Schleswig-Holsteins Wähler machen es den Parteien schwer - und umgekehrt

Angela Merkel hat sich geirrt. Vor knapp einer Woche hatte die Bundeskanzlerin im Abendblatt-Interview gesagt, dass die Landtagswahl in Schleswig-Holstein eine sei wie jede andere. Seit gestern wissen wir: Das war falsch. Denn erstens haben die Piraten es nun in einem weiteren Flächenland in ein Parlament geschafft, Nordrhein-Westfalen dürfte am kommenden Sonntag folgen. Zweitens können sich die schon verloren geglaubten Liberalen die Fünf-Prozent-Marke plötzlich wieder von oben ansehen. Und drittens zeigt das Ergebnis von Schleswig-Holstein, was künftig das größte Problem der beiden großen Parteien sein dürfte.

Wenn SPD und CDU nicht gemeinsam eine Koalition bilden wollen, was ja rechnerisch immer geht, werden sie sich in den kommenden Monaten und Jahren nicht nur neue, sondern meistens mehr als einen Partner suchen müssen. In Kiel dürfte es aller Voraussicht nach schon einmal eine Dreierkonstellation geben - was das Regieren nicht gerade einfacher macht. Aber auch darauf wird man sich in Deutschland einstellen müssen.

Dass man in Schleswig-Holstein lange auf Klarheit über mögliche Mehrheiten warten muss, hat fast schon Tradition - und war gestern trotzdem überraschend. Denn wer hatte ernsthaft damit gerechnet, dass die CDU nach der Affäre ihres eigentlichen Spitzenkandidaten Christian von Boetticher mit einer 16-Jährigen, dem entsprechenden Rücktritt und der Nachnominierung von Jost de Jager noch einmal so stark werden würde? Und das ohne den mächtigen Landesvater Peter Harry Carstensen? Alles sprach für die SPD und den beliebten Torsten Albig, der am Ende trotz Stimmenzuwächsen einer der großen Verlierer des Abends war, auch wenn er immer noch Ministerpräsident werden kann. Doch wenn man die CDU nicht jetzt klar schlägt - wann dann?

Überhaupt hat sich die schwarz-gelbe Koalition erstaunlich wacker gehalten. Es reicht zwar nicht für eine Fortführung, aber für Rot-Grün reicht es eben auch nicht. Dafür bleibt die FDP, nach unvorstellbaren 1,2 Prozent bei der letzten Landtagswahl im Saarland, endlich einmal wieder in einem Parlament und könnte in diesem sogar an einer Regierung beteiligt sein.

Keine Frage: Obwohl seine Partei Stimmen verloren hat und klar hinter den Grünen liegt, ist Wolfgang Kubicki der gefühlte Sieger des Abends. Das nützt in erster Linie ihm, in zweiter der Schleswig-Holsteiner FDP, aber so gut wie gar nicht Philipp Rösler. Der Bundesvorsitzende wird angesichts des Kieler Ergebnisses nicht gut schlafen können, auch wenn das Kubicki gestern Abend in seiner leicht süffisanten Art prophezeite. Denn Rösler weiß genau: Das Ergebnis in Kiel ist nicht zustande gekommen, weil, sondern obwohl er FDP-Chef ist. Von dort auf Berlin zu schließen, verbietet sich.

Es bleiben zwei Fragen. Die erste: Was machen die Parteien in Schleswig-Holstein mit diesem zutiefst vagen Wählerauftrag? Dem Land - und seinem wichtigsten Partner Hamburg - wäre zu wünschen, dass die neue Regierung so stark wird, dass dem Norden weitere Peinlichkeiten, Skandale und vor allem vorgezogene Neuwahlen erspart bleiben.

Frage Nummer zwei: Wie kann es sein, dass selbst bei einer spannenden Entscheidung so wenig Menschen zur Wahl gehen? Wieso ist es insbesondere der SPD trotz des möglichen Regierungswechsels und des angesehenen Spitzenkandidaten nicht gelungen, mehr ihrer Anhänger zu mobilisieren? Die Zahlen, um die 60 Prozent, machen ratlos und traurig und relativieren selbst das Ergebnis der Piraten. Denn die mit Abstand stärkste Gruppierung bei der Wahl in Schleswig-Holstein waren, einmal mehr, die Nichtwähler.

Das schadet Parteien wie der SPD, das schadet vor allem aber unserer Demokratie. Die ist nämlich aufs Mitmachen angelegt. Und sei es nur alle fünf Jahre.