Verstärken Wolken die Erderwärmung oder wirken sie abkühlend? Mit dem Forschungsflugzeug HALO suchen Hamburger Wissenschaftler nach Antworten

Hamburg. Ein paar Monate noch, dann wird Bjorn Stevens nach Barbados jetten. Für die beigefarbenen Strände dort interessiert er sich weniger, vielmehr für die weißen Schäfchenwolken, die mit den Passatwinden täglich zu Tausenden am Himmel über der Karibikinsel eintreffen. Diese flachen Cumuluswolken sind die am weitesten verbreitete Wolkengattung der Erde, doch sie geben Atmosphärenwissenschaftlern wie Stevens immer noch Rätsel auf: Unklar ist etwa, wie sich die bauschigen Gebilde unter dem Einfluss der globalen Erwärmung verändern – und wie sie dann das Klima beeinflussen werden.

Eine Folge des Temperaturanstiegs ist, dass mehr Wasser der Ozeane verdunstet; als Folge könnten mehr Wolken entstehen. Diese Vorgänge kann Stevens in Hamburg am Max-Planck-Institut für Meteorologie zwar am Computer berechnen, aber dafür braucht er Messdaten, die nahe der Ozeane und in den Gefilden der Passatwinde erhoben wurden – jenen Regionen, in denen Schäfchenwolken wohl eine bedeutende Rolle für das Klima spielen. Deshalb betreiben der Forscher und sein Team eine Bodenmessstation auf Barbados. Mit den Instrumenten, die sie von Hamburg aus über das Internet steuern, können die Wissenschaftler die Temperatur und den Wassergehalt einzelner Wolken bestimmen – aber eben nur am Himmel über der Karibikinsel. „Ob die Daten etwas Grundsätzliches über Schäfchenwolken aussagen, wissen wir nicht“, sagt Stevens.

Auch spezielle Satelliten helfen den Forschern nur bedingt, sich ein genaues Bild von Wolken zu machen. Denn die meisten Satelliten registrieren nur die Temperatur an der Oberfläche der Wolken, indem sie deren Wärmestrahlung messen, und sie empfangen die von ihrer Oberfläche reflektierte Sonnenstrahlung. Was in tieferen Schichten geschieht, erfassen die Geräte nicht.

Nun hat Bjorn Stevens die Chance, seine Untersuchungsobjekte über viele Tausend Kilometer hinweg zu beobachten und ihnen dabei viel näher zu kommen, als es mit Satelliten möglich wäre. Läuft alles nach Plan, wird er Mitte Dezember in Oberpfaffenhofen zusammen mit seinem Hamburger Kollegen Prof. Felix Ament und einigen Technikern an Bord des Forschungsflugzeugs HALO gehen, mit den Passatwinden gen Karibik fliegen – und unterwegs die Schäfchenwolken studieren.

HALO steht für „High Altitude and Long Range Research Aircraft“ (Flugzeug für große Höhe und lange Reichweite). Der Jet kann bis an die Grenze der Troposphäre aufsteigen, die vom Erdboden bis in eine Höhe von etwa 15 Kilometern reicht und auch „Wetterschicht“ genannt wird, weil sich dort wichtige Prozesse abspielen, die über Sonnenschein und Regen entscheiden, über Wind, Hitze und Kälte. Mit HALO lassen sich Wolken erstmals von oben mit Instrumenten beobachten, die bisher in ähnlicher Form vor allem bei Bodenmessstationen eingesetzt werden. Und wegen der Reichweite des Jets von mehr als 8000 Kilometern können die Forscher um Stevens erstmals Veränderungen bei der Entstehung von Wolken über lange Distanzen verfolgen.

Das 31 Meter lange Flugzeug diente ursprünglich als Passagiermaschine. Dann wurde es nach Vorgaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt so umgebaut, dass im Innenraum in 15 Regalen wissenschaftliche Instrumente mit bis zu drei Tonnen Gewicht mitfliegen können. In den Rumpf der Maschine wurden Öffnungen eingebaut, in die Sensoren und Probensammler eingesetzt werden können; auch am Rumpf des Flugzeugs und unter den Tragflächen lassen sich nun Messgeräte installieren. Die zumindest von außen auffälligste Veränderung ist ein rot-weißer „Nasenmast“ am Bug: Dort befinden sich Sensoren, die Windmessungen durchführen.

