Dänen-Ampel: Für die geplante Regierung in Schleswig-Holstein gibt es kein politisches Vorbild - und nur eine hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit.

Nach dem Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Wahl kündigt sich in Schleswig-Holstein ein bundesweit einzigartiges Polit-Experiment an. SPD, Grüne und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) wollen eine Dänen-Ampel schmieden, bei der eine von der Fünf-Prozent-Klausel befreite Minderheitenpartei den Mehrheitsbeschaffer macht, dem rot-grün-blauen Bündnis also zur Ein-Stimmen-Mehrheit im Kieler Landtag verhilft. "Eine Mehrheit ist dazu da, dass man sie nutzt", sagt Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig, der Spitzenkandidat der SPD - und absehbar der neue Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

Südlich der Elbe mögen sich politische Beobachter verwundert die Augen reiben, zwischen Nord- und Ostsee ist die Dänen-Ampel keine Überraschung. SPD, Grüne und SSW ticken links, haben in der Opposition eng zusammen gearbeitet und bereits in den vergangenen Wochen, als durch den Siegeszug der Piraten die rot-grüne Umfragemehrheit zusehends schmolz, den Fahrplan für eine Dänen-Ampel aufgestellt. Noch in dieser Woche will das Trio erste Sondierungsgespräche führen, nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen dann an der Kieler Förde mit den Koalitionsverhandlungen beginnen.

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Vom Erfolg sind SPD, Grüne und SSW fest überzeugt. Die drei Parteien hatten, wie das Abendblatt berichtete, schon vor der Landtagswahl vereinbart, am 9. Juni zu außerordentlichen Parteitagen einzuladen und dort den Koalitionsvertrag von der Basis absegnen zu lassen. SPD und Grüne tagen in Neumünster, der SSW in Flensburg, der kleinen Metropole des Grenzlandes. Der Termin, ein Sonnabend, ist wohlgewählt. Am folgenden Dienstag steht die Wahl des Ministerpräsidenten im Kieler Landtag an.

In den Reihen der Dänen-Ampel gibt es kaum Zweifel, dass die drei Parteien sich am Ende auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen. Selbst bei CDU und FDP wird eingeräumt, dass die Ampel wohl angehen wird. Ein Selbstgänger ist das rot-grün-blaue Bündnis gleichwohl nicht, weil die drei Parteien in vielen Bereichen unterschiedliche Positionen vertreten und in der Frage, wie Schleswig-Holstein es mit Hamburg halten soll, sogar fast hoffnungslos über Kreuz liegen.

Klar ist, dass der SSW den rot-grünen Partnern nicht zum Nulltarif in die Regierung hilft. Angeschaltet wird die Ampel nur, wenn die schwarz-gelbe Sparaktion bei den 47 Privatschulen der Minderheit im Landesteil Schleswig rückgängig gemacht wird. CDU und FDP hatten den Zuschuss von 100 Prozent (deutsche Schulen) auf 85 Prozent gesenkt, dadurch 3,9 Millionen Euro im Jahr gespart und die gesamte Minderheit gegen sich aufgebracht.

Die Fraktionschefin des SSW, Anke Spoorendonk, stellt in dem Gespräch mit dem Abendblatt klar, dass es bei den Schulen keinen Verhandlungsspielraum gibt, weil die Minderheitenpolitiker sich sonst im Grenzland nicht mehr blicken lassen könnten. Erst vor gut zwei Wochen hatten in Flensburg an die 12 000 Dänen-Deutsche die Gleichbehandlung ihrer Lehranstalten gefordert. SPD und Grüne dürften dem SSW den Wunsch erfüllen, wenn auch teils mit schwerem Herzen. Wirklich schlecht geht es den dänischen Schulen nämlich trotz der Kürzung nicht. Sie werden mit Millionenbeträgen aus dem Königreich Dänemark unterstützt.

Mit den Schulen allein wird sich der SSW nicht zufrieden geben. Die Partei will "auf Augenhöhe" mitregieren und beansprucht eins der bisher sieben Ministerien. Spoorendonk lässt dabei keinen Zweifel daran, dass der SSW sich nicht mit Randressorts wie etwa Frauen oder Gleichstellung abspeisen lässt. "Wir wollen nicht am Katzentisch sitzen." Im Vergleich mit anderen Parteien dürfte der Preis für die Stimmen des SSW aber vergleichsweise niedrig sein. 2005, als eine rot-grüne Minderheitsregierung sich eine Tolerierung durch den SSW erkaufte, wurden die Mehrkosten auf gut 20 Millionen Euro im Jahr geschätzt. Damit ist es aber nicht getan. Die Dänen-Ampel wird den schwarz-gelben Sparkurs in den Schulen aufweichen, Kürzungen wie etwa beim Landesblindengeld zumindest teils revidieren. Wie solche koalitionsbedingten Mehrausgaben finanziert werden sollen, ist offen. Die übliche Praxis, Polit-Bündnisse über höhere Schulden zu schmieden, ist in Schleswig-Holstein weitgehend versperrt.

Das Pleiteland muss die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen, sein strukturelles Defizit von 1,32 Milliarden Euro (Ende 2010) bis 2020 auf null senken. Noch brisanter für die Dänen-Ampel ist der Konflikt um das künftige Verhältnis zu Hamburg, dem wichtigsten Nachbarn Schleswig-Holsteins. Für den SSW ist ein Nordstaat Teufelswerk, selbst der von der SPD geforderte gemeinsame Parlamentsausschuss geht der Minderheitenpartei zu weit. Ganz anders die Grünen: In der Öko-Partei liebäugeln viele mit einem Nordstaat. In den nächsten Monaten will die Partei dazu sogar ihre Mitglieder befragen. Das Ergebnis könnte zum Sprengsatz der Dänen-Ampel werden.

Im Visier haben SPD, Grüne und SSW aber vorerst die nächsten Hürden, den Koalitionsvertrag und die Wahl Albigs zum Ministerpräsidenten. Nicht nur im Landeshaus werden hier Erinnerung an den ersten Dänen-Ampel-Versuch 2005 wach. Das Bündnis, das damals wie heute nur eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag hatte, schaffte es in vier Wahlgängen nicht, die nötige Mehrheit für die Wahl von Heide Simonis (SPD) zur Ministerpräsidentin zusammenzubekommen.

Der "Heide-Mörder" wurde nie "gefasst", er könnte immer noch im Landtag sitzen. Echte Gefahr droht Albig gleichwohl nicht. Anders als vor sieben Jahren, als Simonis nicht mehr Stimmen als Carstensen bekam, ist die Opposition gespalten. Einige Piraten haben bereits durchblicken lassen, dass sie Albig und in Einzelfragen auch die Dänen-Ampel unterstützen würden. Die Koalition aus drei Parteien könnte Schleswig-Holstein also ab und zu mithilfe einer vierten Partei regieren. Auch dafür gibt es in Deutschland bisher kein Vorbild. Eine Blaupause liefert allenfalls Dänemark. Im Königreich ist es nicht unüblich, dass Regierungen ihre Mehrheiten im Parlament suchen und meistens auch finden.