Seit zwei Jahren werden neue Pillen auf ihren Zusatznutzen hin überprüft. Mehr als die Hälfte fiel durch. Das Bundesgesundheitsministerium erhoffte sich Milliarden-Einsparungen.

Köln. Viele neue Medikamente sind nicht besser als die alten, einige sogar schlechter. Das ergibt eine Bilanz des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln, das seit 2011 alle neuen Arzneimittel in Deutschland auf ihren Zusatznutzen hin überprüft. In den vergangenen zwei Jahren hat das Institut 48 neue Medikamente geprüft – mehr als die Hälfte der Medikamente(26) fiel dabei durch. In drei Fällen wurde innerhalb einer Patientengruppe sogar ein geringerer Nutzen festgestellt, das heißt, der neue Wirkstoff hatte mehr Nachteile als Vorteile im Vergleich zu bisher verfügbaren Therapien. „Für 22 Medikamente haben wir feststellen können, dass sie wirklich besser sind als herkömmliche Mittel“, sagte IQWiG-Chef Jürgen Windeler. Drei davon waren sogar erheblich besser, elf immerhin noch beträchtlich. Bewertet wurden neue Arzneimittel gegen Krebs, Diabetes, Epilepsie, Multple Sklerose und andere schwere Krankheiten.

Seit Einführung des Arzneimittelneuordnungsgesetzes (AMNOG) vor zwei Jahren müssen Pharmahersteller für neue Medikamente einen Zusatznutzen nachweisen. Das IQWiG wertet die Dossiers der Hersteller aus. Letztlich entscheidet der zuständige Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) aus Krankenkassen, Ärzten und Kliniken in Berlin aufgrund des IQWiG-Gutachtens und nach Anhörung der Pharmahersteller. Nur bei Arzneimitteln mit erwiesenem Zusatznutzen verhandeln dann der Spitzenverband der Krankenkassen mit dem Hersteller einen Preis für das neue Medikament.

Arzneimittel ohne erwiesenen Zusatznutzen, die nur bestehende Medikamente imitieren, werden in die Preisgruppe der vergleichbaren Medikamente einsortiert. Das Bundesgesundheitsministerium erhoffte sich Milliarden-Einsparungen durch die Neuregelung, da die Pharmafirmen zuvor für alle neuen Medikamente nach der Zulassung jeden Preis verlangen konnten – die Krankenkassen mussten zahlen.

IQWIG-Chef Windeler zog eine positive Bilanz nach zwei Jahren früher Nutzenbewertung. „Das AMNOG hat sich bewährt, auch wenn die erhofften Milliardeneinsparungen bislang noch nicht eingetreten sind.“ Die Krankenkassen hatten das Einsparvolumen für 2012 und 2013 auf lediglich 120 Millionen Euro beziffert.

Doch mit der frühen Nutzenbewertung sei es gelungen, so Windeler, zumindest bei den neu zugelassenen Medikamenten Scheininnovationen herauszufiltern und die „Spreu vom Weizen zu trennen“.

Einige Firmen hatte ihre Medikamente, nachdem ein Zusatznutzen nicht belegt werden konnte, vom deutschen Markt zurückgezogen. „Unter medizinischen Gesichtspunkten ist das nicht schlimm, denn sie wirken ja nicht besser als die, die wir haben“, betonte Windeler. „Das gefährdet die Versorgung der Patienten nicht.“

So hatte ein Hersteller im Juni sein neues Epilepsie-Mittel wieder aus dem Vertrieb genommen. Lediglich die bereits 3000 auf das neue Medikament eingestellten Patienten wurden weiter versorgt.

Der IQWiG-Chef forderte, die frühe Nutzenbewertung künftig auch auf Medizinprodukte wie Herzschrittmacher, Implantate oder Prothesen auszudehnen. „Es ist überhaupt nicht zu begründen, warum Arzneimittel anders und strenger behandelt werden als Medizinprodukte, die ja den gleichen Zweck verfolgen wie Medikamente“, sagte Jürgen Windeler. Für Medizinprodukte sei dies sogar noch wichtiger als für Arzneimittel, weil es für sie kein Zulassungsverfahren gebe.

Medizinprodukte werden lediglich „zertifiziert“, von privaten Organisationen wie den TÜV. Wenn sie technisch funktionieren, dürfen sie auf den Markt. „Ob sie den Patienten auch helfen, wird nicht bewertet“, kritisierte Windeler. „Es ist schon skurril, denn es gibt ein Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das BfArM“, meinte Windeler. „Doch faktisch prüft es nur Arzneimittel.“

Erst wenn es den Verdacht gibt, dass ein Medizinprodukt schädlich ist oder nichts nützt und der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen das Problem aufgreift, beschäftigt sich das IQWiG mit dem Fall. „Zuletzt hat der GBA aufgrund unserer Empfehlung die Vergütung von Antikörper-beschichteten Stents für bestimmte Patientengruppen beendet – zumindest bei den gesetzlich versicherten Patienten“, führte Windeler als ein Beispiel an. Diese kleinen Röhrchen sollen verhindern, dass sich verengte Herzkranzgefäße verschließen. Doch mit den neuen und teuren Stents kam es zu mehr Komplikationen und Herzinfarkten als mit den herkömmlichen.

Auch die Krankenkassen fordern seit langem eine schärfere Zulassung von Medizinprodukten. Allerdings unterliegt diese dem EU-Recht, zudem wehrt sich die Medizintechnikbranche gegen höhere Zulassungshürden.

„Die Deutschen können in Brüssel nur für eine Rechtsänderung werben, im Rahmen von 28 Mitgliedstaaten ist das freilich schwierig“, sagt Jürgen Windeler. „In den letzten 15 Jahren hat das wenig bewirkt und ich schätze, das wird auch so bleiben.“

Auch deshalb plädiert der IQWiG-Chef für den Weg über eine frühe Nutzenbewertung. Denn dies könnte man im deutschen Sozialgesetzbuch regeln.