Netzbetreiber wollen in Schleswig-Holstein so schnell wie möglich 700 Kilometer Hochspannungsleitungen bauen.

Kiel. Schleswig-Holstein prescht beim Ausbau der Stromnetze vor. Dank einer bundesweit einzigartigen "Beschleunigungsvereinbarung", die Land und Netzbetreiber gestern in Kiel unterzeichneten, soll der Bau einer Strom-Autobahn mit 380 Kilovolt (kV) entlang der gesamten Westküste bereits in knapp vier Jahren beginnen. Kurz danach soll die 380-kV-Trasse an der Ostseeküste und im Binnenland kommen; schon vorher sind einige neue 110-kV-Trassen geplant. Bisher lagen zwischen Plan- und Baustart mehr als zehn Jahre.

"Wir wollen beim Netzausbau gigantisch schnell sein", sagte Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU). Beifall bekam er von den Netzbetreibern Tennet (220 und 380 kV) und E.on (110 kV). "Das ist Weltrekord", lobte Tennet-Geschäftsführer Lex Hartman. "Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das den Ausbau der Netze anstößt", ergänzte E.on-Kollege Branko Rakidzija. Beide Betreiber wollen bis 2020 insgesamt 700 Kilometer Hoch- und Höchstspannungsleitungen neu durchs Land ziehen. Betroffen ist auch das Hamburger Umland, unter anderem durch den geplanten Ausbau der Trasse zwischen Brunsbüttel und Lübeck von 220 auf 380 kV.

Teil der Vereinbarung ist ein konkreter Zeitplan. Die Netzbetreiber wollen betroffene Bürger ab Herbst in Regionalkonferenzen über die Trassenpläne informieren, Änderungswünsche prüfen und wenn möglich berücksichtigen. Hartman stellte aber bereits klar, dass die 380-kV-Trassen generell als Freileitungen und allenfalls in Ausnahmefällen als Erdkabel verlegt werden. "Weltweit gibt es fast noch kein 380-kV-Kabel." Bessere Aussichten haben künftige Anwohner einer 110-kV-Leitung. Rakidzija versprach Erdkabel, allerdings nur, wenn ein Projekt dadurch nicht mehr als das 2,75-Fache einer Freileitung kostet.

Bereits im nächsten Jahr wollen die Netzbetreiber ihre Trassenpläne fertiggestellt haben und sie an den Bund melden. Ab 2013 sollen die Planfeststellungsverfahren anlaufen. Die Netzbetreiber sagten zu, die Bürger so umfassend wie nie zuvor zu beteiligen und damit das Risiko von Protesten und Verzögerungen zu minimieren.

Ebenfalls Zeit sparen will das Land, zum einen dadurch, dass genügend Fachpersonal für die aufwendigen Planverfahren abgestellt wird, zum anderen dadurch, dass die mögliche Bürgerbeteiligung nicht voll ausgeschöpft wird. So strebt das Innenministerium laut Vereinbarung an, auf Raumordnungsverfahren zu verzichten. Dieses Verfahren kann vor einem Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden, um die Folgen für Mensch und Natur zu prüfen, und zieht sich meist über mindestens ein Jahr hin.

Aufs Tempo drücken Land und Netzbetreiber, weil die Stromnetze angesichts des Windenergie-Booms schon heute immer häufiger überlastet sind. "Die Situation wird jedes Jahr kritischer", sagte Hartman. Jetzt komme die Energiewende hinzu. In Schleswig-Holstein wird sich die Windstrom-Ausbeute nach den offiziellen Prognosen bis 2020 mehr als verdoppeln. Hinzu kommen die genehmigten riesigen Offshore-Parks in der Nordsee.

Welche Chance im Windenergie-Boom steckt, machte de Jager mit einer Beispielrechnung deutlich. Mithilfe des geplanten Netzausbaus könnte Schleswig-Holstein 2020 bis zu zehn Prozent des Strombedarfs in ganz Deutschland vor allem aus Windrotoren decken.

Hinter den Kulissen sucht de Jager derweil nach einer Lösung für ein anderes Energieproblem. Das Pumpspeicherkraftwerk in Geesthacht, das windbedingte Netzschwankungen ausgleichen könnte, wird vom Betreiber Vattenfall kaum eingesetzt, weil das Land seit 2001 für die Entnahme des Elbwassers eine Abgabe verlangt.

Im Normalbetrieb müsste Vattenfall etwa 3,5 Millionen Euro in die Landeskasse zahlen und damit so viel, dass sich der Einsatz des Kraftwerks nicht rechnet. Nach Informationen des Abendblatts will das Land Vattenfall nun eine Art Öko-Rabatt anbieten. Demnach könnte die Abgabe für das Pumpspeicherkraftwerk deutlich reduziert werden. Im Gespräch sind etwa 400 000 Euro im Jahr.

Über die Details des Rabatts wird in diesen Tagen verhandelt. "Vattenfall ist an einer langfristigen Lösung ohne Oberflächenwasserabgabe interessiert, da wir für mögliche zukünftige Investitionen in die Anlage Geesthacht Planungssicherheit benötigen", sagte Konzernsprecher Stefan Kleimeier. Gemeint sind die Pläne Vattenfalls, in Geesthacht auf dem Elbhang neben dem Speichersee, der 3,8 Millionen Kubikmeter fasst, ein zweites mächtiges Wasserbecken zu bauen.