Hamburg . Studie liefert Hinweise, dass der Antikörper Sola das Fortschreiten der Erkrankung in einem frühen Stadium verzögern kann

Alzheimer lässt sich bisher nicht heilen – und noch ist nicht einmal zweifelsfrei geklärt, wie die Erkrankung überhaupt entsteht. Gängige Medikamente können zwar das Auftreten der Symptome (Störungen der Hirnfunktion) zeitweise verzögern, indem sie noch nicht angegriffene Teile des Gehirns vorübergehend unterstützen. Das Absterben der Nervenzellen, das dazu führt, dass die Betroffenen nach und nach ihr Gedächtnis und ihre Persönlichkeit verlieren, verhindern die derzeit erhältlichen Medikamente jedoch nicht.

Nun gibt es womöglich erstmals einen Hoffnungsschimmer zumindest für einen Teil der betroffenen Patienten: Der Pharmakonzern Eli Lilly stellte auf der Internationalen Alzheimerkonferenz in Washington am Mittwoch neue Studienergebnisse vor, die darauf hindeuten, dass sich in einem frühen Stadium das Fortschreiten der Demenzerkrankung durch eine Behandlung mit dem Antikörper Solanezumab verlangsamen lässt. Etliche Mediziner und Forscher reagierten auf die Veröffentlichung vorsichtig optimistisch, warnten aber vor Euphorie.

Eine Heilung ist damit nicht in Sicht und schwer dementen Menschen wird das Medikament wohl nicht helfen. Dennoch wäre ein wirksamer Therapieansatz bei leicht Betroffenen ein Lichtblick angesichts der Tragödien, die sich bei den Erkrankten und ihren Angehörigen abspielen.

Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland 1,5 Millionen Demenzkranke; zwei Drittel von ihnen sind von Alzheimer betroffen. Bis 2050 könnte sich die Krankenzahl auf drei Millionen erhöhen. Denn die Menschen werden immer älter – damit erhöht sich das Risiko, an Demenz zu erkranken.

2012 schien die Forschung in einem Desaster zu enden

Viele Forscher nehmen an, dass Alzheimer durch falsch gefaltete Eiweiße im Gehirn entsteht, die sich als Klumpen ansammeln und toxisch auf die Nervenbahnen wirken. Diese gefährliche Variante der sogenannten Amyloid-Beta-Proteine (Abeta) könnte sich mit Hilfe von Antikörpern auflösen lassen, so die Hoffnung von Pharmafirmen. Antikörper sind Abwehrmoleküle, die zu jedem Immunsystem gehören; sie zerstören Eindringlinge.

Das Eli-Lilly-Präparat Solanezumab (kurz Sola) entstammt allerdings keiner natürlichen Immunreaktion, sondern es wurde künstlich hergestellt; das gleiche gilt für den Antikörper Aducanumab, auf den der Pharmakonzern Biogen setzt. Beide Stoffe sollen sich gegen Abeta richten.

Noch 2012 schien die Forschung für Eli Lilly in einem Desaster zu enden. Im „New England Journal of Medicine“ musste das Unternehmen eingestehen, dass bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Alzheimer-Symptomen in zwei klinischen Studien trotz einer Behandlung mit Sola über einen Zeitraum von 18 Monaten keine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten belegt werden konnte. Eine differenzierte Analyse der Daten ergab dem Unternehmen zufolge dann allerdings, dass bei den rund 1300 Patienten mit der mildesten Ausprägung der Alzheimer-Krankheit ein Fortschreiten der Krankheit doch deutlich verlangsamt wurde – im Vergleich zur Kontrollgruppe, die kein Sola erhalten hatte.

Deshalb begann der Pharmakonzern 2013 mit einer dritten klinischen Studie, in der nur noch Patienten mit einer milden Alzheimer-Ausprägung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe getestet werden. Die Ergebnisse werden frühestens 2016 erwartet.

Die Probanden aus den beiden ersten Studien wurden seit 2013 mit Sola weiterbehandelt, wobei seitdem auch jene Studienteilnehmer das Präparat erhalten haben, die in den 18 Monaten zuvor die Vergleichsgruppe gebildet hatten, die nur ein Placebo erhalten hatte. Die Zwischenergebnisse dieser Studienerweiterung wurden am Mittwoch vorgestellt. Sie sollen online im Fachjournal „Alzheimer’s & Dementia: Translational Research & Clinical Interventions“ veröffentlicht werden.

