“Alles über psychische Erkrankungen“ - Das 38. Gesundheitsforum von Hamburger Abendblatt, NDR 90,3 und Hamburg Journal in der evangelischen Stiftung Alsterdorf

Manie, Depression, Angst und Psychose - bei dem Forum in der Ev. Stiftung Alsterdorf ging es um Therapie-Möglichkeiten von seelischen Erkrankungen.

Was ist eine bipolare Erkrankung?

Eine bipolare Erkrankung ist eine manisch-depressive Erkrankung. Das ist eine schwere psychische Krankheit, die aus zwei Teilen besteht, aus einer depressiven Phase und aus einem manischen Teil. Solch eine bipolare Erkrankung kann in diesen beiden Phasen vorkommen, kann aber auch nur in einer Phase vorkommen. In 65 Prozent der Fälle handelt es sich um eine unipolare Erkrankung, nur um eine Depression, und in 30 Prozent der Fälle handelt es sich um eine bipolare Erkrankung, und dann gibt es noch als drittes die unipolare manische Erkrankung.

Dr. Hans-Joachim Funke (Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung des Ev. Krankenhauses Alsterdorf und Ärztlicher Direktor des Klinikverbundes der Ev. Stiftung Alsterdorf

Welche Symptome machen eine Depression?

Wenn der Hausarzt für die Symptomatik des Patienten keine organische Ursache findet, sollte er zumindest den Gedanken haben, dass dies eine psychische Erkrankung sein könnte und den Patienten zum Facharzt überweisen. Die Symptomatik bei der Depression ist sehr vielfältig. Depression ist ja nicht nur Traurigsein. Es gibt auch die so genannte larvierte Depression, die versteckte Depression, die sich dadurch äußert, dass sie nicht primär psychische depressive Symptome zeigt, sondern dass der Patient unter psychosomatischen Erkrankungen leidet, zum Beispiel einer Reizblase, einer Durchschlafstörung oder auch unter Kopfschmerzen. Dr. Funke

Wie kann man eine akute bipolare Erkrankung behandeln?

Man kann die manisch-depressive Erkrankung effizient und gut behandeln. Die manische Erkrankung mit gesteigerter Aktivität und Ideenflucht ist behandelbar mit Medikamenten, die nebenwirkungsarm sind, den so genannten atypischen Neuroleptika. Die Depression kann man behandeln mit den modernen Antidepressiva, die auch sehr nebenwirkungsarm und effizient sind. Bei der bipolaren Erkrankung sollte man nach einer solchen Phase, manisch oder depressiv, eine Rückfallprophylaxe vornehmen. Da gibt es Lithium und zwei unterschiedliche Medikamente gegen die Epilepsie, die die Nebenwirkung haben, dass sie solche bipolaren Erkrankungen mit verhindern oder zumindest lindern können. Dr. Funke

Wie lange dauert die Behandlung einer Depression?

Die Behandlung einer schweren Depression, die auch mit Störungen des Gehirnstoffwechsels zusammenhängt, zum Beispiel mit einem Serotoninmangel, kann sehr lange dauern und sich über Jahre hinziehen.

Dr. Farhad Showghi, Niedergelassener Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Unterfunktion der Schilddrüse und Depressionen?

Eindeutig ja. Das ist auch die Aufgabe der Internisten und Hausärzte. Wir haben nicht nur die Aufgabe zu untersuchen, welche körperlichen Beschwerden seelisch bedingt sind, sondern wir haben auch die Aufgabe zu klären, welche körperlichen Erkrankungen seelische Beschwerden verursachen. So ist es typisch bei einer Schilddrüsenunterfunktion, dass es zu depressiven Störungen, auch zu schweren depressiven Erkrankungen kommt, die dann mit den entsprechenden Medikamenten behandelt werden. Man ersetzt die fehlenden Schilddrüsenhormone mit Tabletten. Das ist in der Regel eine Dauertherapie, und damit ist die Depression meist auch behandelt. Falls dann noch Depressionen auftreten, ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen der psychiatrischen Abteilung wichtig.

