Niedersachsen stimmt der Elbvertiefung zu. Die Kritik von Umweltschützern und Obstbauern an dem Projekt geht quer durch die Bundesländer.

Hamburg. Gerd Hubert musste gestern Morgen erst mal tief durchatmen. "Wir sind geschockt, enttäuscht, frustriert", sagte der Bürgermeister der Gemeinde Jork, nachdem ihn die Nachricht von der Zustimmung Niedersachsens zur Elbvertiefung erreicht hatte. Er habe noch die Worte von Ministerpräsident David McAllister (CDU) im Ohr, dass "Gründlichkeit vor Eile" gehen sollte. "Nun haben wir das Gefühl, dass sehr schnell über unsere Interessen hinweg entschieden wurde." Ähnlich die Gefühlslage bei Hans Jarck, Verwaltungschef der benachbarten Samtgemeinde Lühe: "Glücklich ist hier niemand über die Entscheidung."

Die Skepsis im Alten Land bleibt also - obwohl gestern zunächst eine Vereinbarung zwischen den Landwirten, der Stadt Hamburg und der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord als Vertreterin des Bundes unterzeichnet wurde. Demnach kommt man den Landwirten, die mit dem Elbwasser ihr Vieh tränken und ihre Obstbäume beregnen und daher Angst vor einer stärkeren Versalzung des Flusses haben, mit etlichen Maßnahmen entgegen. Für etwa 20 Millionen Euro werden unter anderem Wasserspeicherbecken und eine Stichleitung zur Viehtränke gebaut.

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"Schäden mit Geld zu kompensieren ist für uns keine Alternative", hält Jarck entgegen. "Wir würden solchen Schäden mit Umsicht lieber vorbeugen." Seine Fachleute würden den Planfeststellungsbeschluss, der nach Jahren der Diskussion nun endgültig ergehen wird, genau prüfen. "Auch eine Klage ist nicht auszuschließen", sagte Jarck.

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Beide Seiten warten mit beeindruckenden Zahlen auf. Nach der Elbvertiefung können auch Riesenfrachter mit bis zu 14,50 Meter Tiefgang und mehr als 15 000 Containern an Bord Hamburg erreichen. Auf der anderen Seite stehen besorgte Anwohner der Elbe sowie die Landwirte. Allein die Obstbauern benötigen in einer Frostnacht rund 400 Kubikmeter Wasser pro Hektar, um die Blüten vor Frostschäden zu schützen - bei einer Obstanbaufläche von mehr als 10 000 Hektar sind das gewaltige Wassermengen. "Wenn wir das Elbwasser nicht mehr verwenden können, weil es zu salzig ist, bekommen wir riesige Probleme", sagte Obstbauer Claas Brüggemann aus Bassenfleth. Sein Kollege Hubert Quast aus Jork hofft, "dass in den Verträgen unsere Interessen berücksichtigt wurden".

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Massive Kritik üben die Umweltverbände. "Die Auseinandersetzung um die zu erwartenden ökologischen Schäden an der Tideelbe steht uns noch bevor", sagte Alexander Porschke, Vorsitzender des Nabu Hamburg. Die Elbvertiefung sei mit dem Naturschutzrecht nicht vereinbar. "Unserer Ansicht nach ist es versäumt worden, sowohl Alternativen wie eine Kooperation der deutschen Seehäfen ernsthaft zu prüfen, als auch genügend Ersatz für die zerstörte Natur zu schaffen", so Porschke. Der Nabu warte den Planfeststellungsbeschluss ab und entscheide dann, ob er gegen die Elbvertiefung klagen wird.

Die Landesverbände Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein des Umweltverbands BUND kündigten bereits den Gang vor das Bundesverwaltungsgericht an. "Die Bundesregierung und Hamburg haben einigen Obstbauern und Deichschützern ihre Kritik abgekauft und damit den Weg lediglich für den Planfeststellungsbeschluss frei gemacht", hieß es. Die endgültige Entscheidung über die "unverantwortlichen Eingriffe in die Ökologie des Flusses" falle erst vor Gericht.

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In Hamburg begrüßten sowohl die regierende SPD als auch CDU und FDP die Entscheidung. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel sprach von einem "wichtigen Meilenstein für ein Infrastrukturprojekt von nationaler Bedeutung". CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich verwies auf die Verdienste seiner Partei: "Unsere jahrelange Arbeit für die Zukunft des Hamburger Hafens hat sich gelohnt." FDP-Wirtschaftsexperte Thomas-Sönke Kluth dankte der schwarz-gelben Bundesregierung für den "erheblichen finanziellen Beitrag" zur Deichsicherheit und zur Abwendung von Beeinträchtigungen für den Obstanbau.

Kritik kam von Grünen und Linkspartei. "Die verstärkte Strömung hat schon bei der letzten Vertiefung zu großen Deichsicherheitsproblemen in Niedersachsen geführt", sagte Norbert Hackbusch (Linke). Eine abermalige Vertiefung verstärke die Versalzung der Elbe, den Tidenhub und damit die Sturmflutgefahr. Anjes Tjarks (GAL) verwies auf die Kosten, die sich seit 2004 verdreifacht hätten. "Bevor hier Hunderte Millionen in der Elbe verbuddelt werden, muss der Senat eine neue Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen."

Auch in Hannover übte die Opposition harsche Kritik. Daniela Behrens (SPD) warf Ministerpräsident McAllister vor, den Beschluss nicht selbst verkündet zu haben. "Er möchte sich weiterhin in seinem Wahlkreis Cuxhaven für die Deichsicherheit aussprechen und den Obstbauern Verständnis vorgaukeln können." Aus allen Rohren schossen gut neun Monate vor der Landtagswahl auch Linke und Grüne. "CDU und FDP haben an der Niederelbe betrogen", sagte Grünen-Fraktionschef Steffen Wenzel. Die Regierung habe die "Interessen der Reeder" vor die Deichsicherheit gestellt.

In Schleswig-Holstein, das im März der Elbvertiefung zugestimmt hatte, reagierte die schwarz-gelbe Regierung erleichtert. "Die Entscheidung Niedersachsens ist gut für den ganzen Norden", sagte CDU-Vize-Fraktionschef Hans-Jörn Arp. Einen Schulterschluss müsse es jetzt auch beim Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals geben. "Beide Projekte sind zwei Seiten einer Medaille." Kritisch äußerten sich auch in Kiel die Grünen. Sie halten Hamburgs Hafen auch mit Elbvertiefung für nicht wettbewerbsfähig und setzen auf den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven.