Hamburg. Wie schätzen Seelen-Experten junge Leute ein? Michael Schulte-Markwort und Ronald Hoffmann über die Ypsiloner. Ihr Urteil verblüfft.

Sie können alles und wissen genau, wohin sie wollen: Der Mythos einer Generation, die ganz genau weiß, wie sie leben will, ist weitverbreitet. Und doch fragt man sich, ob junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren im Jahr 2016 vielleicht gar nicht zufrieden und selbstbewusst sein können, weil sie an ihren hohen Erwartungshaltungen scheitern. Dazu haben wir den Psychiater Michael Schulte-Markwort und den Psychologen Ronald Hoffmann befragt. Für beide ist klar: Wer jung ist, muss Druck aushalten.

Selbstbewusstsein

Professor Michael Schulte-Markwort, Kinder und Jugendpsychiater am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), empfindet das Selbstbewusstsein der bis zu 35-Jährigen als etwas Positives: „Junge Menschen sind es gewohnt, einbezogen und gefragt zu werden. Dieses Selbstbewusstsein wird also nicht im negativen Sinne eingesetzt, sondern führt zu Dialogs-und Beziehungsfähigkeit“, sagte Schulte-Markwort im Gespräch mit abendblatt.de. Wer selbstbewusst ist, muss also nicht gleich auch selbstsüchtig sein. Stattdessen seien junge Menschen heute dazu in der Lage, durch das eigene Selbstvertrauen auf andere zuzugehen und ins Gespräch zu kommen. Durch Gespräche mit anderen Menschen werde wiederum das eigene Verhalten reflektiert.

Sich seiner selbst bewusst zu sein – das können junge Menschen heute besser als früher, beobachtet auch Ronald Hoffmann, Leiter der Psychologischen Beratung der Universität Hamburg. „Ich erlebe, dass junge Menschen mit sich ringen und sich intensiver fragen, was gut für ihr Leben ist.“ Dieses hohe Maß an ethischer Eigenverantwortlichkeit gehe oft auf Eifer zurück, manchmal aber auch auf Übereifer.

Optimierungsdrang

Die Frage danach, was man eigentlich mit dem eigenen Leben anfangen soll, wird bei vielen jungen Menschen auch von einem Optimierungsdrang begleitet. Man will höher hinaus, die eigenen Lebensumstände reichen nicht aus und überall wird geahnt, dass die Dinge noch besser laufen könnten.

Erklären könne man das durch die Elterngeneration der jetzigen Generation Y, sagt Psychologe Hoffmann. Die „Babyboomer“, also die Eltern von jungen Menschen bis 35, seien mit der Sorge um materielle Absicherung und dem Anspruch aufgewachsen, viel für den eigenen Lebensstandard zu leisten. „Was also die jetzige Generation Y von klein auf miterlebt hat, ist,dass ihre Eltern ganz schön ‚busy’ sind. Die Idee davon, Dinge so zu optimieren, dass man den Alltag möglichst gut schafft, setzen die Kinder, also die Generation Y, jetzt fort.“

Dipl.-Psych. Ronald Hoffmann leitet seit 2011 die Zentrale Studienberatung und Psychologische Beratung der Universität Hamburg. Er ist Psychologischer Psychotherapeut und spricht mit Studierenden, die vor allem wegen Überforderung, Prüfungsangst oder Prokrastination, also der Neigung, wichtige Aufgaben aufzuschieben, Hilfe und Rat suchen. Hoffmann hat viele Jahre therapeutisch in Kliniken und Beratungsstellen gearbeitet. Zuletzt war er Leiter einer Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstelle der Schulbehörde in Hamburg
Dipl.-Psych. Ronald Hoffmann leitet seit 2011 die Zentrale Studienberatung und Psychologische Beratung der Universität Hamburg. Er ist Psychologischer Psychotherapeut und spricht mit Studierenden, die vor allem wegen Überforderung, Prüfungsangst oder Prokrastination, also der Neigung, wichtige Aufgaben aufzuschieben, Hilfe und Rat suchen. Hoffmann hat viele Jahre therapeutisch in Kliniken und Beratungsstellen gearbeitet. Zuletzt war er Leiter einer Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstelle der Schulbehörde in Hamburg © Privat

Leistungsdruck

„Von Beginn an wachsen Kinder heute also mit dem Prinzip der durchdringenden Ökonomisierung auf“, sagt auch der Psychiater Schulte-Markwort vom UKE. Es müsse demnach ständig um Mehrwert und Steigerung gehen: Ärzte müssten Jahr für Jahr immer mehr Patienten behandeln, Journalisten in weniger Zeit, mehr Artikel schreiben. Dieser gestiegene äußere Leistungsdruck werde sehr schnell verinnerlicht.