Dr. Georg Poppele, Oberarzt der Abteilung für Innere Medizin im Ev. Krankenhaus Alsterdorf

Können psychische Erkrankungen vererbt werden?

Was man weiß, ist, dass bei den bipolaren Störungen zumindest die Veranlagung in der Familie beobachtet wird, genauso bei den Schizophrenien. Das heißt aber nicht, dass diese Krankheit ausbricht, denn dazu gehören noch viele andere Faktoren. Dr. Funke

Was ist eine Psychose?

Eine Psychose ist eine schwere Wahrnehmungsstörung. Wer unter einer Psychose leide, nimmt zum Beispiel wahr, dass er jetzt nicht in diesem Saal ist, oder dass Sie nicht das Publikum sind, sondern er fantasiert, dass es etwas ganz anderes wäre. Dann ist er von dieser Wahrnehmung überzeugt, und dann kann niemand ihn davon überzeugen, dass das nicht der Fall wäre. Das wäre eine Psychose. Dr. Funke

Welche Psychoseformen gibt es?

Im stationären Bereich ist der große Part der Psychosen die Schizophrenie. Der schizophrene Mensch nimmt die Wirklichkeit anders wahr als in unserer Normalität: Wände sind nicht mehr hart, sondern weich, Stimmen kommen aus dem Fernseher und geben Befehle oder kommentieren eigene Gedankenwelten. Dann gibt es noch die so genannten bipolaren oder affektiven Psychosen, wo die Gefühlswelten stark ins Schwanken geraten. Das kann kombiniert sein mit Stimmenhören, mit psychotischen Symptomen, dann nennt man sie schizo-affektive Psychosen. Dabei sind Symptome einer Schizophrenie vorhanden und Schwankungen in der Gefühlswelt, die dann eben wie eine Manie aussehen können. Das heißt: Jemand bestellt sich Autos und ist ganz glücklich mit dieser Welt, und dann kommen die Psychiater und geben Medikamente, und die Welt ist dann nicht mehr so schön. Das kommt leider sehr, sehr selten vor, dass sich jemand in der Manie sehr wohl fühlt, meistens sind es dann doch quälende Stimmen und quälende Gedankenwelten.

Hannelore Labentsch (Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Oberärztin im Klinikverbund Ev. Stiftung Alsterdorf)

Wie behandelt man eine Psychose?

Es gibt unterschiedliche Behandlungsmethoden. Im Vordergrund steht bei Psychosen die Behandlung mit Medikamenten, mit den so genannten Neuroleptika, allerdings kommen dann noch weitere Behandlungsmethoden hinzu. Die Behandlung sollte immer in Kombination mit Gesprächen erfolgen. Unter Umständen ist auch eine stationäre Behandlung notwendig, aber das hängt dann von der Art der Psychose ab, davon, wie diese Psychose ausgeprägt ist. Dr. Farhad Showghi

Was versteht man unter Verhaltenstherapie?

Die beiden großen Therapieformen mit den beiden großen theoretischen Gerüsten sind zum einen die Tiefenpsychologie, die mit dem Unbewussten und mit der frühen Kindheit arbeitet und zum anderen die Verhaltenstherapie. Diese ist bei der Depression offensichtlich die effizienteste Form der Therapie. Sie arbeitet nach lerntheoretischen Modellen, wo das negative Selbstbewusstsein und alltagspraktische Fragen des Patienten direkt behandelt werden. Dr. Funke

Kann man Psychosen mit Psychotherapie behandeln?

Wenn Sie eine psychotische Erkrankung haben, gibt es ein Drei-Säulen Modell. Das eine ist eine moderne, nach neuen neurobiologischen Gesichtspunkten ausgerichtete medikamentöse Therapie. Das andere ist, einen Schutzraum zu bieten, zum Beispiel im stationären Rahmen, in dem die Medikamente wirken können. Das dritte ist die Frage nach der Form der Psychotherapie. Ist der Mensch in der Lage, sie zu verkraften? Denn Psychotherapie bedeutet auch immer die Beschäftigung mit sich selbst, der Erinnerung an Ereignisse. Diese Beschäftigung mit sich selber muss der Mensch aushalten können, egal bei welcher Form der Psychotherapie. Hannelore Labentsch

Wie sinnvoll ist es, ein Patiententagebuch zu führen?

