In den Geschäften sieht man Osterhasen millionenfach, in freier Wildbahn bekommt man das Tier jedoch nur noch selten zu Gesicht. Der Hasenzähler versucht's.

Der Scheinwerfer leuchtet über das Feld. Raps, Raps und wieder Raps. Kein Hase. Da! Zwei Rehe! Immerhin. Aber wo sind die Hasen? „Normalerweise sieht man auf dieser Strecke immer welche“, sagt Klaus Klemm, Kreisjägermeister in Stormarn. Gemeinsam mit seiner Tochter ist er seit Einbruch der Dunkelheit unterwegs. Sie steuert den Pick-up, er schwenkt den Lichtkegel über die Landschaft. Ein bisschen Disco-Feeling auf dem Acker. Leider darf man keine Musik aufdrehen, das würde die Hasen stören. Lärm mögen sie genauso wenig wie Nässe; auf einem verregneten Wacken-Festival würde man sie also nie antreffen.

Aber wo hüpfen sie dann herum? Feldhasen können drei Meter weit und zwei Meter hoch springen. „Sie sitzen aber lieber in der Sasse“, sagt Klemm, also in einer kleinen Mulde, die sie in den Boden scharren. Dort sind sie mit ihrem erdbraunen Fell tagsüber gut getarnt. Nachts, wenn nicht so viele Feinde unterwegs sind, werden sie dann aktiv und sind im Scheinwerferlicht durch die Reflexion ihrer Augen gut zu erkennen. Daher kann Klemm die Mümmelmänner nur bei Dunkelheit zählen. Hasentaxierung nennt man den Vorgang, der deshalb so wichtig ist, weil man anhand der Populationsdichte der Tierart Rückschlüsse auf das ganze Ökosystem ziehen kann.

Die Zahlen gehen immer weiter zurück, gibt es bald keine Hasen mehr?

„Wir Niederwildjäger lieben den Hasen. Er ist so friedliebend und gleichzeitig das wichtigste Beutetier. Wenn es ihm gut geht, dann geht es auch den anderen gut“, sagt Klemm. Aber es geht ihm nicht gut, dem Hasen. Seit 2007 gehen die Zahlen kontinuierlich zurück. Das Wildtier-Kataster Schleswig Holstein verzeichnet einen „weiterhin negativen Trend“, und in der Jagdzeitschrift „Halali“ diskutieren Experten die „besorgniserregende Situation“, die „massiven Bestandseinbrüche“ und bezeichnen den Hasen bereits als „Sorgenkind“.

Gibt es also bald keine Hasen mehr? Wirft man einen Blick auf die Statistiken, müssen sich die Norddeutschen bislang die geringsten Sorgen machen, aber im Osten des Landes könnte schon bald Schluss sein mit lustigem Eiersuchen. Dort leben nach Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz nur noch sechs Tiere pro 100 Hektar Offenlandfläche.

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Klaus Klemm aus Schleswig-Holstein hat in einer ersten Zählung vor ein paar Tagen rund um seinen Hof in Pölitz 18 Tiere gezählt, und das fand er schon wenig, „hoffentlich ein Ausrutscher nach unten“. Aber nur sechs Tiere, damit zählt der Hase in Brandenburg und Sachsen-Anhalt bereits zur Kategorie 2: stark gefährdet.

Der Hase ist der Verlierer der Agrarlandschaften. „Wenn Sie mit dem Zug von Hamburg nach Berlin fahren, müssen Sie doch nur aus dem Fenster gucken. Gigantische Maisflächen, keinerlei Deckung“, sagt Hendrik Löffler, seit zehn Jahren leidenschaftlicher Jäger aus der Nähe von Ahrensburg und in echter Sorge um Meister Lampe. Die Monokulturen hätten Schuld daran, dass es zu wenig Verstecke sowie zu wenig Kräuter als Nahrung gäbe. Was er als Kräuter bezeichnet, nennen manche Bauern allerdings Unkraut. „Es wird zu viel totgespritzt von den Landwirten“, sagt Löffler.

Der Hase ist Vegetarier und Pazifist. Er frisst nur Grünes und keine anderen Tiere, daher ist er angewiesen auf Grünstreifen, Hecken, Gehölze oder Wildäcker. Gibt es die nicht, produziert er weniger fettreiche Milch, von denen wiederum die Junghasen leben müssen. Viele Jäger kümmern sich daher um die Anlage von Büschen, hohem Gras und Knickerweiterungen, die nicht nur dem Hasen, sondern auch vielen weiteren Wildarten zugutekommen – von denen die meisten nicht zu den jagdbaren Arten gehören.

Auch Klaus Klemm hat auf seinen Feldern Rückzugsmöglichkeiten für den Hasen angelegt. Aber er ist auch Landwirt und sieht die Probleme daher nicht in den Monokulturen, sondern eher in der Tatsache, dass der Hase ein so beliebtes Beutetier ist. „Leider haben alle Appetit auf ihn“, sagt der 69-Jährige und leuchtet weiter durch die Nacht.

