Eine zufällige Beobachtung könnte der Ausgangspunkt für die “Pille danach“ und die “Spritze davor“ gegen eine der bekanntesten Tropenkrankheiten werden. Die letzte Kenntnislücke über den komplexen Lebenszyklus des Malaria-Parasiten ist geschlossen.

Er forscht an der "Pille danach" und an der "Spritze davor". Dr. Volker Heussler leitet seit 2002 eine Wissenschaftlergruppe am Bernhard-Nocht-Institut (BNI) in Hamburg-St. Pauli, die sich dem Kampf gegen Malaria verschrieben hat. An dieser Krankheit sterben Jahr für Jahr zwei bis drei Millionen Menschen. "Wir haben gute Chancen, einen wirksamen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln", sagt der Biologe, der von 1993 bis 1996 am renommierten International Livestock Research Institute in Nairobi in Kenia geforscht hat. Es sei auch nicht unrealistisch, eine "Pille danach" herzustellen, um den Ausbruch der Malaria nach dem Stich einer Anopheles-Mücke zu verhindern.

Was ihn so optimistisch stimmt, ist eine Entdeckung, die er im US-Wissenschaftsjournal "Science" veröffentlichte und die ihn zu einem weltweit gefragten Malaria-Experten gemacht hat.

"Es war an einem Sonntag im Mai 2003. Ich hatte das Radio an, es war schön ruhig im Institut. In regelmäßigen Abständen warf ich einen Blick durch das Mikroskop, um zu sehen, wie sich die mit Malaria infizierten Zellen entwickeln. Ich spielte etwas mit der Optik, veränderte die Auflösung. Plötzlich beobachtete ich, dass sich einige mit Parasiten prall gefüllte Zellen aus dem Verbund lösten. Das machte mich stutzig", erzählt Volker Heussler ganz ruhig. Dabei war diese zufällige Beobachtung der Beginn einer sensationellen Erkenntnis. Sie brachte nach zwei weiteren Jahren Forschungsarbeit Antworten auf die bis dahin ungelösten Fragen: Wie gelingt es den Parasiten, die mit dem Mückenstich ins Blut gelangen und in die Leber einwandern, die infizierten Leberzellen so lange am Leben zu erhalten, dass sie sich darin vermehren können? Und wie kommen diese neuen Parasiten aus den Leberzellen heraus, ohne vom Immunsystem vernichtet zu werden?

Die einzelligen Malaria-Erreger werden von der weiblichen Anopheles-Mücke auf den Menschen übertragen. Pro Mückenstich landen etwa zehn bis 100 Sporozoiten - das sind die ungeschlechtlichen Vermehrungsformen des Erregers - im Menschen. Über die Blutbahn wandern sie zur Leber und infizieren etwa zehn bis zwanzig Leberzellen. Dann geschieht schier Unglaubliches: Binnen zwei Tagen stellt jeder Sporozoit in jeder der infizierten Zellen etwa 30 000 bis 40 000 neue Kerne her. Diese versorgt er dann mit Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, und umhüllt das Ganze schließlich mit einer neuen Membran. Jede infizierte Leberzelle schwillt dabei um das Zehnfache an. Gelangen diese etwa 30 000 Krankheitserreger dann ins Blut und vermehren sich, leidet der Mensch unter Fieber, Schüttelfrost, Krämpfen - Malaria bricht aus.

Seit der Entdeckung des Malaria-Parasiten Plasmodium vor 130 Jahren waren viele Tricks des Erregers durchschaut worden. Mit seiner Grundlagenforschung schloss Volker Heussler schließlich die letzte Kenntnislücke über den komplexen Lebenszyklus des Malaria-Erregers.

"Was ich beobachtet hatte, hatte noch nie jemand zuvor gesehen", dessen war sich Heussler an jenem Sonntag im Mai 2003 sofort sicher. Jetzt galt es zu zeigen, dass die Beobachtung kein Laborartefakt war. Mithilfe gentechnisch veränderter, grün leuchtender Parasiten wiesen die Forscher schließlich nach, dass die infizierten Leberzellen immer kleine Membransäckchen bilden. "Der Parasit zwingt die infizierte Zelle, kleine Körperchen zu bilden. Diese haben wir Merosom getauft. In ihnen verstecken sich die Erreger auf ihrem Weg aus der Leberzelle ins Blut vor den Angriffen des Immunsystems", erläutert Heussler.