Bei den manisch-depressiven Erkrankungen ist es sehr wichtig, die Vorboten zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren, um einen erneuten Ausbruch der Krankheit rechtzeitig zu verhindern, beispielsweise mit der medikamentösen Therapie. Von daher ist die Selbstbeobachtung, zum Beispiel mit dem Führen eines Patiententagebuches, wichtig, um Vorboten einer manischen Phase zu erkennen, beispielsweise durch Schlafstörungen, durch eine Steigerung des Antriebs und durch euphorische Stimmungszustände. Vorboten einer Depression sind ebenfalls Schlafstörungen mit Antriebslosigkeit und Interessenverlust. Dr. Showghi

Welchen Einfluss haben Hormone auf die Psyche?

Wichtig ist bei allen Erkrankungen, bei denen Körper und Seele eine Rolle spielen, die körperliche Seite genau zu diagnostizieren. Wenn der Hormonstatus nicht stimmt, können sich Antriebsstörungen, Schlafstörungen, alle Symptome einer Depression entwickeln, bis hin zu Wahrnehmungsstörungen und zur Realitätsverkennung. Wie unsere Hormone wirklich auf die Seele wirken, wird erforscht. Es können auch gesunde Frauen, die früher sehr aktiv waren, in einen Zustand geraten, in dem sie plötzlich antriebsarm werden und eine Depression zugeschrieben bekommen, und eigentlich stimmt nur der Hormonstatus nicht. Hannelore Labentsch

Wie kommt es zu plötzlichen Panikattacken, etwa im Kaufhaus?

Zunächst müssen wir uns bewusst sein, dass Angst ein sehr menschliches Phänomen ist und dass wir alle Angst haben. Die Ängste, die ein Patient hat, der unter Panikattacken leidet, können einen Zusammenhang haben mit der Kindheit, mit der Lebensentwicklung des Patienten. Hier ist es erforderlich, dass ein solcher Patient, einen Psychiater oder einen Psychotherapeuten aufsucht. Zunächst sollte eine klare körperliche Diagnostik durchgeführt werden, um auszuschließen, dass zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion dahinter steckt. Danach ist aber zwingend eine psychotherapeutische Intervention notwendig. Dr. Funke

Was kann man tun, wenn ein Angehöriger psychiatrische Hilfe benötigt?

Das ist eine der schwierigsten Situationen. Die Freiwilligkeit zum Beispiel bei einer Psychose gibt es nicht, da die Krankheitseinsicht nicht vorhanden ist. Wichtig ist es, dem Patienten immer wieder zu sagen, dass seine Wahrnehmung nicht mehr mit der Realität zusammenpasst. Sehr häufig kommt es aber doch dazu, dass Amtsärzte eingeschaltet werden müssen. In jedem Stadtteil in Hamburg gibt es einen so genannten sozialpsychiatrischen Dienst, an den sich die Angehörigen wenden können, um sich über die Formalien zu informieren, damit sie nicht selbst in die Rolle des Bösen kommen. Diese Rolle des Bösen, der will, dass eine Behandlung stattfindet, kann dann ein Profi übernehmen. Das müssen nicht die Ärzte im Krankenhaus sein, sondern die sozialpsychiatrischen Dienste haben Fachkräfe, die behilflich sein können und auch nach Hause kommen. Hannelore Labentsch

Was ist das Borderline-Syndrom?

Das Borderline-Syndrom muss man sich so vorstellen, dass jemand nicht weiß, wer er ist, dass er immer nur ein gutes oder ein schlechtes Gegenüber hat, dass es also keine Grauzonen gibt, und dass er alle unangenehmen Empfindungen auf andere Menschen projiziert. Das heißt, dass alles, was im Innenleben als unangenehm empfunden wird, auf einen anderen Menschen übertragen wird. Hannelore Labentsch

Zusammenfassung: Armin Mechakat / Cornelia Werner