Fehlsichtigkeit: Auch Kleinkinder sollten getestet werden. Ein Drittel aller Kinder in Deutschland hat mit vier Jahren Sehstörungen. Nur bei 40 Prozent wird diese Schwäche erkannt.

Wenn der zehn Monate alte Finn in seinem Kinderwagen ausgefahren wird, erntet seine Mutter erstaunte Blicke und den Ausruf: "Der hat ja schon eine Brille. Wie kann man das denn in dem Alter feststellen?"

Auf Finns kleinem Näschen thront eine goldfarbene Bril-le, gehalten von Sportbügeln und einem breiten Silikonnasensteg. Wie sein Vater und Großvater ist Finn weitsichtig mit einer starken Hornhautkrümmung (Astigmatismus) - ein Sehfehler, der erst durch eine Untersuchung beim Augenarzt diagnostiziert wurde, aber durch das Tragen einer Brille ausgeglichen werden kann. "Wir empfehlen insbesondere Eltern, bei denen in der Familie ein Sehfehler vor-liegt, es also Brillenträger gibt, aber auch den Eltern von Frühgeborenen oder schielenden Kindern, die Augen frühzeitig untersuchen zu lassen", erklärt Dr. Peter Kaupke, der sich mit seiner Hamburger Praxis unter anderem auf Babys und Kinder spezialisiert hat. "Innerhalb des ersten Lebensjahres sollten alle Babys augenärztlich untersucht werden. Eltern können nicht er-kennen, ob ihr Kind gut oder schlecht sieht. Auch ein Baby, das den kleinsten Brotkrumen aufsammelt, ist möglicherweise schwachsichtig."

Um die Augen der kleinen Patienten untersuchen zu können, bekommen sie zunächst einen Tropfen, zum Beispiel Atropin. "Dieser ist notwendig, um den Augenmuskel, der die Linse ständig in ihrer Form verändert, vorübergehend ruhigzustellen, so daß wir mit dem Skiaskop die Augen der Babys messen können", erklärt Kaupke. "Die Kinder fühlen sich hierdurch nicht gestört. Lediglich die als Begleiterscheinung auftretenden, vorübergehend erweiterten Pupillen machen sie bei Sonne etwas lichtempfindlicher."

Anders als bei Erwachsenen und älteren Kindern, bei denen die Sehfähigkeit durch die Vorgabe und das Ablesen immer kleinerer Buchstaben oder Zahlen subjektiv ermittelt werden kann, mißt der Augenarzt bei Babys die Fehlsichtigkeit mit Hilfe des Skiaskops objektiv.

Der Berufsverband der Au-genärzte Deutschlands (BVA) empfiehlt, die Augen des Nachwuchses im ersten und dritten Lebensjahr und vor der Einschulung untersuchen zu lassen. "Babys können wir nur auf Sehfehler untersuchen, aber mit drei Jahren, wenn die Kinder sprechen können, gelingt es zum ersten Mal, die tatsächliche Sehleistung zu ermitteln", erklärt Kaupke.

Allerdings erstatten die ge-setzlichen Krankenkassen die Kosten für diese Vorsorgeuntersuchung beim Augenarzt nicht. Dabei sind die Zahlen des Berufsverbandes der Augenärzte alarmierend: Ein Drittel aller Kinder in Deutschland hat mit vier Jahren Sehstörungen, doch nur bei 40 Prozent dieser Kinder wird die Schwäche erkannt - jedes fünfte Vorschulkind in Deutschland hat somit einen unbehandelten Sehfehler.

Ein geregeltes Vorsorgesy-stem gibt es derzeit nicht, der Kinderarzt schaut sich erstmals bei der achten Vorsorgeuntersuchung, der sogenannten U8 (zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr), die Augen der kleinen Patienten an und macht einen orientierenden Sehtest. Bis dahin bleiben schwachsichtige Kinder oft unbehandelt - mit fatalen Folgen. "Wird dann ein Seh-fehler festgestellt, ist es häufig schon zu spät. Je früher die Kinder untersucht werden, um so besser können wir ihnen helfen", erläutert Kaupke. "Die Sehentwicklung findet ähnlich einer Prägungsphase in den ersten Lebensjahren statt. Das Auge sendet die aufgenommenen Bilder ans Gehirn, und je differenzierter dieses Bild ist, desto besser wird die Sehrinde ausgebildet. Wie alle anderen Funktionen muß Sehen gelernt werden."

Wird die Sehschwäche eines Kindes nicht früh genug er-kannt, wird es als Erwachse-ner trotz Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr die volle Sehleistung erreichen - und damit in der Schule, bei der Berufswahl oder auch am Steuer eines Fahrzeugs große Nachteile haben. Hinzu kommt, das ein schwachsichtiges Kleinkind sein Umfeld nur unvollkommen wahrnimmt - Entwicklungsauffälligkeiten sind die häufige Folge.

Der erste Anblick des Kindes mit Brille ist für Eltern meist schwierig - das Babyhafte verschwindet aus dem Gesicht; ein kleiner Professor mit spärlichem Haarwuchs schaut nun seine Eltern an. Doch so wie sich die Eltern an die Anblick ihres "schlauen" Babys gewöhnen müssen, muß sich auch das Kleinkind mit dem Fremdkörper auf der Nase erst einmal anfreunden.

In den ersten Wochen wird die Brille oft abgenommen, in den Mund gesteckt oder lässig auch mal aus dem Kinderwagen geworfen. Da helfen dann nur noch Geduld und Konsequenz. "Oft hoffen betroffene Eltern, daß sich der Sehfehler ihres Kindes noch verwächst", erläutert Kaupke. "Das ist leider nicht immer so. Nur die Weitsichtigkeit nimmt meist ab, eine Hornhautverkrümmung bleibt bis auf wenige Ausnahmen bestehen. Doch nur, wer seinen kleinen Brillenträger beim kontinuierlichen Tragen der Brille unterstützt, kann damit seine Sehleistungsfähigkeit verbessern."

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