Die Idee hinter einer solchen „delayed start“-Studie (verspäteter Start): Wenn das Mittel wirklich das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt, dann sollten die Patienten, die erst 18 Monate später das Medikament erhalten, nicht zu den Probanden aufschließen können, die eben solange bereits mit dem Wirkstoff behandelt werden. Tatsächlich zeige sich immer noch ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Gruppen, teilte Eli Lilly am Mittwoch mit. „Der Trend hat sich bestätigt“, sagte der Molekularbiologe und Alzheimerforscher Prof. Konrad Beyreuther vom Netzwerk Alternsforschung an der Uni Heidelberg. Nun sei bewiesen, dass Abeta eine wichtige Rolle bei Alzheimer spiele. „Der molekulare Übeltäter ist enttarnt.“

"Fortschreiten der Krankheit hat sich bei Probanden verlangsamt"

Beyreuther zufolge wurden die kognitiven Leistungen der Probanden in der Eli Lilly-Studie mit dem ADAS-Cog-Test untersucht. Dabei werden 14 Punkte abgefragt. Die Leistungen werden auf einer Skala von Null bis 70 bewertet – je höher der Wert, desto schwerer die Demenz. Nach einem Jahr gab es immer noch einen deutlichen Unterschied zwischen den Teilnehmern, die das Medikament von Anfang an bekommen hatten und jenen, die es erst später erhielten. Konkret erhielten die Teilnehmer der ersten Gruppe einen im Schnitt um 2,2 Punkte niedrigeren Wert als die der zweiten Gruppe. „Das heißt, dass sich das Fortschreiten der Erkrankung deutlich verlangsamt hat“, sagte Beyreuther.

Prof. Richard Dodel, kommissarischer Leiter der Klinik für Neurologie an der Uniklinik Marburg, teilt diese Einschätzung nicht. Das Zwischenergebnis der Studie sei interessant, die besagten Werte seien allerdings „an der unteren Grenze dessen, was klinisch relevant ist“, sagte Dodel. Klinisch relevant heißt: eine Behandlung ist eindeutig wirkungsvoll. Es sei utopisch, dass schon in zwei Jahren ein neues Alzheimer-Medikament auf den Markt kommen könnte, wie in einigen Medien berichtet wurde, sagte Dodel.

So reagieren Hamburger Ärzte

„Mit dieser einen, noch nicht sehr überzeugenden Studie hat man gezeigt, dass es einen Unterschied macht, zu welchem Zeitpunkt man behandelt“, sagte Prof. Tim Magnus, leitender Oberarzt in der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Eppendorf (UKE). Das sei ein Hinweis darauf, dass der Krankheitsprozess mit diesem Medikament direkt beeinflusst werden könnte. „Allerdings ist es noch viel zu früh, um definitiv zu sagen, dass dieses Medikament einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben wird.“ Man werde genauere Aussagen treffen können, wenn die wesentlich größere Studie abgeschlossen sei, deren Ergebnisse frühestens 2016 erwartet werden. „Wenn sich die Hoffnungen bewahrheiten sollten, wäre das ein völlig neuer und vielversprechender Therapieansatz“, sagte Magnus.

Auch Dr. Holger Jahn, Leiter des Arbeitsbereiches Gerontopsychiatrie im UKE, spricht von einem interessanten Ergebnis. „Auch nach einem Jahr waren zwischen den beiden Gruppen noch Unterschiede zu sehen. Das könnte darauf hindeuten, dass bei den Patienten, die die ganze Zeit das Medikament genommen haben, ein positiver Effekt zu sehen war.“ Für Jahn hat das Ergebnis auch grundsätzliche Bedeutung: „Der Antikörper Solanezumab richtet sich gegen Abeta-Peptid, bevor es zu Verklumpungen kommt. Insgesamt ist es ein Hinweis darauf, dass das Abfangen der Abeta-Peptide ein möglicher Weg der Therapie ist.“

Ein neues Medikament könnte erst in einigen Jahren auf den Markt kommen

„Diese Studienergebnisse sind schon ein kleines Stückchen Hoffnung“, sagte Prof. Rudolf Friedrich Töpper, Chefarzt der Neurologie in der Asklepios-Klinik Harburg. Er kennt auch die Vorläuferstudien zu Solanezumab, in denen keine Effekte nachweisbar gewesen waren. Zu der jetzigen Studie sagt der Neurologe: „Hier hat sich gezeigt, dass man gerade bei Demenz lange Beobachtungszeiträume braucht, um wirklich Ergebnisse zu erzielen.“ Jetzt seien weitere Studien nötig, um das bisherige Ergebnis zu untermauern.

„Für weitere Studien muss man vorher mit dem PET die Alzheimer-typischen Plaques im Gehirn der Studienteilnehmer nachweisen, damit man nicht irrtümlich Patienten in die Studie mit einschließt, die möglicherweise an einer anderen Form der Demenz leiden“, sagte Töpper. Das PET (Positronenemissionstomografie) ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, mit der sich biochemische und physiologische Funktionen in einem Gewebe darstellen lassen.

„Es wird gemutmaßt, dass Solanezumab den Krankheitsprozess direkt beeinflusst. So etwas gibt es bislang noch nicht, sondern nur Medikamente, mit denen man die Symptome behandeln kann. Es gibt mit diesem Mittel einen Hoffnungsschimmer, dass man den Prozess im Frühstadium aufhalten kann, aber noch viele Fragezeichen“, sagte Prof. Hinnerk Becker, Chefarzt des Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie des Albertinen-Krankenhauses. Lasse sich die Wirksamkeit beweisen, werde es trotzdem noch einige Jahre dauern, bis auf dem Markt ein Medikament verfügbar sei.