Das beginne schon in der Schule: „Viele Jugendliche sagen mir, dass ein Abitur mit einer schlechteren Note als 1,5 nichts wert sei. Man könne damit nichts anfangen, weil man dann vieles nicht mehr studieren kann“, sagt Schulte-Markwort. Wenn Eltern dann erwidern, man müsse nicht überall der Beste sein, empfinden Kinder und Jugendliche das häufig als zynisch und antworten: „Ihr müsst ja auch nicht mehr studieren“.

Video: Generation Y im Vorurteils-Check

Äußerer Leistungsdruck und Angst sind aber auch der logische Umkehrschluss aus der momentan sehr krisenhaften Welt, in der es an allen Ecken und Enden Schwierigkeiten gibt, die nicht unmittelbar zu bewältigen sind, findet Hoffmann. „Für jeden Einzelnen entsteht dadurch heute eine Situation, in der es darauf ankommt, Dinge so gut es geht richtig zu machen.“ Wertvorstellungen seien seltener politischer Natur, sondern beruhen vielmehr auf der Frage, wie man sein Leben so gestalten kann, dass man ohne materielle Sorgen lebt und dazu in der Lage ist, eine Familie zu versorgen.

Überforderung

Dieser Leistungsdruck kann in Überforderung mit der eigenen Lebenssituation münden. Laut Hoffmann sind Überforderung und Stress die häufigsten Gründe, warum sich Studierende für die Psychologische Beratung an der Universität Hamburg anmelden, gefolgt von Prüfungsangst und der Neigung, wichtige Aufgaben aufzuschieben. „Das hat aber nichts damit zu tun, dass junge Menschen heute lebensunfähig oder zu sensibel sind“, sagt Schulte-Markwort. Eine zu starke Leistungsorientierung führt zwangsläufig zu Überforderung.

„Wer sagt, dass er überfordert ist oder einen Burnout hat, setzt sich schnell dem Verdacht aus, überempfindlich zu sein.“ Mit besonders hohen Anforderungsprofilen könne aber jeder Mensch in einen Burnout getrieben werden, weil er irgendwann erschöpft ist. „Ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass die Anfälligkeit für psychische Überforderungssyndrome zugenommen hat. Im Gegenteil - die Generation Y reagiert angemessen auf die gestiegenen inneren und äußeren Anforderungen“, findet Schulte-Markwort.

Entscheidungsfindung

Die Wahlmöglichkeiten in Bezug auf die eigene Ausbildung, Karriere und Lebensweise, sind heute größer als je zuvor. „Weil wir es mit intelligenten und bewussten jungen Menschen zu tun haben, ist jedoch der Anspruch da, auch zu verstehen, welche Möglichkeiten man aufgibt, bevor man sie verwirft“, so Hoffmann. Jede einzelne Möglichkeit im Leben genau zu kennen und zu prüfen ist bei der Vielfalt aber schier unmöglich.

Entscheidungen zu treffen ist heute also schwerer: „Je mehr Möglichkeiten ich habe, desto größer muss ja meine Fähigkeit sein, mich gegen bestimmte Dinge zu entscheiden. Ich muss also innerlich das Risiko aushalten, mich möglicherweise falsch entschieden zu haben. Dazu gehört eine enorme Reife“, sagt Schulte-Markwort.

Aus der Angst, sich zu entscheiden, muss aber nicht gleich Unfähigkeit gefolgert werden, sondern vielmehr das Problem, in unübersichtlichen Situationen nicht mehr durchzublicken. „Jungen Menschen deswegen Orientierungslosigkeit vorzuwerfen, halte ich für falsch“, sagt Schulte-Markwort. „Keiner ist gleich labil, nur weil er sich nicht entscheiden kann. Stattdessen ist die Komplexität gestiegen: Früher musste man sich bei der Studienwahl grob gesagt zwischen Jura, Medizin und BWL entscheiden. Heute findet man ja schon innerhalb eines Faches zehn unterschiedliche Studiengänge.“

Zufriedenheit

Trotz aller Schwierigkeiten und hohen Anforderungen, mit denen junge Menschen konfrontiert sind, scheint sich die Mehrheit davon nicht negativ beeinflussen zu lassen. Laut der Shell-Jugendstudie von 2015 blicken beispielsweise 61 Prozent der Zwölf-bis 25-Jährigen optimistisch in die eigene Zukunft. Die Mehrheit der Befragten lässt sich also auch von anhaltenden Krisen in der Welt nicht von ihrer positiven Grundhaltung abbringen.

„Bei all dem Druck und allen Sorgen bin ich der Meinung, dass die Generation Y in einer eindrucksvollen Weise ihr Leben bewältigt“, findet Schulte-Markwort. „Die Ypsiloner sind eine wunderbare Generation, weil sie in ihrem Leben Ernsthaftigkeit und Selbstfürsorge gut kombinieren. Sie immer zu defizitorientiert zu betrachten halte ich für falsch.“