Fast jeder zehnte Krankschreibungstag geht auf Schmerzen im Kreuz zurück. Viel zu oft werde operiert, kritisieren Experten. Die Techniker Krankenkasse plädiert für sanftere Therapien.

Berlin/Hamburg. Rückenschmerzen zwingen Arbeitnehmer zu Hunderttausenden aufs Krankenlager – viele werden unnötig operiert. Nach dem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) geht fast jeder zehnte Fehltag bei Beschäftigten in Deutschland auf Rückenleiden zurück. Nach Ansicht der Kasse wird viel zu oft chirurgisch eingegriffen – eine sanftere Schmerztherapie helfe meist besser.

In Hamburg hat fast jeder zwölfte Krankschreibungstag mit dem Rücken zu tun – damit liegt die Hansestadt leicht unter dem Bundesdurchschnitt. 2013 war jeder TK-versicherte Hamburger im Schnitt 1,3 Tage wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig. Im Vergleich mit den übrigen Bundesländern stehe Hamburg recht gut da, teilte die TK mit: Der Anteil der Fehltage wegen Rückenbeschwerden liege im Verhältnis zu den Gesamtfehlzeiten in der Hansestadt bei 8,4 Prozent. Das sei nach Sachsen mit 7,5 Prozent der niedrigste Wert. An der Spitze liegen Niedersachsen (10,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (9,9 Prozent).

Rückenbeschwerden kommen laut TK-Chef Jens Baas vor allem bei Arbeitnehmern mit schweren körperlichen Jobs etwa auf dem Bau oder in der Pflege vor – aber auch bei Kraftfahrern wegen oft belastender Körperhaltung oder Arbeitslosen wegen des psychischen Drucks, dem sie ausgesetzt sind. „Was sicher ist, dass es einen Zusammenhang zwischen Stress, psychologischen Belastungen und Rücken gibt“, sagte Baas.

Oft kämen die Patienten dann immer wieder zum Arzt, weil die Schmerzen nicht besser werden. Er verstehe, wenn Patient und Arzt sich dann schnell zu einer Operation entschlössen, sagte Baas. Dies sei aber oft eine Fehlentscheidung.

Der Schmerztherapeut Thomas Nolte warnte auch vor zu zügigen Versuchen, durch bildgebende Verfahren wie Röntgen, Computer- und Kernspintomografie die Ursache von Rückenschmerzen herauszufinden. „Mehr als 90 Prozent der Patienten leiden unter muskulären Verspannungen, die Schmerzen verursachen. Die Verspannungen sieht man auf dem Röntgen- oder CT-Bild aber gar nicht“, sagte Nolte. Nur fünf bis zehn Prozent der Beschwerden hätten schwerere Ursachen wie Bandscheibenvorfälle. „Durch Diagnostik wird häufig eine Fehlentwicklung eingeleitet“, sagte er. So würden viele Versicherte an den Bandscheiben operiert, wenn auf den Bildern hier Probleme festgestellt werden. Die Patienten hätten danach oft aber immer noch dieselben Schmerzen.

Nolte riet stattdessen zu einer Schmerztherapie mit Physiotherapeuten und Psychologen. Die Ergebnisse sprächen für sich: Vier Fünftel der Patienten, die länger als sechs Wochen Rückenschmerzen haben und diesen sanfteren Weg einschlagen, könnten nach rund einem Monat ins Alltagsleben zurückkehren. Solche Werte erreichten Operationen nicht. TK-Chef Jens Baas bestritt, dass sich seine Kasse vor allem aus Kostengründen für diese Alternativen zur OP einsetze. Entscheidend sei, dass den Patienten so besser geholfen werde.

Nolte sagte, dass die Physio- und Schmerztherapie allerdings in einigen Fällen – insgesamt neun Prozent von allen – nach sechs Wochen überhaupt keine Linderung gebracht habe. „Um die müssen wir uns intensiv kümmern.“

Solchen Patienten könne man innerhalb von drei bis acht Wochen in einem Schmerzzentrum Linderung oder Heilung bringen, wo sich Orthopäden, Schmerzexperten und Psychologen im Team um alle Aspekte der Rückenbeschwerden kümmerten.

Im Schnitt waren die bei der Kasse versicherten Arbeitnehmer und Arbeitslosen im vergangenen Jahr 1,4 Tage wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig – auf die Gesamtbevölkerung hochrechnet seien dies 40 Millionen Fehltage bundesweit. Mit im Schnitt 17,5 Tagen dauere eine Krankschreibung wegen Rückenleiden fünf Tage länger als eine durchschnittliche krankheitsbedingte Fehlzeit.

Für einen Betrieb mit 60 Beschäftigten bedeutet das laut TK, dass jedes Jahr fünf Mitarbeiter zweieinhalb Wochen ausfallen.

Die Zahlen der TK belegen zudem ein deutliches Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle bei Rückenkrankheiten. Am gesündesten sind die Sachsen, Bayern und Baden-Württemberger, am kränksten die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Wodurch diese regionalen Unterschiede zustande kommen, geht aus dem statistischen Material nicht eindeutig hervor, sagte Thomas Grobe, Chef des Aqua-Institutes in Göttingen, das für die Krankenkasse die Daten ausgewertet hat. Eine Rolle könnte spielen, dass im Süden der Bundesrepublik mehr Menschen in weniger körperlich belastenden Berufen arbeiten als anderswo.

Außerdem zeigt die Statistik: Mit dem Alter nehmen die Rückenbeschwerden stark zu. Je jünger der Mensch und je höher der schulische Abschluss und die Ausbildung, desto rückengesünder ist der Mensch statistisch betrachtet.

Für den Gesundheitsreport 2014 wertete die Krankenkasse die Krankschreibungen der 4,1 Millionen (in Hamburg 172.000) bei der TK versicherten Arbeitnehmer aus. Die Daten lassen laut der Kasse Rückschlüsse auf die Situation in ganz Deutschland zu.