Fortpflanzungsmedizin: 100 000 Kinder in Deutschland dank Samenspende. 90 000 Kinder, die mit Fremdsamen erzeugt wurden, wissen es nicht. Ein Grund: Diese medizinische Technik ist als unmoralisch verpönt.

Ich danke der Hebamme und dem Samenspender", lautet der Text einer Geburtsanzeige - nicht in Europa, sondern in Australien. Dort sei die Befruchtung von Frauen mit Fremdsamen, um Kinderlosigkeit zu überwinden, längst kein Tabuthema mehr, sagt Professor Thomas Katzorke. Der Essener Reproduktionsmediziner ist Vorsitzender des Vereins "Donogene Insemination". Der 1995 gegründete Verein will die gesellschaftliche Akzeptanz für Kinderwunschbehandlung mit Fremdsamen fördern. Obwohl diese Behandlungsmethode in Deutschland lange erlaubt ist, haftet ihr immer noch der Ruch des Unmoralischen an. Dabei sind bereits rund 100 000 Kinder allein in Deutschland auf diesem Weg gezeugt worden - 90 000 von ihnen wissen es allerdings nicht, vermutet Thomas Katzorke.

"Ich möchte den Spender treffen, weil er die Hälfte meiner Gene ausmacht. Er ist ein Teil meines Lebens, über den ich nichts weiß", so Claire, die als erstes US-Spendersamenkind vor vier Jahren Kontakt zum genetischen Vater aufnahm. Entschieden wirbt auch der deutsche Verein "Spendersamenkinder" dafür, die Kinder aufzuklären. "Aus unser Sicht sollte die Aufklärung möglichst früh geschehen, damit beim Kind später nicht das Gefühl aufkommt, daß ihm die Eltern etwas verheimlicht haben, oder es gar zufällig herausfindet, daß es ein Spendersamenkind ist", lautet der einmütige Rat von Eltern, die Mitglied des Vereins sind.

Es gibt noch einen triftigen Grund, warum die Kinder die Wahrheit erfahren sollten: Die Gefahr von inzestiösen Beziehungen. Nur das Wissen um die Herkunft kann verhindern, daß Halbgeschwister sich ineinander verlieben, ein Paar werden und gemeinsame Kinder zeugen. Zwar weist Professor Katzorke darauf hin, daß Inzest statistisch gesehen äußerst unwahrscheinlich sei, weil mit dem Samen jedes Spenders in Deutschland nur zehn bis zwölf Kinder gezeugt werden dürfen.

Aber wer kontrolliert, ob die Spender sich daran halten? Da es in Deutschland keine zentrale Stelle gibt, wo alle Samenspender erfaßt werden, kann jeder Mann diese Regelung unterlaufen, indem er die Samenbank wechselt. (Zudem könnte der Spender die Zahl seiner Nachkommen auch durch natürlich gezeugte Kinder erhöhen.) So entstehen Großfamilien, die in keinem Geburtsregister verzeichnet sind.

In den USA beispielsweise brachten 18 Mütter 25 Kinder von dem anonymen Samenspender Nummer 401 zur Welt. Zusammengeführt wurde diese ungewöhnliche Großfamilie über das Internet. Wendy Kramer, Mutter des Spendersamenkindes Ryan, startete im September 2000 gemeinsam mit ihrem Sohn das Internet-Portal "The Donor Sibling Registry". Es ermöglicht, daß sich Kinder von Samenspendern finden. 2002 gab es 37 Mitglieder, inzwischen sind es 7283, und 2315 Halbgeschwister (und Spender) haben sich auf diesem Weg gefunden. Datenbankgründerin Kramer betont, daß die Spendersamenkinder nicht einen Vater oder einen Geldgeber suchen. Es gehe um etwas viel Wichtigeres: "Sie wollen wissen, woher sie kommen."

Insgesamt sollen in den USA eine Million Spendersamenkinder leben - und längst nicht alle müssen mit dem Sperma von US-Männern gezeugt worden sein. Denn es gibt weltweit einen schwungvollen Handel mit Tiefkühl-Sperma, in dem auch die größte deutsche Samenbank, die Firma Cryostore, mitmischt. Exportweltmeister soll allerdings Dänemark sein. So wachsen rund um den Globus Stammbäume, von denen die Verwandten allerdings nichts ahnen.

Auch die Erzeuger der teilweise weltweit verteilten Nachkommenschaft wollten oft nichts von ihren Kindern wissen, so Prof. Katzorke. Nach seinen Erfahrungen möchte die Mehrheit der Spender anonym bleiben. Ein Grund: Es spenden viele junge Männer, die später dann eine eigene Familien gründen und ihr "Vorleben" lieber verschweigen wollen.

Doch selbst eine anonyme Spende garantiert in Zeiten von Internet und DNA-Analyse nicht die Anonymität. So gelang es einem 15 Jahre alten Amerikaner Ende vergangenen Jahres, mittels genetischer Ahnenforschung seinen Spender aufzuspüren. In Deutschland haben zudem alle Kinder ein Anrecht darauf, zu erfahren, wer ihre genetischen Eltern sind. Deshalb kann ein Kind die Daten des Spenders von dem Arzt verlangen. "Leider mußten wir erfahren, daß unser Kind niemals die Chance hat, den Spender kennenzulernen. Die Daten werden nach zehn Jahren vernichtet, dabei hat das Kind erst mit 16 Jahren die Möglichkeit, danach zu fragen", klagt eine verheiratete Mutter, die zwei Spendersamenkinder hat. Um diese gesetzliche Lücke zu schließen und den Kindern die Information über ihre genetische Herkunft zu sichern, sollten die Eltern die Spenderdaten beim Notar hinterlegen.

Wie unbefangen man mit diesem Thema umgehen kann, zeigt ein Beispiel aus den USA: Der Spender 48QAH hob seine Anonymität auf. Jetzt können die 24 Kinder des 34 Jahre alten Arztes Matthew Niedner ihm auf seiner Website die Fragen stellen, die sie bewegen.

Internet-Adressen:

Familiensuche:

http://donorsiblingregistry.com

Selbsthilfeverein:

www.spendersamenkinder.de