Serie: Lebenslanges Lernen in Lüneburg, Teil 2: Studieren ohne Abitur - wer es darf, was es bringt, wie es abläuft. Beispiel: Sozialpädagogik.

Lüneburg. Kurz nach zwölf Uhr mittags in einem Seminarraum der Leuphana Universität. Swaantje Traffa und Elke Redenius-Rehling lassen sich aufatmend auf einen der mäßig bequemen Holzstühle fallen. "Das war harter Stoff", meint die eine seufzend. Auf dem Stundenplan stand heute das Thema "Materielle Grundsicherung" - die beiden gelernten Erzieherinnen studieren an der Professional School der Leuphana Universität Sozialpädagogik.

Traffa und Redenius-Rehling sind zwei von 95 Studierenden ohne klassisches Abitur, die derzeit an der Professional School für ein berufsbegleitendes Studium eingeschrieben sind. Weitere 340 Männer und Frauen ohne Abi studieren laut Leuphana-Sprecher Henning Zühlsdorff am College oder an der Graduate School, um dort ihren Bachelor- oder Master-Abschluss zu machen. Studieren ohne Abitur? Ja: Seit der Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes im Juni 2010 kann sich jeder an einer Hochschule einschreiben, der eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und mindestens drei Jahre Berufstätigkeit nachweisen kann.

Allerdings ist ein Studium nur fachgebunden möglich: Kfz-Mechatroniker können beispielsweise Maschinenbau studieren, Maler oder Maurer Architektur, Bankkaufleute können sich mit Finanzmanagement oder Jura auseinandersetzen, und für Friseure kommen Chemie- oder Modedesign-Studiengänge infrage. Eine Übersicht, mit welcher Ausbildung welcher Studiengang möglich ist, gibt es auf der Homepage www.studieren-in-niedersachsen.de . Welche Studien die Leuphana Universität anbietet, ist auf www.leuphana.de nachzulesen.

Keinerlei Einschränkungen gibt es für Meister. "Wer seinen Meister gemacht hat, kann sich grundsätzlich für jeden Studiengang einschreiben", sagt Annett Wojtaszek, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt "Offene Hochschule" der Leuphana Universität. Jörg Warnecke, Geschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stadt, ist von der neuen Durchlässigkeit der Bildungswege schlichtweg begeistert. "Das ist genau das Bindungsglied, das uns gefehlt hat", sagt er. "Ein Meister ist eher ein Praktiker, ein Akademiker eher ein Theoretiker. Wer aber Meister und Ingenieur ist und damit sowohl die Praxis als auch die Theorie beherrscht, dem steht die Welt offen." Ausbildung, Meisterschule, Studium - er würde jedem raten, diesen Weg zu gehen, ob mit Abitur oder ohne

Teil 1: Lüneburg: Und Hans lernt es doch noch

Auch Erzieherin Elke Redenius-Rehling hat sich für ein Studium entschieden, weil sie beruflich weiterkommen möchte. Die 52-Jährige, die in Bassum bei Bremen zwei kleine Kindertagesstätten leitet, möchte später im Bereich "Hilfen zur Erziehung" arbeiten - dazu gehören beispielsweise Erziehungsberatung und ambulante Familienhilfe. Bis jetzt, Ende des ersten Semesters, ist sie von ihrem Studium begeistert: "Es ist intensiv und praxisbezogen, das finde ich einfach großartig." Etwa zwei Stunden muss sie jeden Tag ins Lernen investieren, außerdem finden an einem Wochenende pro Monat Präsenzseminare an der Uni statt. Zudem ist die Teilnahme an drei Studienwochen verpflichtend, und es muss ein Praktikum abgeleistet werden - 300 Stunden, verteilt über das ganze dreieinhalbjährige Studium.

"Es ist eine Menge zu tun, aber das macht mir große Freude", sagt die Kindergartenleiterin. Ihre eigenen Kinder seien aus dem Haus, und ihr Ehemann unterstütze sie nach Kräften: "Er macht einiges im Haushalt und schafft mir so die Freiräume, die ich brauche."

Für ihre Kommilitonin Swaantje Traffa, Erzieherin in einer Kindertagesstätte in Bad Bodenteich (Landkreis Uelzen), sieht das ganz anders aus. Die 38-Jährige ist Mutter dreier Kinder, acht, zehn und zwölf Jahre alt, und muss Erziehung, Haushalt, Beruf und nun auch Studium unter einen Hut bringen. "Für mich ist das ganz, ganz schwer", sagt sie, "mein eines Skript ist schon ganz abgegriffen, weil ich es abends immer in die Hand nehme, aber wirklich aufnehmen kann ich dann nicht mehr viel." Wie sie die 300 Stunden Praktikum unterbringen soll, weiß sie noch nicht.

Trotzdem ist sie zuversichtlich und möchte das Studium unbedingt abschließen. "Ich bin der Meinung, die Erzieher-Ausbildung sollte akademisiert und dem Lehramts-Studium gleichgestellt werden", sagt sie. "Wir Erzieher haben eine so große Verantwortung, die Erziehung im Kleinkindalter ist schließlich prägend für das ganze Leben. Was in der Ausbildung in Sachen Pädagogik vermittelt wird, reicht bei Weitem nicht aus."

Sie hat sich von Verwandten Geld geliehen, um sich an der Leuphana einschreiben zu können. 8610 Euro, verteilt auf die sieben Semester, werden fällig. Auch ihre Bassumer Kollegin zahlt die Gebühren aus eigener Tasche. "Wenn ich fertig bin, habe ich noch zwölf Jahre Berufsleben vor mir, da lohnt sich die Investition schon noch."

Das sieht Heiko Franken, Geschäftsführer der Leuphana Professional School, genauso. "Die meisten unserer Studenten sind zwischen 30 und Mitte 50 und bereits in leitenden Positionen tätig." Ihre Erfahrungen können die Studenten sich anrechnen lassen - sowohl Zertifikate, die sie während ihrer Ausbildung erworben haben, als auch individuelle Kenntnisse. "Jemand, der seit Jahren in einer Führungsposition tätig ist, muss nicht unbedingt noch einen Personalmanagement-Kursus besuchen", sagt Annett Wojtaszek vom Projekt "Offene Hochschule". Heiko Franken: "Viele finden es trotzdem ungeheuer spannend, sich mal theoretisch mit verschiedenen Führungsmodellen auseinanderzusetzen."

Wer sich für ein Studium interessiert aber das Lernen erst wieder lernen muss, kann dies in Studienvorbereitenden oder -qualifizierenden Kursen tun. Angeboten werden sie beispielsweise von der Volkshochschule (neuer Kursus ab März, Info unter Telefon 04131/156 60) oder vom Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen (VNB) in Lüneburg. "Es geht inhaltlich sehr stark darum, die Vereinbarkeit von Lernen, Leben und Arbeiten zufriedenstellend umzusetzen. Weitere Themen sind wissenschaftliches Arbeiten, E-learning-Kompetenz, Lerntechniken und auch Fördermöglichkeiten", sagt VNB-Mitarbeiterin Tina Scheef. Der Kursus wird berufsbegleitend angeboten, ist kostenlos und kann dem Studium angerechnet werden. Weitere Infos unter Telefon 04131/774 01 05.

In Teil 3 unserer Serie erzählt kommende Woche eine Reppenstedterin, wie sie mithilfe des Förderprogramms IWiN (Individuelle Weiterbildung in Niedersachsen) beruflich ganz neue Perspektiven sieht.