Die Nutzung der Kernenergie ist fast klimaneutral. Aber mangelnde Flexibilität und hohe Investitionskosten sprechen gegen den Ausbau.

Die Kernenergie ist vor allem eines: umstritten. Fast hätte dieser Streit die Verabschiedung des dritten Berichts des Weltklimarates IPCC torpediert. "Noch am frühen Morgen der letzten Nacht mussten wir erneut einen Kompromiss finden", berichtet Prof. Olav Hohmeyer, der an den Verhandlungen in Bangkok teilgenommen hat. Das Ergebnis der heftigen Debatte ist, dass nach Auffassung des IPCC die Kernkraft bis zum Jahr 2030 bis zu 18 Prozent des Weltstrombedarfs decken kann, sofern das Problem der Endlagerung gelöst und die Gefahr gebannt ist, dass radioaktive Substanzen in falsche Hände gelangen. Allein 2005 berichtet die Internationale Atomenergie-Behörde in Wien (IAEA) von 103 Fällen von illegalem Handel mit atomarem Material.

Derzeit liefern 435 Atomkraftwerke in 31 Ländern 16 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Dabei besteht kein Zweifel, dass beim Betrieb eines Kernkraftwerkes so gut wie kein Kohlendioxid anfällt. Daher könnte diese Technik dazu beitragen, den Ausstoß an Treibhausgasen zu verringern. "Auch der Uranabbau und Transport verursachen keine hohen Klimakosten. Hingegen kann die Anreicherung des Urans sehr energieintensiv sein", sagt Hohmeyer. So setzen die Franzosen zur Herstellung des Brennstoffs Uran 235 das sehr aufwendige Gasdiffusionsverfahren ein. Im niederländischen Almelo hingegen erfolgt die Anreicherung mit Ultrazentrifugen. "Diese verbrauchen nur einen Bruchteil der Energie der Gasdiffusion."

Auch die Lagerung der abgebrannten Kernstäbe im Endlager schraubt die CO2-Bilanz nicht nach oben. "Wer allerdings den Atommüll per Rakete zur Sonne schießen oder physikalisch neutralisieren will, der wird die Energiebilanz der Atomkraft dramatisch verschlechtern", stellt Hohmeyer klar.

Außerdem kann die Wärme, die die Kraftwerke produzieren, nicht als Nah- oder Fernwärme genutzt werden - stehen die Reaktoren doch weit entfernt von möglichen Abnehmern. Und mit regenerativen Energien ist diese Technik auch nicht kombinierbar. "Schließlich kann man ein Atomkraftwerk nicht kurzfristig vom Netz nehmen und wieder anfahren. Doch genau diese Flexibilität brauchen wir, um die Erträge von Wind und Sonne wirklich nutzen zu können", erläutert Hohmeyer, der Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft an der Uni Flensburg ist. Er verweist auf eine Studie seines Teams. Die Forscher simulierten, welche Auswirkungen ein gutes, ein mittleres und ein schlechtes Windjahr auf die vorhandenen Kraftwerke haben wird. "Sie laufen dann nur noch in Mittellast, also nicht voll ausgelastet, oder müssen abgeschaltet werden, damit der regenerative Strom ins Netz fließen kann", so der Forscher. Statt auf Atomkraft als Brückentechnologie setzt Hohmeyer auf Erdgas.

"Der Bau eines Gaskraftwerkes kostet nur einen Bruchteil von dem eines Atomkraftwerks. Die Investitionskosten sind auch geringer als die von Kohlekraftwerken und haben sich in fünf bis acht Jahren amortisiert. Läuft ein Gaskraftwerk nur in Mittellast oder steht es still, fallen somit nicht so hohe Verluste an. Außerdem können Gaskraftwerke technisch viel flexibler gesteuert werden." Sie sind daher eine ideale Brückentechnologie, bis regenerative Energien die Welt versorgen.

Dabei ist unstrittig, dass höhere Energieeffizienz, Wind, Sonne und Geothermie allein für eine sichere Energiezukunft nicht ausreichen. Vielmehr kommt der Biomasse die Schlüsselrolle zu. Mit ihr kann man Wärme, Kraftstoff oder Strom erzeugen. "Allerdings muss die Biomasse so erzeugt werden, dass es keine Konkurrenz zur Nahrungibt, und der Anbau muss garantiert nachhaltig sein. Nur dann wird der Einsatz der Biomasse klimaneutral sein", betont Hohmeyer ausdrücklich.

Strom aus Wind und Sonne, der nicht sofort benötigt wird, könnte in Pumpspeicherkraftwerken gespeichert werden. Hohmeyer: "Im Norden Deutschlands könnten Druckluftkraftwerke diese Rolle übernehmen. Ein Prototyp steht im niedersächsischen Huntorf." Die Luft wird mit einem elektrisch angetriebenen Verdichter komprimiert und unter hohem Druck in Salzstöcke gepresst. Wenn Strom gebraucht wird, strömt sie aus den Kavernen zurück und treibt eine Turbine an. Caes - gesprochen Käs - heißt diese Art der Stromspeicherung: Compressed Air Energy Storage. Noch hat sie einen Nachteil: Der Wirkungsgrad liegt nur bei 20 Prozent. "Bis zu 65 Prozent sind machbar", sagt Hohmeyer. Dann wäre diese Technik auch kurzfristig interessant - interessanter als Wasserstoff. "Wasserstoff wird erst ab 2040 oder 2050 attraktiv, wenn die Windkraft hohe Stromüberschüsse liefert oder große Solaranlagen in der Sahara so viel Strom erzeugen, dass die Verteilung über eine intelligentes Stromnetz nicht ausreicht." Letzteres müsse jetzt aufgebaut werden.

Wer also die Laufzeiten von Kernkraft verlängert, warnt Hohmeyer, riskiert, dass Geld gebunden wird, das dringend für den Einstieg in eine sichere Energiezukunft gebraucht werde.