Landeskriminalamt Niedersachsen richtet eigenes Team ein. Schon in der Testphase acht Fälle gelöst. Datenschützer kritisieren das Projekt.

Hannover. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat sich trotz massiver Bedenken des Datenschutzbeauftragten Joachim Wahlbrink entschieden: Die Polizei geht künftig über das soziale Netzwerk Facebook landesweit auf Verbrecherjagd. "Eine modern aufgestellte und für die Zukunft ausgerichtete Polizei kann und darf sich den sozialen Netzwerken nicht entziehen", so Schünemann.

Nun wird ein eigenes Team beim Landeskriminalamt (LKA) eingerichtet, das rund um die Uhr einsatzbereit ist. Diese Spezialisten werden künftig die einzelnen Fahndungsaufrufe verantworten. Die öffentliche Suche nach mutmaßlichen Straftätern oder auch nach vermissten Personen ist nämlich eine "hoheitliche Tätigkeit". Und genau an diesem Punkt setzte in der Vergangenheit die massive Kritik der Datenschützer ein. Ein Jahr lang hatte die Polizeidirektion Hannover die Facebook-Fahndung als Modellprojekt getestet, und jeder Fan dieses Internetauftritts konnte Fahndungsfotos und den dazugehörigen Text aufrufen - immer direkt bei Facebook und gespeichert auf den Rechnern des Netzwerks in den USA.

Für diesen Datentransfer, so Datenschützer Wahlbrink, fehlte jede Rechtsgrundlage. Künftig aber wird auf der Facebook-Seite der Polizei nur noch darauf verwiesen, dass es einen Fahndungsaufruf gibt. Jeder User, der den Button dieses Hinweises anklickt, wird automatisch auf Server der Polizei umgeleitet. Schünemann versicherte dazu gestern: "Die Hoheit über die personenbezogenen Daten, insbesondere Speicherung und Löschung, bleibt bei der Polizei. Damit finden die datenschutzrechtlichen Belange Beachtung."

Dafür, dass der Minister trotz bekannter weiterer Vorbehalte des Datenschützers die Facebook-Fahndung massiv ausweitet, gibt es Gründe. Im einjährigen Testbetrieb bei der Polizeidirektion hat es via Internet acht Erfolge gegeben. So wurde mithilfe von Facebook ein Sexualverbrechen aufgeklärt, ein verschwundenes Mädchen binnen weniger Stunden aufgefunden.

+++ Kommentar: Dilemma Datenschutz +++

Faszinierend aus der Sicht der Polizei ist an Facebook die hohe Verbreitung von Fahndungsaufrufen binnen kürzester Zeit. Inzwischen sind bei der Polizei Hannover fast 100 000 Fans registriert, die via Facebook sofort erfahren, wenn eine neue Öffentlichkeitsfahndung beginnt. Unterstellt, jeder Fan teilt diese Information mit zehn Freunden, die ihrerseits weitere Freunde informieren, so erreicht die Polizei ein Millionenpublikum. Facebook hat bundesweit rund 22 Millionen Nutzer, meist aus der Altersgruppe zwischen 18 und 34 Jahren. Das ist nicht nur die Altersgruppe mit der größten Wahrscheinlichkeit, Täter oder Opfer einer Straftat zu werden. Es ist auch die Gruppe, die am wenigsten Zeitung liest und damit für herkömmliche polizeiliche Fahndungsaufrufe am schlechtesten zu erreichen ist. Für den Minister ist klar: "Diese junge Generation müssen wir in Fahndungen einbinden, auf diesen Mehrwert können wir nicht verzichten." Schünemann geht davon aus, dass im Rahmen der Konferenz der Innenminister absehbar Beschlüsse gefasst werden über die bundesweite Einführung dieser Fahndungsmethode.

Doch der Datenschutzbeauftragte Wahlbrink zeigt sich nicht nur irritiert, weil er von der Entscheidung Schünemanns erst durch Medienvertreter erfahren hat. Wahlbrink glaubt auch, dass der Minister rechtlich immer noch "in einer tiefgrauen Zone unterwegs ist und es weiter Rechtsbrüche gibt". Auch, falls künftig die Fahndungsinhalte nicht mehr auf dem Umweg über die USA zu den Nutzern gelangten, bleibe es bei anderen Problemen: "Jeder Nutzer hinterlässt Datenspuren beim Netzwerk, die unverändert zu kommerziellen Zwecken genutzt werden können." Was ihn aber vor allem in Rage bringt, ist die Unmöglichkeit, einmal veröffentlichte Fahndungsaufrufe wieder wirksam zu löschen: "Das Internet kennt kein Radiergummi." Wer als Jugendlicher oder junger Erwachsener einmal öffentlich gesucht worden sei, dem hänge das ein ganzes Leben nach - etwa bei der Suche nach einem Arbeitsplatz: "Das ist ein Pranger für die Ewigkeit." Entsprechend sieht er, anders als der Minister, dringenden Bedarf, den Paragrafen 131 der Strafprozessordnung neu zu fassen - "etwa mit Beschränkung auf besonders schwere Fälle". Der Paragraf beschreibt die Voraussetzungen für eine öffentliche Fahndung: "Dieser Paragraf stammt aus einer Zeit vor dem Internet und den Netzwerken."

Gegen den Auftritt der Polizeiakademie Niedersachsen auf Facebook hat Wahlbrink dagegen überhaupt keine Einwände. Die Polizeiakademie hat zunehmend Probleme, genügend Nachwuchskräfte für den Polizeidienst zu bekommen. Das hat sich allerdings schon etwas gebessert. Und zwar seit Mai 2011, seit dem Start der Nachwuchswerbung im Internet. Fast 55 Prozent der jungen Männer und Frauen, die sich seither beworben haben, wurden über die Fanpage aufmerksam.