Das Team um Bjorn Stevens bringt Technik mit, die extra für den kommenden Trip und weitere Flüge entwickelt wurde. Stolz ist Stevens auf ein Gerät namens HAMP (HALO Microwave Package), an dessen Konstruktion neben dem Max-Planck-Institut unter anderem das Meteorologische Institut der Uni Hamburg beteiligt war. Das Instrument sendet Mikrowellenstrahlung aus und misst die von den Wolken zurückgeworfene Strahlung; damit lassen sich zum Beispiel der Gesamtwassergehalt der Wolke und die Niederschlagsrate bestimmen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt steuert ein spezielles Lidar-Gerät bei. Es funktioniert ähnlich wie ein Radar, nur dass es statt Funkwellen, die von Objekten zurückgeworfen werden, Laserstrahlen aussendet. „Der Lidar kann das Vertikalprofil von Wasserdampf sehr exakt messen. Das ist wichtig, weil die Wolkenbildung stark abhängig vom Wasserdampf in der Umgebung ist“, sagt Stevens.

Mit einer Flughöhe von 15.000 Metern werden die Forscher ihre Messungen weit oberhalb der flachen Cumuluswolken durchführen, die unterhalb von 2000 Meter Höhe entstehen. Doch das sei gewollt, sagt Stevens: „Indem wir mit dem Wolkenradar und dem Lidar nach unten schauen, können wir das gesamte Profil der Atmosphäre messen, in der die Wolken entstehen. Das ist zum Beispiel sehr wichtig, um den Strahlungstransfer zu verstehen, der die Wolken beeinflusst. Und wenn wir Glück haben, sehen wir etwas, das wir gar nicht erwarten.“

Letzteres ist Forschern schon häufiger passiert. Wolken erscheinen wie feste Gebilde, tatsächlich lösen sie sich ständig auf und entstehen neu. Dieser fortwährende Wandel macht es so schwer, ihre Entstehung und ihre Eigenschaften zu durchschauen. Die Klimawirkung von Wolken scheint vor allem von ihrem Aufbau abzuhängen und von der Höhe, in der sie schweben. So schirmen die flachen Schäfchenwolken die Erde wie ein Schirm von der Sonne ab und reflektieren den größten Teil der sichtbaren Strahlung ins All; dadurch tragen sie eher zur Abkühlung der unteren Atmosphäre bei. Die federförmigen Cirrus-Wolken hingegen, die sich in Höhen über 6000 Metern formen und überwiegend aus winzigen Eiskristallen bestehen, lassen sichtbares Sonnenlicht fast ungehindert durch, blockieren aber die von der Erde zurückgeworfene Wärmestrahlung und tragen so dazu bei, Wärme in der unteren Atmosphäre zu speichern wie in einem Treibhaus.

Welcher Effekt wird künftig überwiegen? In den letzten Berichten des Weltklimarats IPCC waren Wolken noch der größte Unsicherheitsfaktor in den Computermodellen, mit denen Forscher die Entwicklung der Erderwärmung prognostizieren wollen. Der nächste Report, der Ende September erscheinen soll, enthält erstmals ein eigenes Kapitel über den Einfluss der Wolken auf die Erwärmung. Ein Entwurf des Berichts gelangte ins Internet. Demnach hält es der IPCC wohl für „wahrscheinlich“, geht also mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon aus, dass Wolken künftig den Treibhauseffekt eher verstärken werden, wenn sich die globale Erwärmung fortsetzt. Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit die Erderwärmung mit verursacht, wird der IPCC im nächsten Report wohl mit mehr als 90 Prozent beziffern.

Um die Unsicherheit zu reduzieren und den Einfluss der Wolken auf das Klima künftig genauer prognostizieren zu können, müssen Klimamodelle mit mehr Daten gefüttert werden. Dazu wollen Bjorn Stevens und seine Kollegen mit ihrer Mission beitragen.

Bei ihren Messungen mit der Bodenstation auf Barbados hat sich bisher angedeutet, dass sich bereits relativ kleine Veränderungen bei Temperatur und Feuchtigkeit stärker auf die Entstehung von Schäfchenwolken auswirken als Veränderungen bei der Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre. Diese in der Luft schwebenden Teilchen werden unter anderem durch Industrie und Verkehr als Schadstoffe ausgestoßen. Klimaforscher hatten lange angenommen, dass Aerosole die Wolkenbildung relativ stark fördern und ein entsprechend wichtiger Faktor für das Wetter und das Klima sind. Zuletzt habe sich aber angedeutet, dass die Temperatur – und damit auch die durch Treibhausgase mit verursachte Erderwärmung – eine viel größere Rolle spielen könnten, wohingegen die Bedeutung der Aerosole nun geringer eingeschätzt werde, sagt Bjorn Stevens. „In Zukunft wird es deshalb wohl wichtiger sein, zu fragen, wie sich die thermodynamische Umgebung von Wolken verändert als die chemische Zusammensetzung ihrer Umgebung zu analysieren.“

Die Reise mit HALO nach Barbados wird wohl ein Kurztrip: Zwölf Stunden Direktflug, ein Tag mit Messungen, dann geht es wieder nach Deutschland. Kurz vor Weihnachten wollen die Forscher zurück sein. Schon im Januar 2014 werden sie erneut mit HALO abheben. Das Reiseziel: der Nordatlantik.