20.000 Christen sind nach Ratzeburg gekommen, um die Vereinigung der Landeskirchen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zu feiern.

Ratzeburg. Auf dem Marktplatz liegt die Nordkirche. "Guckt mal, hier ist Schwentinental", ruft Birte Eckhard, 42, ihre Familie zu einem kleinen Punkt bei Kiel. Vor Hamburg kniet ein junger Mann und klebt ein kleines weißes Segel auf eine Stelle, an der er die Timotheus-Gemeinde in Horn vermutet. Und 20 Meter weiter sucht Peter Rohde, 62, Schmedshagen. "Das ist bei Stralsund", sagt er. Selbstfindung auf der neuen Landkarte der Kirche im Norden. "Es wird deutlich, wie groß das Gebiet ist", sagt Reiner Führ, 67. Er hat sein Segel im mecklenburgischen Zahrnsdorf gesetzt. Ein bisschen skeptisch guckt er noch. "Wichtig ist", sagt er, "dass der Pastor im Dorf bleibt."

Aus drei wird eins: Am Pfingstsonntag haben fast 20.000 Christen die Gründung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland - so der offizielle Name - mit einem Gottesdienst in Ratzeburg gefeiert. Die neue Kirche reicht von Helgoland über Hamburg bis zur polnischen Grenze. Es ist die erste Ost-West-Fusion, und mit 2,3 Millionen Mitgliedern die fünftgrößte Kirche in Deutschland. Die Nordelbische, Mecklenburgische und Pommersche Landeskirche sind Geschichte.

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Kurz vor 10 Uhr reißt der Himmel auf, die Sonne vertreibt die dunklen Wolken. Während im Dom die fünf Bischöfe zu den ersten Orgelklängen einziehen, haben sich vor dem Rathaus 3500 Besucher vor einer Großbildleinwand eingefunden - Public Viewing mal anders. "Komm, Heiliger Geist, bring uns in Bewegung", betet Pröpstin Frauke Eiben. Dann sind die Posaunenbläser dran. Auf der Wiese steht Kai Becker, 43, mit seiner Familie und sagt: "Ich finde, es ist ein Grund zur Freude, dass die Kirche sich auf die Zukunft ausrichtet." Um 3 Uhr sind sie aufgestanden, um 4 Uhr losgefahren. Aus Eggesin kurz vor der polnischen Grenze, um bei dem Gründungsfest dabei zu sein. "Kirchengeschichtlich ist das ein Ereignis, das so bedeutsam ist wie die Reformation", sagt der Pastor.

Kommentar: Ein guter Anfang

Es herrscht fast so etwas wie Festival-Atmosphäre unter den alten Linden. Und auch im Festgottesdienst mit Hunderten Ehrengästen, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, die Regierungschefs von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sowie dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, präsentiert sich die Kirche offen und freundlich, mit viel Musik. Einmal wird es ganz still, drinnen und draußen - als die Bischöfe gemeinsam eine Erklärung als Gründungszeremonie lesen. "Wir sind aufgebrochen aus Vertrautem. Nichts ist mehr wie vorher", hatte der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich vorher in seiner Predigt gesagt. "Und doch: Wir sind gelandet auf gutem Grund." Die Kirchenfusion sei so gesehen ein Lernen hin zum Verstehen gewesen, durch das Vorurteile verschwunden seien.

Es ist viel von Aufbruch die Rede, an diesem Tag eins der Nordkirche. Sein Blick gehe zuversichtlich und gläubig in die Zukunft, sagt auch der gut gelaunte Bundespräsident in seinem Grußwort. Der ehemalige mecklenburgische Pfarrer wirbt um Vertrauen für neue Wege. Und dafür, die Unterschiede nicht zu fürchten. Sein Manuskript hatte er beiseitegelegt und frei gesprochen, ohnehin stehe er hier nicht als Staatsoberhaupt, sondern "als Christenmensch". Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) warnt davor, eine solche Kirchengründung zu überschätzen. Entscheidend für das christliche Leben sei die Nähe der Gläubigen zu ihrer Kirche - "nicht der Name, der darübersteht".

Was sich für die Kirche ändert

Viele Menschen in den mehr als 1000 Gemeinden sehen das ähnlich, auch wenn an diesem Pfingstsonntag die Freude überwiegt. Sie sind gekommen, um sich kennenzulernen, miteinander zu feiern, zu singen und zu essen. Unter freiem Himmel sitzen sie an weiß gedeckten Tafeln auf dem Palmberg vor dem Dom, in Anlehnung an die biblische Geschichte von der Speisung der 5000. "Wir haben 10 000 Brötchen aufgetischt, 10.000 Würste, 500 Kilogramm Käse und mehr als 600 Schalen Erdbeeren", sagt Maya Schwennesen, die mit 250 Pfadfindern das erste gemeinsame Mahl der Nordkirche organisiert hat. An einem der Tische sitzen Manuela, 42, und Werner Döding, 57, aus Mölln. Zufällig seien sie auf einem Radausflug bei dem Kirchenfest gelandet - und geblieben. "Es gefällt uns total", sagen sie. Und als zum Schluss noch ein Lied angestimmt werden soll, singen beide mit: "Danket, danket dem Herrn." Irgendwann am Tag hat Kirsten Fehrs, Bischöfin von Hamburg und Lübeck, gesagt: "Das ist Pfingsten live."

Die gute Stimmung ist ansteckend, auch viele Ratzeburger feiern mit. "Wir sind stolz darauf, dass diese Ost-West-Vereinigung hier stattfindet", sagt Ingelore Moldenhauser, 78. Den ganzen Tag ist die Stadt, die geografisch in der Mitte der Nordkirche liegt, für den Verkehr gesperrt. In 60 Zelten kann man sich über die Angebote der Nordkirche informieren. Es gibt Öko-Bratwurst und alkoholfreies Bier. "Die Atmosphäre ist toll", schwärmt Susanne Becker, 26, Theologin aus Kiel. "Ich habe viele Menschen kennengelernt."

Anderen ist das bunte Treiben fast schon zu viel. "Mir fehlt ein Augenblick der Stille", sagt Astrid Gloyer, 63, aus Stuvenborn bei Segeberg. Auch einige Schwierigkeiten blitzen auf. Etwa beim Umgang mit Homosexualität, wo es große Unterschiede zwischen dem liberalen Hamburg und dem konservativen Vorpommern gibt.

Erst am Nachmittag leert sich die Stadt langsam. Auf der begehbaren Landkarte sind inzwischen viele Segel gesetzt. "Das Fest ist ein toller Auftakt für die Nordkirche", sagen die Eckhards aus Schwentinental. Und Vorpommer Peter Rohde meint: "Schön wäre jedes Jahr ein Nordkirchen-Tag."