Einen Fußmarsch legten Aktivisten aus Protest gegen die Ausbaggerung des Flusses zurück. Große Unterstützung erfuhren sie im Alten Land.

Grünendeich/Hamburg. Es begann mit einer Andacht. Dann erst starteten die 20 Gegner der Elbvertiefung vor knapp einer Woche ihren "Pilgerweg" entlang des Flusses - von der "Alten Liebe" in Cuxhaven bis nach Hamburg, wo sie gestern eine Briefbotschaft an Bürgermeister Olaf Scholz überreichten. "Darin haben Mitglieder und Freunde des Regionalen Bündnisses gegen die Elbvertiefung klargestellt, dass sie gemeinsame und gute Lösungen für alle Beteiligten anstreben, vor allem aber für den Fluss selbst", sagt Marlis Brandt, eine der Initiatorinnen des "Pilgerweges". Es gehe darum, den Lebensraum entlang des Flusses nicht aus "rein wirtschaftlichen Erwägungen zu zerstören und Naturgrenzen zu achten", so Brandt.

Dem "geschundenen Elbstrom eine Stimme zu geben" und nicht zu resignieren, war für die beiden Organisatorinnen, Marlis Brandt und Mirjam Mahler, Motivation, die 132 Kilometer Fußmarsch von der Elbmündung bis zur Hamburger HafenCity durchzustehen. Bei Wind und Regen, Sonne und Frost, mit Blasen an den Füßen hatte jeder der Wegbegleiter persönliche und sachliche Argumente, auf dem Elbdeich Flagge zu zeigen. "Wir haben gesagt, wir schaffen das, und wenn wir hinkriechen müssen", beschreibt Mirjam Mahler ihre Gedanken am Beginn der Aktion. Da herrschte bei vielen Menschen an der Elbe Empörung, Entsetzen und Resignation über den Planfeststellungsbeschluss, die Fahrrinne um etwa einen weiteren Meter weiter auszubaggern. Die derzeit rund 14,9 Meter unter Seekartennull (SKN) liegende Fahrrinnentiefe würde auf bis zu 17,1 Meter tiefer ausgebaggert, damit Megacontainerschiffe den Hafen tideunabhängig anlaufen können. Das stehe in keinem Verhältnis zu den Umweltschäden als Folge, sagt die Journalistin Mahler.

Als dann die Nachricht kam, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einem Eilantrag von Nabu und BUND gegen den Planfeststellungsbeschluss stattgegeben hat und das Millionenprojekt vorerst gestoppt sei, war das ein zusätzlicher Motivationsschub für die Demonstranten, die immer in Gruppen von 20 bis 40 Gleichgesinnten unterwegs waren. Auch wenn das keine endgültige Entscheidung gegen das geplante Ausbaggern der Fahrrinne sei, so habe man wieder Hoffnung, dass alle Umweltgutachten noch einmal sehr genau geprüft würden.

"Ich habe zwei Kinder, denen ich später nicht erklären möchte, dass ich nichts gegen die Zerstörung des Lebensraumes Elbe getan habe, als sie über die Köpfe der Menschen hinweg beschlossen wurde", sagt Mahler. Und sie erzählt, dass die "Pilgergruppen" große Solidarität erlebt hätten - in Gesprächen, freundlichen Gesten oder einfach mit Einladungen zur Rast. Spontan hätten sich immer wieder Anwohner angeschlossen und zum Beispiel an allen Stationen bei den Veranstaltungen zum Thema Elbe mitdiskutiert.

Eine der letzten Raststätten vor dem Ziel HafenCity war Grünendeich im Alten Land. Eingeladen hatte Inge Massow, die mit ihrem Sohn Oliver etliche Kilometer mitgegangen war. "Ich habe Angst, dass der Deich irgendwann die Belastungen nicht mehr aushält", sagt die 56-jährige Altländerin. Sie lebt in ihrem Geburtshaus nur rund 200 Meter entfernt von der Fahrrinne, und unvergessen sind ihre Kindheitserinnerungen an die Sturmflut 1962. "Keine Versicherung trägt unser Risiko, Haus und Hof in Fluten zu verlieren. Auch deshalb sehen wir die Hamburger Pläne mit großer Sorge", sagt Massow, während sie die "Pilger" bewirtet.

Einer von ihnen ist Ernst-Otto Schuldt aus Neuenschleuse. Er hatte sein Berufsleben lang mit Schifffahrt und Elbe zu tun und kennt alle Besonderheiten des Flusses. "Ich sehe das Havarierisiko und die sogenannten schiffserzeugten Belastungen als Gefahr für die Deiche und die Menschen dieser Region", erklärt Schuldt sein Engagement. Allein die Reaktion der Hafenwirtschaft auf Gutachten und Argumente der Umweltschutzverbände zeige, wie groß die Unsicherheit für das Millionenvorhaben sei. "Bis zu 170 000 neue Jobs prognostizieren die Gutachten im Auftrag von Senat und Bund. Dass sie dabei Ergebnisse unabhängiger Umweltgutachter im Planfeststellungsverfahren ignoriert haben, zeigt uns, wie stark Hamburgs Interessen mit dem Umweltschutz kollidieren", sagt Bündnissprecher Walter Rademacher. "Wir wurden zwar freundlich empfangen, aber Signale für einen Kurswechsel von Hamburg gab es nicht."

Obstbauer Claus Blohm aus Guderhandviertel nennt die Angst der Bauern vor zunehmender Fließgeschwindigkeit und Versalzung der Elbe als Gründe seines Engagements. "Die teure Alternative Süßwasserbecken für die Beregnung unseres Obstes wird uns niemand schenken." Die Demonstranten Hartwig Ehlers aus Neuhaus und Wolfgang Hertle halten die "Elbvertiefung für unnötig und gefährlich". "Wir hoffen, dass sie endgültig gekippt wird und wollen sie mit friedlichen Protesten ermutigen, auch selbst aktiv zu werden", sagen die Rentner. Mit dem Segen des Grünendeicher Pastors Uwe Junge, der die Sorgen der Altländer um die Elbvertiefung seit Langem kennt, starteten die Pilger zu den letzten beiden Etappen.