Hamburg. Aneurysmen sind oft schwierig zu operieren. Hamburger Forscher entwickeln Nachbildungen, um Behandlungen zu testen.

Aneurysmen (Aussackungen von Blutgefäßen) im Gehirn sind oft hochbrisant: Platzen sie, so ist das Leben des Patienten in Gefahr und das Risiko von bleibenden Schäden durch Hirnblutungen hoch. Auch die operative Behandlung eines Aneurysmas ist deshalb meist sehr anspruchsvoll. Produktentwickler der Technischen Universität (TU) Hamburg-Harburg wollen in Kooperation mit Medizinern des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) möglichst realitätsnahe individuelle Modelle solcher Aneurysmen herstellen, um an den Kunststoffgebilden Behandlungsmöglichkeiten zu testen.

„Wir nutzen dazu die additive Fertigung, bei der die Modelle Schicht für Schicht aufgebaut werden. Umgangssprachlich werden additiv fertigende Geräte 3-D-Drucker genannt“, sagt Johanna Spallek, die am TU-Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik unter Leitung von Prof. Dieter Krause das Projekt betreut. Seit dem Start Anfang 2014 hat sie etwa 15 Maschinen sowie unterschiedliche Kunststoffarten verglichen, um möglichst gute Modelle von real existierenden Gefäßen zu erstellen.

„Am schwierigsten ist es, elastische Gefäße nachzubilden, die der Verformbarkeit echter Blutgefäße entsprechen“, sagt Spallek. „Das hat bislang nur ein Verfahren ausreichend erfüllt.“ Die Geräte, die den Kunststoff tröpfchenweise auftragen, sind teuer. Sie stehen nicht an der TU, sondern bei einem Dienstleister, der für die Forscher den Produktionsauftrag ausgeführt hat. Die drei institutseigenen 3-D-Drucker kommen aber auch zum Zuge. Spallek: „Sie können Modelle fer- tigen, durch die die Geometrie der Gefäße sehr gut dargestellt wird und die zum Beispiel bei Schulungen eingesetzt werden. Oder zum Vergleichen und Vermessen von Aneurysmen.“ Bei diesen Geräten werden Kunststoffstränge eingeschmolzen und schichtweise aufgetragen.

Die Ausgangsdaten der Aneurysmen-Modelle liefern rotierende, hochauflösende Röntgenanlagen. Anhand der 3-D-Darstellungen und erhobenen Messdaten vom erkrankten Blutgefäß eines Patienten erstellt Johanna Spallek die Geometrie für das Modell und damit die Auftragsdaten für den 3-D-Drucker. Es entstehen Hohlkörper, durch die wie im Blutgefäß Flüssigkeit (Wasser, Kontrastmittel) fließen kann. Bei Strukturen, die kleiner als zwei Millimeter sind, müssen die TU-Experten allerdings passen.

Die Anforderungen an die Gefäßmodelle sind abhängig von der Anwendung. Zum Teil kann es hilfreich sein, ein kompaktes Modell real vor sich zu haben und die komplexen Verformungen im wahrsten Sinne des Wortes begreifen zu können. Zur Erprobung von Eingriffen sind jedoch möglichst lebensnahe Nachbildungen nötig, die von Flüssigkeit durchströmt werden können. Auch für die Forschung wären solche Modelle hilfreich, sagt Spallek, um beispielsweise den Durchfluss des Blutes durch das Aneurysma zu messen oder zu testen, wie neue medizinische Instrumente optimal platziert werden können.

„Für Schulungen bieten Modelle aus möglichst transparentem Kunststoff die Möglichkeit zu beobachten, was in einem Aneurysma passiert und wie verschiedene Eingriffe funktionieren“, sagt Johanna Spallek. Meist seien aber Transparenz und auch die Farbwahl völlig egal: Die bildgebenden Verfahren, die bei der Arbeit mit den Modellen meist zum Einsatz kommen, durchleuchten die Gefäßmodelle und stellen sie ohnehin als Röntgenbild schwarz-weiß dar.

Der Fokus der Produktentwickler liegt bei Aneurysmen von vier bis fünf Millimeter Größe, die an der Schädelwand liegen und von innen mit einem Katheter operiert werden. Dieser wird an der Leiste in den Körper ein- und durch große Arterien bis ins Gehirn geführt. Derzeit arbeiten Spallek und Kollegen gerade am zwölften Gefäßmodell. Alle Modelle bilden reale krankhafte Blutgefäße von Patienten des UKE nach. Die dortige Klinik und Poliklinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention ist Kooperationspartner im Projekt. Es wird vom Forschungszentrum Medizintechnik Hamburg (FMTHH) finanziert. Die TU und das UKE gründeten im Jahr 2013 das Zentrum, um medizintechnische Entwicklungen gemeinsam voranzutreiben.

Prof. Jens Fiehler leitet die UKE-Klinik und lobt die Arbeit von Johanna Spallek: „Wir haben schon in Einzel­fällen Modelle angewandt, wenn es anatomisch besonders kompliziert wird. Es gibt komplexe Situationen, bei denen zum Beispiel mehrere Materialien ineinander verschachtelt werden“, sagt Fiehler. Ein Vorab-Test am Modell könne die Behandlung ergänzen.

Der Neurologe geht davon aus, dass die Herstellung von Gefäßmodellen bei der Behandlung von Aneurysmen auf Einzelfälle beschränkt bleibt. Das größte Potenzial sieht Fiehler zum einen in der Forschung: „Wir können an den Modellen neue Techniken, etwa neue Stents (Gefäßstützen) oder Materialkombinationen, ausprobieren. Das geht natürlich nicht an Menschen.“

In einem Übungs-Operationssaal können Chirurgen am Modell trainieren

Zum anderen könnten die realitätsnahen Nachbildungen der Aus- und Weiterbildung von Medizinern dienen, so Fiehler. An seiner Klinik gibt es einen voll ausgestatteten Übungs-Operationssaal, wo Nachwuchs-Chirurgen unter anderem den Katheter-Eingriff über die Leiste trainieren können. Am Computerbildschirm navigieren sie dann durch den Körper bis zum erkrankten Blutgefäß im Gehirn. Hier können die Produktentwickler der TU realitätsnähere Modelle erkrankter Gefäße zur Verfügung stellen, als die bereits auf dem Markt befindlichen.

Ende des Jahres läuft das Projekt aus. Bis dahin wollen Johanna Spallek und die UKE-Kollegen den Vergleich der Herstellungsverfahren abschließen. Auch das elastische Modell gilt es weiter zu verbessern: „Seine Gefäßwände sind rauer als in der Realität“, sagt die Produktentwicklerin. Dennoch seien die individuellen Modelle bereits jetzt vielseitig anwendbar. „Wir sind in der Entwicklung schon sehr weit“, urteilt Spallek. Das liege vor allem an der interdisziplinären Zusammenarbeit von Produktentwicklern der Technischen Universität in Harburg und den Medizinern am Uniklinikum in Eppendorf.