Um diese "Trojanischen Pferde" herzustellen, nutzt der Erreger viele Tricks. Zunächst einmal sorgt er dafür, dass die Zelle keinen Selbstmord begeht. Das tun normalerweise alle Zellen, die krank oder infiziert sind. "Der Parasit wendet zwei Strategien an. Er fängt die Signale ab, die dem Immunsystem die Gefahr verraten könnten. Konkret lagert er vermehrt auftretende Calcium-Ionen in die kleinen Membransäckchen ein. Außerdem zerschreddert der Erreger alle ,Friss-mich-auf-Signale', die die infizierte Zelle aussendet. Dazu setzt er Proteasen ein, also Eiweiße, die Eiweiße zerlegen", erläutert Heussler. "Die Bildung dieser kleinen Säckchen, der Merosome, können wir im Labor unterbinden, indem wir Protease-Inhibitoren einsetzen." Auf dieser Erkenntnis basiert die Hoffnung der Forscher, eine "Pille danach" entwickeln zu können. Sie müsste die Freisetzung der Erreger aus den Leberzellen stoppen. Sie würden dann binnen drei bis vier Tagen absterben.

Doch zurück zum natürlichen Lebenszyklus, in dem die Erreger noch eine weitere Hürde überwinden müssen. In dem Moment, wo die Merosome abgeschnürt werden, stirbt die Zelle eigentlich sofort - doch das würde auch das sichere Ende der Erreger bedeuten. Sie würden sofort von der Immunabwehr zerstört werden. Damit das nicht geschieht, steuert dieser einzellige Parasit den Zerfall der Wirtszelle so, dass das Immunsystem ihn nicht sofort bemerkt. Somit können die Erreger unerkannt in den Blutkreislauf entweichen.

"Unter dem Mikroskop sieht das wie ein kleiner Vulkanausbruch aus, bei dem jedesmal 20 bis 30 Merozoite frei werden. Zwischen den Ausbrüchen verschließt sich das Merosom wieder", schildert der Biologe. Die Freisetzung verläuft auch deshalb so unbeachtet vom Immunsystem ab, weil der Erreger einige seiner Art an anderer Stelle opfert. "Ein Teil der Parasiten verbleiben in der Leberzelle und sterben. Das Immunsystem registriert: alles in Ordnung. Der Erreger täuscht es also vorsätzlich", erläutert Heussler.

Doch man kann Plasmodium auch überlisten. Zusammen mit einer Forschungsgruppe aus Portugal gelang es dem Hamburger im Maus-Versuch zu zeigen, dass ein Lebendimpfstoff die Tiere zu 100 Prozent vor dem Ausbruch der Malaria schützen kann. Die Strategie: Man stelle auf gentechnischem Weg Malaria-Erreger her, die zwar in die Leberzellen eindringen, aber nicht mehr ausschwärmen können. Dann sterben sie in den Leberzellen ab. Dadurch wird das Immunsystem auf sie aufmerksam und bildet Antikörper gegen den Erreger. Bei einer nächsten Infektion werden sie sofort angegriffen und getötet.

Auch wenn die Impfung erst in der Maus funktioniert, das Prinzip müsste auf den Menschen übertragbar sein. Deshalb ist Volker Heussler davon überzeugt, dass binnen fünf Jahren ein Impfstoff für den Menschen hergestellt werden kann. Die "Spritze davor" ist keine Utopie mehr.

Was sind Parasiten?: Es sind Bakterien-, Pflanzen- oder Tierarten, die sich an oder in einem anderen Lebewesen aufhalten und daraus einseitigen Nutzen ziehen. Das Wort ist griechischen Ursprungs und bezeichnet Vorkoster bei Opferfesten, die Essen erhielten, ohne etwas zu leisten.

Weitere Informationen im Internet: Es gibt einen Film auf der Internet-Seite des Bernhard-Nocht-Instituts: http://www.bni-hamburg.de/malaria/