Mit Tempo 80 Haken schlagen auf der Flucht, das verwirrt den Verfolger

Da! Rote Augen! Endlich. Ein Hase schreckt hoch und scheint nicht so recht zu wissen, wo er hin will. Mit bis zu 80 Stundenkilometern rast er über das Feld, ändert aber immer wieder seine Richtung. Was planlos aussieht, sichert sein Überleben. Das Hakenschlagen verwirrt seine Verfolger, von denen er im Allgemeinen zu viele hat. Welch trauriges Schicksal für das Tier mit den langen Ohren: kaum Freunde, dafür umso mehr Feinde. Füchse, Dachse und vor allem Greifvögel haben ihn zum Fressen gern. Besonders grausam gehen die Raben vor. Sie sind schlau und beobachten gerne die Wege der Häsinnen. So finden sie die Jungtiere, die anders als Kaninchen nicht in einem Bau, sondern auf dem Feld geboren werden und dadurch ganz schlechte Überlebenschancen haben.

Ist er jedoch aufgewachsen, verfügt der Hase mit seinen Sinnesorganen über eine hervorragende Feindesabwehr. Sein Gesichtsfeld liegt bei fast 360 Grad, Bewegungen werden so sehr schnell wahrgenommen. Ebenso Geräusche, was den großen Löffeln zu verdanken ist. Er kann gut riechen und sich perfekt wegducken in der Hoffnung, übersehen zu werden; was ihm aber leider nicht hilft, wenn eine Erntemaschine über ihn hinwegrollt.

Denn letzten Endes ist es natürlich der Mensch, der dem Hasen zu schaffen macht. Dabei lieben ihn die Menschen so sehr, gerade zu Ostern. „Ich verstehe allerdings überhaupt nicht, warum der Hase angeblich die Eier bringen soll“, sagt Klemm, der kein Freund von Mythen zu sein scheint.

Dabei liegt die Verbindung nahe. Eier sind das Symbol für Fruchtbarkeit, und kein anderes Tier vermehrt sich so schnell und so seltsam. Zwei Drittel des Jahres beschäftigt es sich mit Paarung und Aufzucht. Eine Häsin wirft pro Jahr bis zu viermal je vier Junge, dabei kann sie schon während der Tragezeit wieder trächtig werden. Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsstadien befinden sich dann in ihrer Gebärmutter, ein kleines Wunder der Natur, das Wissenschaftler als Superfetation bezeichnen. Auch können die Jungen eines Wurfs von unterschiedlichen Vätern sein, die im Streit um die Häsinnen extrem rabiat vorgehen. „Gerade gestern habe ich wieder einen dicken Haufen Wolle gefunden, da haben sich zwei Rammler so richtig geprügelt“, sagt Klemm.

Schon römische Kaiser verehrten die Zeugungskraft des Tieres und polsterten ihre Betten mit Hasenhaar. Die Griechen gaben ihrer Liebesgöttin Aphrodite einen Feldhasen als heiliges Tier an die Seite. Der Klerus untersagte sogar mal den Verzehr von Hasenfleisch, weil das Wildbret im Verdacht stand, die Wollust zu fördern.

Seine Mulde sieht aus wie ein Nest. Gilt er deshalb als der Eierverstecker?

Der Brauch, dass Tiere (also nicht nur Hasen) für das Verstecken der Eier zuständig sind, geht ins 16. Jahrhundert zurück. In der Schweiz brachte lange der Kuckuck die Eier, in Österreich der Hahn, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen der Fuchs. Der Hase hat sich wahrscheinlich aufgrund seines Verhaltens in freier Flur als Favorit fürs Eierverstecken durchgesetzt. Er tarnt sich sehr gut in seiner Mulde, die wie ein Nest aussehen kann.

Der Mythos vom Osterhasen interessiert Klaus Klemm natürlich weniger als die Zukunft des Feldhasen. Er findet es wichtig, dass die Bestände seit 1995 gezählt werden, wenngleich die Methodik der Scheinwerfertaxation natürlich nie konkrete Daten, sondern immer nur Schätzwerte liefern kann. „Die Hasen halten sich nicht immer da auf, wo wir zählen“, sagt Klemm.

Und manchmal hüpfen sie auch so schnell umher, dass man sie in einer Nacht eventuell doppelt notiert. Um die Genauigkeit zu erhöhen, nimmt man in einem Abstand von maximal zehn Tagen zwei Zählungen vor. Bei einem besonders großen Unterschied wird eine dritte Zählung durchgeführt.

19 Hasen sind es, die Klaus Klemm am Ende des Abends gezählt hat, also nur einer mehr als bei der ersten Taxierung vor wenigen Tagen. Letztes Jahr waren es im gleichen Gebiet noch 26. Das gefällt Klemm nicht, nein, eigentlich könne er damit nicht zufrieden sein, aber ein Grund zur Panik sieht der Jäger noch nicht.

Anders verhalte es sich, wenn tatsächlich das von der Landesregierung geplante Gesetz durchkomme, nachdem sich jeder frei auf ungenutzten Flächen bewegen darf, also beispielsweise auf abgeernteten Feldern. Dann hätten die Tiere demnächst noch weniger Ruhe und Platz, und ein trauriger Trend würde weiter voranschreiten, befürchtet Klemm: „Immer mehr Hasen im Supermarkt, immer weniger in der Natur.“