Hamburg. Ob der neue Ansatz wirklich hält, was er verspricht, müssen weitere Studien zeigen. Hamburger Uniklinik beteiligt sich an Untersuchung.

Ein stechender Schmerz im Kopf, Übelkeit, Schwindel – das sind klassische Zeichen einer Migräneattacke. Laut der Deutschen Kopfschmerz- und Migränegesellschaft sind zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Jetzt gibt es einen neuen Therapieansatz, der die Schmerzattacken verhindern soll.

Dabei geht es um die Blockade eines Botenstoffes, der bei der Migräne eine große Rolle spielt, das „Calcitonin-Gene related Peptide“ (CGRP). Nachdem Versuche, diesen Botenstoff durch ein Molekül lahmzulegen, aufgegeben werden mussten, weil es in seltenen Fällen zu Störungen der Leberfunktion kam, haben Forscher jetzt einen anderen Weg gefunden, CGRP außer Kraft zu setzen – mithilfe von Antikörpern.

„Beide Ansätze führen zum gleichen Ergebnis, aber der Weg dorthin ist komplett unterschiedlich“, sagt Prof. Arne May, Leiter der Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf. „Das eine Mal verabreicht man ein designtes Molekül, das CGRP inaktiviert, aber leider von der Leber nicht vertragen wird. Das andere Mal gibt man einen Antikörper, der den Botenstoff markiert. Der Körper erkennt den eigenen Botenstoff dadurch als Fremdstoff, greift ihn an und inaktiviert ihn. Da diese Antikörper tatsächlich die Migräneattacken reduzieren, erwarte ich, dass wir damit an der Schwelle zu einer komplett anderen Art der Behandlung stehen“, sagt May. Der Botenstoff kommt überall im Körper vor, hauptsächlich im Gehirn und im Darm. Er spielt bei Entzündungen eine große Rolle, erweitert die Blutgefäße und wird während der Migräneattacke vom Trigeminusnerv ausgeschüttet. „Und bestimmt hat er noch viele andere biologische Funktionen, die wir noch gar nicht kennen“, sagt der Neurologe.

Bei der Therapie gibt es zwei Wege. „Man kann Antikörper gegen das CGRP selber geben oder gegen den Rezeptor auf der Zelloberfläche, an den sich der Botenstoff andockt. Beides ist probiert worden. Wir kennen jetzt die Ergebnisse der Antikörper, die sich gegen CGRP selber richten“, sagt May. Dabei handelt es sich um zwei Studien von Forschern um Prof. David Dodick von der Mayo Clinic in Phoenix, Arizona, die im vergangenen Jahr im Fachmagazin „The Lancet Neurology“ veröffentlicht wurden. In beiden Studien wurde jeweils eine Gruppe mit dem Medikament behandelt und mit einer zweiten Gruppe verglichen, deren Mitglieder nur ein Scheinmedikament (Placebo) erhalten hatten. Keiner der Studienteilnehmer wusste, welcher Gruppe er zugeteilt wurde.

„Das Endergebnis beider Studien war extrem ähnlich: Bei den meisten Studienteilnehmern war ungefähr eine Halbierung der Attacken zu beobachten. 30 bis 40 Prozent der Probanden waren komplett attackenfrei“, sagt May. Das waren vorher alles Patienten, die häufig unter Migräneanfällen leiden, also bis zu 14 Tage im Monat solche Schmerzattacken haben.

Es waren auch Nebenwirkungen zu beobachten, wie etwa Hautveränderungen, Atemwegsinfektionen, Rückenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Mundtrockenheit. „Aber alle Nebenwirkungen waren mild, moderat und vorübergehend. Es gab keinen einzigen schwerwiegenden Zwischenfall“, sagt der Kopfschmerzspezialist.

Er warnt aber auch vor überzogenen Erwartungen. Viele Fragen sind noch ungeklärt. „Es ist viel zu früh, um über diese Antikörper jetzt in Ekstase zu geraten. Wir müssen erstmal sehen, was weitere Studien ergeben, wie die Langzeitergebnisse aussehen und was passiert, wenn man diese Antikörper nicht nur für vier Monate gibt, sondern zwei Jahre lang. Es ist noch völlig unbekannt, wie der Körper so eine Langzeitbehandlung verträgt und ob sich damit die Migräne wirklich beseitigen lässt. Es handelt sich zum jetzigen Zeitpunkt um eine experimentelle Medizin. Die neuen Ergebnisse sind sehr ermutigend, aber mehr nicht“, sagt May.

Wenn alle weiteren Studien positiv verlaufen, könnte ein Medikament mit einem Antikörper frühestens in zwei bis vier Jahren auf den Markt kommen, schätzt May. Sollte es Erfolg haben, bietet es Vorteile gegenüber der herkömmlichem Therapie „Man muss es nur einmal oder zweimal im Monat geben. Ein zweiter Vorteil ist die prophylaktische Wirkung ohne starke Nebenwirkungen. Wir können zwar auch mit vielen anderen Medikamenten bei 50 bis 60 Prozent der Patienten eine vorbeugende Wirkung erreichen, aber diese Medikamente können dick und depressiv machen und für jedes einzelne gibt es noch spezifische Nebenwirkungen. Und ich kenne kein Medikament in der Prophylaxe, das es schafft, 30 bis 40 Prozent der Patienten attackenfrei zu machen“, sagt May.