Am NRW-Flughafen wird ein Drittel der Flüge nachts abgewickelt - in Hamburg dagegen nur 3,5 Prozent. Forscher zeigen erstmals in einer Studie, warum der Krach von Passagiermaschinen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck führen kann.

Mainz/Hamburg. Fluglärm ist nicht nur lästig, er kann auch der Gesundheit schaden, wie etliche Studien gezeigt haben. Unklar war bisher allerdings, durch welche Prozesse im Körper sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck erhöht. Neue Hinweise liefert nun eine Studie von Forschern aus Mainz und Pennsylvania (USA), über die sie im „European Heart Journal“ berichten. Demnach kann zumindest nächtlicher Fluglärm die Funktion der Arterien verschlechtern. Das könnte erklären, warum Flughafenanwohner stärker gefährdet sind, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.

Die Studie erstreckte sich über eineinhalb Jahre. In dieser Zeit führten die Forscher um Thomas Münzel von der Universitätsmedizin Mainz mit 75 gesunden Männern jeweils drei Versuche durch: In der ersten Nacht durften die Probanden zu Hause acht Stunden ohne Beschallung schlafen. In der zweiten Nacht simulierten die Forscher 30 Überflüge, indem sie Fluglärmaufnahmen abspielten. In der dritten Nacht erhöhten sie die Zahl der simulierten Überflüge auf 60. Der Lärmwert betrug jedes Mal 60 Dezibel. Auf acht Stunden umgerechnet ergab sich so bei 30 Überflügen eine durchschnittliche Belastung von 43 Dezibel, bei 60 Überflügen eine Belastung von 46 Dezibel. „Das entspricht etwa der Lärmbelastung an vielen Flughäfen“, sagt Münzel.

Nachdem die Teilnehmer aufgestanden waren, maßen die Forscher mit Ultraschallgeräten die Funktion der Arterien. Ergebnis: „In gleicher Weise, wie der Fluglärm zunahm, nahm die Erweiterungsfähigkeit der Arterien ab. Es kam zu einer Störung des Endothels“, sagt Münzel. Außerdem waren die Werte des Stresshormons Adrenalin erhöht.

Verengte und steife Arterien können langfristig zu Bluthochdruck führen

Das Endothel kann man sich wie eine Tapete vorstellen, mit der die Arterien ausgekleidet sind. Es produziert Substanzen wie Stickstoffmonoxid, die für die Gefäßerweiterung sorgen und dazu beitragen, den Blutdruck zu regulieren. Bei Menschen mit bestimmten Risikofaktoren würden verstärkt freie Radikale gebildet, die das Stickstoffmonoxid gewissermaßen auffräßen, erläutert Münzel. Die Folge: Die Gefäße würden enger, steifer und verkrampften eher. „Dies kann langfristig zu Bluthochdruck führen und damit das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erhöhen.“ Eine solche Schädigung der Arterien habe sich bei seinen Probanden infolge des nächtlichen Fluglärms gezeigt.

Obwohl die Teilnehmer nur jeweils drei Nächte untersucht worden seien, hätten die Ergebnisse eine „prognostische Bedeutung“, sagt Münzel. Auch ein längerer Untersuchungszeitraum würde seiner Meinung nach nichts an der Grundaussage der Studie ändern.

Münzel zufolge trägt die Arbeit dazu bei, die Ergebnisse älterer Studien zu erklären. So hatten etwa Schweizer Forscher um Anke Huss Statistiken zur Sterblichkeit durch Herzinfarkt in der Schweiz in Beziehung gesetzt zur Fluglärmbelastung am Wohnort. Die 2010 veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass Menschen, die 15 Jahre oder länger am selben fluglärmbelasteten Ort wohnen, ein erhöhtes Risiko haben, an einem Herzinfarkt zu sterben.

Ebenfalls 2010 veröffentlicht wurde eine Studie des Bremer Mediziners Eberhard Greiser im Auftrag des Bundesumweltamtes. Er hatte Krankenkassendaten von mehr als einer Million gesetzlich Versicherten ausgewertet, die in der Umgebung des Flughafens Köln/Bonn wohnen. Demnach haben zum Beispiel Frauen über 40, die tagsüber einer Fluglärmbelastung von 60 Dezibel und mehr ausgesetzt werden, ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung in einer Klinik behandelt werden zu müssen, als Frauen aus Wohngebieten ohne Fluglärm. Bei Männern in diesem Alter steigt das Erkrankungsrisiko um 69 Prozent. In der Nacht könne bereits eine durchschnittliche Lärmbelastung ab etwa 40 Dezibel auf Dauer zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, meint das Umweltbundesamt.

Und Hamburg? Es seien ihnen keine Studien bekannt, die sich mit gesundheitlichen Folgen des Fluglärms in der Hansestadt beschäftigen, teilte die Gesundheitsbehörde und die Umweltbehörde am Mittwoch mit. Allerdings sei die Studie des Umweltbundesamtes „nur schwer als Vergleich heranzuziehen“, sagt Volker Dumann, Sprecher der Umweltbehörde. Begründung: Nur maximal 3,5 Prozent aller Flüge in Hamburg seien Nachtflüge – am Köln-Bonner Flughafen seien es ein Drittel. In Hamburg gilt von 24 bis 6 Uhr eine Flugbeschränkung; Passagiermaschinen dürfen in dieser Zeit nur mit Ausnahmegenehmigung landen. 2012 sei dies etwa 20-mal vorgekommen, sagt Katja Tempel, Sprecherin des Flughafens.

Im Zuge der Novelle des Fluglärmgesetzes von 2007 waren in Hamburg 2012 zwei Tag-Schutzzonen und eine Nacht-Schutzzone eingeführt worden. Die Tag-Schutzzone 1 gilt in Vierteln, in denen die jährliche durchschnittliche Lärmbelastung 65 Dezibel überschreitet. In der Tag-Schutzzone 2 beträgt der Grenzwert 60 Dezibel, in der Nachtschutzzone gelten 55 Dezibel als Grenzwert. Damit steht mehr Hausbesitzern als bisher ein Zuschuss für den Schallschutz zu. Den Flughafen werde dies wohl zwölf Millionen Euro kosten, sagt Katja Tempel. Voraussetzung für die finanzielle Unterstützung sei ein Gutachten, das die Notwendigkeit des Schallschutzes bestätige. Der Flughafen bietet die Übernahme der Gutachterkosten an, sofern ein vom Flughafen beauftragter, aber unabhängiger Experte das Gutachten erstellt. Bisher lägen mehr als 550 Anträge vor, sagt Katja Tempel.

Eine Karte zeigt die Schutzzonen in Hamburg : www.abendblatt.de/fluglaerm