Schwachstellen: Die Hamburger LBK-Kliniken wollen Risiken vermindern. Externe Prüfer checkten das AK Wandsbek.

Ein in der Bauchhöhle vergessener Tupfer, eine Operation am falschen Bein auf Grund einer Verwechselung: Ärztliche Behandlungsfehler sorgen immer wieder für Schlagzeilen, sie bringen Leid über Patienten und Ärzte vor den Richter. Doch was kann man tun, damit es gar nicht erst zu Irrtümern kommt?

"Ein offener Umgang mit Fehlern ist nötig", sagt Prof. Dr. Jochen Kußmann. Der Leitende Arzt der I. Chirurgie des Allgemeinen Krankenhauses Wandsbek meint: "Um zukünftige Behandlungsfehler abzuwenden, müssen sich die Mediziner zunächst darüber klar werden, dass im klinischen Alltag Fehler passieren - ebenso wie in allen anderen Bereichen menschlichen Handelns." Irrtümer seien prinzipiell nicht komplett zu vermeiden. Aber die Risiken könnten verringert werden.

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn eine Behandlung vom Stand des Wissens ohne begründete Erklärung abweicht und objektiv ein Schaden entsteht. 12 000 Fehlbehandlungen wurden 1999 bundesweit anerkannt und durch Zahlungen reguliert. Ansprüche wurden in 40 000 Fällen geltend gemacht. Darunter sind Fälle aus operativen Fächern stark vertreten: Fast 40 Prozent aller Fehlervorwürfe richten sich an Chirurgen, 15 Prozent an Orthopäden. Bei jährlich mehr als 16 Millionen stationären Behandlungen in Krankenhäusern liegt der Anteil der Behandlungsfehler zwar nur im Promillebereich, doch eine weitere Reduzierung ist notwendig und möglich.

Der Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) Hamburg geht jetzt in die Offensive. Der Anteil der Fehlbehandlungen im Verhältnis zur Gesamtbehandlungszahl beträgt in LBK-Kliniken zwar nur ein Drittel des Bundesdurchschnitts, dennoch gebe es noch Verbesserungspotenzial. Der Interne Versicherungsfonds (IVF), der Risiken LBK-intern absichert, vertritt das Motto "Verhüten statt nur vergüten". Behandlungsrisiken sollen minimiert werden, um Patienten zu schützen und Schadensersatzzahlungen zu vermeiden.

Dazu beauftragte der IVF eine externe Beratungsfirma mit einer Überprüfung des AK Wandsbek. Speziell geschulte Berater befragten Ärzte und Pflegepersonal nach möglichen Verbesserungen. Im Zentrum standen Fälle, bei denen es zu Behandlungsfehlern kam. Die Wege dieser Patienten durch die Klinik wurden von der Einlieferung bis zur Entlassung analysiert. Aber auch Zwischenfälle, die beinahe zu einer Fehlbehandlung geführt hätten, wurden ausgewertet. Diese Interviews ("Audits") führten häufig zu Lerneffekten. Die von den Beratern erstellten Analysen wurden erörtert, Änderungen sofort umgesetzt und nach sechs Monaten kontrolliert.

Beispielsweise war es in einem LBK-Haus bei einer Intubation (Einführung eines Beatmungsschlauchs etwa bei Vollnarkosen oder schwer Kranken auf der Intensivstation) zu einer Schädigung der Frontzähne des Patienten gekommen. Nun wurde sichergestellt, dass vor dem Eingriff stets der Zustand der Zähne geprüft wird. Gegebenenfalls müssen Patienten eine Schiene tragen. Dies ist nur ein Beispiel, wie Checklisten im Vorfeld von Operationen Risiken minimieren können.

Ein großer Anteil der neuen Regelungen bezieht sich auf die hausinterne Kommunikation, zum Beispiel auf Dienstanweisungen und Dokumentation. So werden jetzt in den LBK-Häusern die Allergiepässe vor der Verabreichung von Antibiotika nochmals geprüft. Damit lässt sich das Risiko von Komplikationen durch allergische Reaktionen reduzieren.

Weiterhin wird die gesamte Patientendokumentation in einem Schriftstück festgehalten. So können bei der Morgenvisite Notizen der Nachtschwester nicht mehr übersehen werden. "Meist handelt es sich um Problemfelder, die den Abteilungen zwar bewusst waren, aber erst durch die Audits strukturiert angegangen werden konnten", sagt IVF-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Süfke.

Im AK Wandsbek werden nun zum Teil auch Körperregionen, die operiert werden, vor dem Eingriff farbig gekennzeichnet. Die Markierung soll etwa eine Seitenverwechselung ausschließen. "Einen solchen größten anzunehmenden Unfall hat es bei uns aber noch nicht gegeben", sagt Kußmann. Seine chirurgische Abteilung stellte sich 1998 als Erste der Risiko-Analyse. Das AK Wandsbek ist deutschlandweit das erste Krankenhaus, in dem alle Abteilungen von externen Beratern mit Audits überprüft wurden.

"Bei der internen Besprechung der Fehlerquellen geht es weder um das Finden eines Sündenbocks noch um arbeitsrechtliche Konsequenzen für die Mitarbeiter", erklärt Süfke. Das sei mit dem Gedanken des "forgive and remember" gemeint. Die Daten werden anonymisiert und vertraulich behandelt.

"Aus Fehlern zu lernen ist wichtig. Aber mit ihnen konfrontiert zu werden, ist schwierig", sagt Kußmann. "Das Ziel ist nicht die Kritik, sondern eine Verbesserung des Behandlungsergebnisses durch gemeinsame Analyse der Problemfelder."

Dem entgegen stand lange, so Süfke, eine "Null-Fehler-Kultur", die in der Medizinerausbildung vermittelt wurde. Doch die Zeichen stehen auf Besserung. Mit dem In-Kraft-Treten der neuen Approbationsordnung, der Studienordnung für Medizinstudenten, wird nun auch Gewicht auf die Fehleranalyse gelegt. Es wird zwar kein eigenständiges Fach Fehlermanagement angeboten, doch durch problemorientiertes Lernen soll der richtige Umgang mit Irrtümern vermittelt werden. Hierbei steht Kommunikationstraining im Mittelpunkt.

Ähnlich wie das AK Wandsbek betreiben auch die freigemeinnützigen Krankenhäuser und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Qualitätskontrollen. Zum Teil wird dort ebenfalls mit Audits gearbeitet, die allerdings von internen Prüfern durchgeführt werden. So betreibt zum Beispiel das UKE eine eigene Stabsstelle Medizinische Qualitätssicherung mit fünf Mitarbeitern.

In den sieben LBK-Kliniken wird der IVF die Risiko-Audits fortsetzen. Zusammen mit dem Servicecenter Qualitätsmanagement des LBK werden pro Jahr und Krankenhaus zwei Abteilungen geprüft.