Verfahren gegen den Vizepräsidenten Holm Keller. Auch Stararchitekt Daniel Libeskind gerät in die Kritik. Staatsanwaltschaft Verden: „Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Vorwurf der Untreue.“

Lüneburg. Er war die schillerndste Person in der Führungsriege der Lüneburger Leuphana Universität. An der Seite von Stararchitekt Daniel Libeskind hat er sich immer wieder strahlend fotografieren lassen. Gemeinsam mit dem New Yorker hat Universitäts-Vizepräsident Holm Keller an den Plänen für ein futuristisches Audimax auf dem kantigen Lüneburger Kasernencampus gefeilt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Der Vorwurf: Untreue.

Während die Universitätsgesellschaft und der Stiftungsrat – das Kontrollgremium des Präsidiums – kürzlich noch von Missverständnissen, Unterstellungen und Intrigen in Bezug auf die jüngste Berichterstattung gesprochen haben, musste selbst Uni-Präsident Sascha Spoun jetzt in einer internen Mail an die Professoren zugeben, dass die Staatsanwaltschaft Verden Anhaltspunkte für den Vorwurf der Untreue sieht. Gleichzeitig betont die Universität, dass es zu keinen Verstößen gegen Vergabevorschriften gekommen sei.

Laut Staatsanwaltschaft Verden enthält der Abschlussbericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) über das neue Lüneburger Zentralgebäude mit Audimax „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Vorwurf der Untreue“. Dass den Fall jetzt die Wirtschaftszentralstelle in Stade bearbeitet und nicht die ansonsten zuständige Staatsanwaltschaft in Lüneburg, liegt laut einem Sprecher an der Größenordnung des Verfahrens: mögliche Straferwartung, Umfang und Bedeutung.

Die neue Regierung nutzt die Nachrichten für Kritik an ihren Vorgängern. Silke Lesemann, wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, sagt: „Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zeigt, dass den früheren CDU-Wissenschaftsministern Lutz Stratmann und Johanna Wanka scheinbar erhebliche Versäumnisse bei der Aufsicht über die Planungen für den Neubau des Zentralgebäudes der Leuphana Universität vorzuwerfen sind.“ Auch Miriam Staudte (Grüne) aus Lüneburg schießt nach hinten: „In den vergangenen Jahren wurde im Zuge der Audimax-Planungen das Vorgehen von Holm Keller von vielen Seiten kritisch hinterfragt – nur leider nicht von der damaligen Landesregierung.“ In Lüneburg selbst will man von Aufklärung offensichtlich wenig wissen: Der Vorsitzende des Leuphana-Stiftungsrats spricht in Bezug auf Medienberichte über die Ermittlungen von einer „Kampagne gegen die Universität“, der Vorsitzende der Universitätsgesellschaft von Unterstellungen und Intrigen. Die Universität selbst ist mit ihrem Versuch gescheitert, das Wissenschaftsministerium auf gerichtlichem Wege zur Herausgabe des OLAF-Berichts zu zwingen. Das Verwaltungsgericht Hannover lehnte die Forderung ab. Ohne Erlaubnis dürfe das Ministerium den Bericht nicht weitergeben, sagte ein Sprecher dem Abendblatt.

Hintergrund ist, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht erschwert werden sollen, indem der möglicherweise Beschuldigte Gelegenheit bekommt, sich im Vorwege auf Fragen der Juristen vorzubereiten. Im Visier der OLAF-Ermittler sollen neben der Vergabe von Aufträgen auch die Zahlungen an den Architekten Libeskind stehen. Libeskind hat seit Sommer 2007 eine nebenberufliche Professur an der Leuphana Universität inne, nach Angaben der Hochschule dotiert mit rund 50.000 Euro brutto jährlich. Die Kosten für Flüge und Unterkunft trage der Dozent selbst. Außerdem erhält das New Yorker Büro des Architekten insgesamt 375.000 Euro netto für die „baukünstlerische Begleitung“ des gesamten Vorhabens. Dazu erklärt die Hochschule: Libeskind habe sich als Professor bis zum Jahr 2008 mit dem Vorentwurf für das Zentralgebäude beschäftigt und sich „seither im Rahmen seiner Professur nicht mehr mit der Gebäudeplanung befasst“. Die Aufträge für die Fachplanung seien an Dritte vergeben worden, unter anderem ein Architekturbüro aus Berlin.

Laut Leuphana-Internetseite hat der Professor allerdings noch im Mai 2011 von Studierenden Modelle für einen Raum der Stille erarbeiten lassen, die in die Gestaltung des Endprodukts einbezogen werden sollten. Evangelische und katholische Kirchengemeinden, der Landesverband der jüdischen Gemeinden Niedersachsens und die Klosterkammer Hannover zahlen 600.000 Euro für diesen Teil des zukünftigen Zentralgebäudes. Das Seminar „Raum der Stille“ haben Libeskind, Keller und zwei weitere Dozenten geleitet, es fand in Berlin statt: an drei Tagen jeweils von 7 bis 20 Uhr.

Insgesamt neun Kompaktseminare listet die Seite für den Nebenberufs-Professor seit 2007 derzeit auf, einige davon hat er gemeinsam mit Holm Keller und weiteren Architekten geleitet. Im aktuellen Vorlesungsverzeichnis ist keine Veranstaltung mit Libeskind als Dozenten zu finden. Laut einem Sprecher gibt der Architekt an der Uni, die keinen Studiengang Architektur besitzt, „in der Regel ein Seminar pro Semester und ist zudem in verschiedene Startwochen und andere Lehrprojekte eingebunden gewesen“.

Zuletzt habe er den offenen Internetkursus „ThinkTank Cities“ geleitet: mit 2500 Teilnehmern aus 107 Ländern. In den Genuss der übrigen Workshops kommen im Durchschnitt 25 Studierende, zum Beispiel arbeiteten sie im April 2012 an einem Marketingkonzept für das „Zentralgebäude als Leuchtturm für die Universität“ – insgesamt war das von Libeskind und Keller gemeinsam geleitete Seminar für 24 Stunden an vier Tagen angesetzt.

Der AStA zeigt sich von der Lehrleistung Libeskinds enttäuscht. Dem Abendblatt sagte Sprecher Keno Canzler: „Als weltbekannter Professor ist Daniel Libeskind dann eine Bereicherung, wenn genügend Studierende die Möglichkeit haben, an seinen Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Es ist bedauerlich, dass Professor Libeskind seit seiner Berufung im Sommer 2007 nur sieben Lehrveranstaltungen durchgeführt hat. Zukünftig sind mehr Veranstaltungen wünschenswert.“

Libeskinds Professur ist befristet bis Ende März 2016 – dann wird allein seine nebenberufliche Professur 400.000 Euro gekostet haben. Die Uni macht eine andere Rechnung auf: Wäre Libeskind der beauftragte Architekt für den Planungs- und Bauverlauf des Audimax, müsste er ein Honorar von 3,6 Millionen Euro brutto bekommen.