandergesetzt: Seit September macht er eine Weiterbildung zum Gebäudeenergieberater, hat sich mit Baukonstruktionen, Bauphysik, den Anforderungen und Nachweisen nach besagter EnEV und Modernisierungsplanung beschäftigt. Jedes zweite Wochenende war er Freitagabends und den ganzen Sonnabend im THZ, 210 Stunden insgesamt. Nun fehlt nur noch die Prüfung, die er demnächst ablegen wird.

Sie seien wohl das Paradebeispiel für lebenslanges Lernen, er und seine Frau, meint der 40-jährige Betzendorfer. "Für uns gehört das dazu, wir haben uns beide praktisch permanent fortgebildet." Seine Frau habe Krankenschwester gelernt, dann eine Ausbildung zur Hebamme gemacht. Jetzt macht sie eine weitere zur Heilpraktikerin. Genug Zeit für ihre fünf Kinder, die zwischen fünf und elf Jahre alt sind, hätten sie dennoch. "Wir haben keinen Fernseher, machen viel abends oder morgens, wenn die Kinder schlafen."

Mangnus Werner selbst hat sich kontinuierlich hochgearbeitet und weiterentwickelt. "Ich war auf der Hauptschule", erzählt er. "Und ich hatte glücklicherweise topmotivierte, großartige Lehrer, die projektorientiert mit uns gearbeitet haben." Er sei deswegen ein super Schüler gewesen, sagt er, und habe nach der Hauptschule die höhere Handelsschule besucht. Danach hätte Mangnus Werner aufs Gymnasium wechseln können, aber "elf Jahre Schule haben mir gereicht. Ich wollte etwas bewegen."

Mit Menschen wollte er was machen, und etwas für die Umwelt tun. Schornsteinfeger. "Das ist ein Beruf mit hohem moralischen Anspruch, damit kann ich mich gut identifizieren", sagt er und fügt verschmitzt lächelnd hinzu: "Morgens, wenn ich aufstehe, sage ich mir immer: Ich rette die Welt!"

Mangnus Werner liebt seinen Beruf, das ist nicht zu übersehen. Mit leuchtenden Augen erzählt der Betzendorfer von seinen Aufgaben als Schornsteinfeger - Schorn-s-teinfeger, wie er sagt, mit "s" statt mit "sch" in der Mitte. Er verhütet Brände, sorgt für gutes Raumklima, verhindert Vergiftungen durch Kohlenmonoxid oder Gas. Und er schützt die Umwelt, indem er auf angemessene Emissionswerte achtet. Seit seiner Weiterbildung zum Thermografen kann er auch mittels Wärmebild-Aufnahmen Schwachstellen in der Hausdämmung aufzeigen. Jetzt, als Energieberater, kann er für etwaige Mängel auch Besserungsvorschläge liefern.

Begeistert führt er am Computer vor, was er in seiner Weiterbildung gelernt hat. Ein paar Klicks mit der Maus, schon hat er ein Haus auf dem Bildschirm - "bei einem, das vor der Ölkrise 1973 gebaut wurde, sind die Werte am eindruckvollsten". Klick, klick, er verpasst dem Einfamilienhaus eine Dämmung des obersten Geschosses und statt des Ölkessels eine moderne Holzpelletheizung. Das Ergebnis: Der Primärenergieverbrauch sinkt von 380 auf 84 Kilowattstunden. "Das lohnt sich nicht nur unter Umweltaspekten, es rechnet sich auch", sagt Werner, "nach etwa sieben Jahren haben sich die 10 000 Euro Investitionskosten amortisiert."

So begeistert Werner auch von seiner neuen Qualifikation ist, es gibt einen Wermutstropfen. "Ich darf Energieausweise ausstellen, bin aber kein von der KfW (Förderbank der deutschen Wirtschaft) anerkannter Vor-Ort-Berater und deshalb nicht förderfähig", klagt er. Diese Zertifizierung erhielten nur Ingenieure und Architekten, keine Handwerker - "uns wird die Neutralität abgesprochen". Blödsinn, findet Werner. "Als ob Architekten und Bauingenieure kein Interesse daran hätten, einen Auftrag zur Hausmodernisierung zu bekommen."

Trotzdem hofft der Bezirksschornsteinfeger, dass sich seine neue Qualifikation als Hausenergieberater positiv auf seine Auftragslage auswirkt. Spätestens ab dem kommenden Jahr wird dies wichtig werden: Während bisher ein bestimmter Schornsteinfeger für einen bestimmten Kehrbezirk zuständig war, darf sich nach einer Änderung des Schornsteinfegerhandwerksgesetzes ab kommendem Jahr jeder selbst aussuchen, welchen Schornsteinfeger er beauftragen möchte. Mangnus Werner, der seit 2008 in Häcklingen, Rettmer, Melbeck, Embsen und Oerzen alle Schornsteine fegt, freut sich auf die Neuerung. "Niemand ist gezwungen, zusammenzuarbeiten, auch wenn die Chemie nicht stimmt. Das entspannt das Verhältnis zum Kunden. Ich sehe das als große Chance."

Der nächste und letzte Teil unserer Serie beschäftigt sich mit dem Thema "Quereinstieg ins Lehramt".