Neurowissenschaft: Welche Entscheidungen wir auch immer treffen - stets sind Gefühle dabei im Spiel. Dafür sorgen Netzwerke im Gehirn.

Was wir auch entscheiden, immer beeinflussen Emotionen unser Denken und unser Handeln", sagt Professor Christian Büchel vom Institut für systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Die nüchterne, rationale Entscheidung ist eine Fata Morgana. Das sähen inzwischen sogar die Ökonomen ein, die immer häufiger die Neurowissenschaftler um Rat fragten, um ihre Strategien dem menschlichen Gehirn entsprechend zu verfeinern. Das Gehirn ist - daran lassen neueste Forschungsergebnisse keine Zweifel - ein emotionales Gehirn. Dabei ist der Einfluß der Gefühle von Mensch zu Mensch, von Mann zu Frau unterschiedlich stark entwickelt. Immer aber nisten sich Gefühle in allen Regionen der Großhirnrinde ein. "Da unser Leben durch das Sehen bestimmt wird, beeinflußt das Sehen allerdings auch unsere Gefühle entscheidend", sagt der Neurowissenschaftler.

Wie stark Bilder einen Menschen "verwirren" können, zeigt folgender Versuch: Die Teilnehmer sitzen vor einem Bildschirm und müssen eine Taste drücken, wenn ein bestimmtes Symbol auf dem Bildschirm erscheint. Die Zeit, die vom Auftauchen des Bildes bis zum Drücken der Taste verstreicht, wird gemessen. Werden nun neben dem Symbol emotionale Bilder eingeblendet, verzögert sich die Entscheidung deutlich. "Jedes Gehirn läßt sich bereitwillig vor allem durch Bilder, die Trauer, Wut oder Sex zeigen, ablenken", so der Forscher - der deswegen anmerkt, daß die Fotos halbnackter Frauen an den Straßenkreuzungen die Gefahr von Unfällen erhöhen können.

Es ist die Amygdala, der Mandelkern, die neben dem Hypothalamus und dem Stammhirn das Gehirn auf Emotionen programmiert. Sie ist Teil des Limbischen Systems. Das Limbische System ist eine Ansammlung komplizierter Strukturen in der Mitte des Gehirns, die den Hirnstamm wie einen Saum (lat.: limbus) umgeben. Die Amygdala ist die entscheidende Schaltstelle für die Stabilisierung der Gemütslage, für Aggression und Sozialverhalten. Ob Sehen, Hören, Riechen oder Tasten - die Neurone des Mandelkerns aktivieren die entsprechenden Bereiche in der Großhirnrinde, in denen diese Erfahrungen verarbeitet und gespeichert werden.

Wie entscheidend diese Gehirnstruktur für unsere Gemütslage ist, entdeckten die Forscher kürzlich: Zeigt man einem Versuchsteilnehmer 20 Millisekunden lang das Bild eines ängstlichen Menschens und anschließend sofort 200 Millisekunden lang ein anderes Foto, erinnert sich der Versuchsteilnehmer bewußt an das erste Bild nicht mehr. "Aber mit den bildgebenden Verfahren konnten wir zeigen, daß die Nervenzellen der Amygdala als Reaktion auf das erste Bild aktiv wurden. Es scheint also einen Superhighway zu geben: Sehen und Reagieren, ohne zu wissen, warum", berichtet Büchel. Diese Beobachtung könnte unerklärliche Stimmungsschwankungen erklären.

Das Faszinierende sei, so der Forscher, daß die Amygdala besonders dann stark anspringt, wenn die Gesichter eindeutig vor einer Gefahr warnen. Dieser Befund ist ein weiterer Hinweis darauf, daß Menschen Gefühle im Verlauf der Evolution vor allem deswegen entwickelt haben, um zu überleben und um sich fortzupflanzen. "Die ursprüngliche Aufgabe der Gefühle war, rasch vor Gefahr zu warnen oder Vertrautheit zu signalisieren", erläutert Büchel. Für diese These spricht, daß die Widerspiegelung von Gefühlen wie Freude, Trauer, Zorn und Ekel im Gesicht quer durch alle Kulturen auf dieser Erde verstanden wird.

Kulturabhängig dagegen ist, was die Menschen als Belohnung empfinden - auch wenn im Gehirn für diese emotionale Reaktion stets ein Teil der Basalganglien verantwortlich ist. Die Hirnstruktur wird immer aktiv, wenn wir etwas erleben, daß wir als Belohnung empfinden. "Schon bei Babys sind das süße Speisen", sagt Büchel. Leider bewertet diese Region auch Drogen als Belohnung und fördert so die Sucht.

Gerüche haben in unserem Gehirn immer noch eine Sonderstellung: Sie aktivieren die Nervenzellen der Riechkolben, die ihre Informationen direkt an das Limbische System geben, ohne erst die Hirnrinde zu aktivieren.

Doch auch wenn wir ein emotionales Gehirn haben, der Mensch ist seinen Gefühlen trotzdem nicht vollkommen ausgeliefert. "Der Mensch kann seine Gefühle bewußt wahrnehmen und entscheiden, ob er ihnen folgen will - auch wenn in diese Entscheidung bereits wieder Gefühle einfließen", sagt Prof. Büchel. Der Grund: Jedes Gefühl ändert auch unsere Körperwahrnehmung. Diese Veränderungen nimmt das Gehirn über die sogenannte Inselrinde, die zwischen Schläfen- und Frontallappen liegt, wahr und kann diese Erfahrungen mit in die Entscheidungsfindung einbinden.

Selbst unser Bauchgefühl ist also vom Gehirn abhängig.

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