300 Millionen Tonnen Rind, Schwein oder Huhn werden jährlich gegessen. Das verändert die weltweite Landwirtschaft

Berlin. Die üppig gefüllte Fleischtheke sieht verführerisch aus: Schinken und Salami, Steaks und Schnitzel, marinierte Koteletts und Gehacktes frisch aus dem Fleischwolf. 85 Prozent der Bevölkerung essen täglich oder nahezu täglich Fleisch und Wurst, daran haben auch die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre nichts geändert.

Der neue "Fleischatlas", den der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit der Monatszeitschrift "Le Monde diplomatique" herausgegeben haben, zeigt, wohin der Appetit auf Steak und Co. geführt hat. Der 50 Seiten starke Report enthüllt aber auch kuriose Details über die Essgewohnheiten der Deutschen, etwa dass der Fleischhunger in jungen Jahren am größten ist. Und dass Männer in Thüringen am meisten Fleisch verzehren, Frauen in Rheinland-Pfalz am wenigsten. Die Hamburgerinnen liegen im Ländervergleich in der zweitniedrigsten Kategorie, wie auch die Frauen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Dagegen fallen die männlichen Hamburger - nomen est omen - in die zweithöchste Kategorie; die Niedersachsen und Schleswig-Holsteiner essen weniger Fleisch.

Mit den "Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel" wollen die Herausgeber aufzeigen, was der Verbraucher beim Anblick der appetitlichen Fleischtheke eben nicht sehen kann: die globalen Zusammenhänge und Verflechtungen der Fleischindustrie. 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen weltweit werden heute schon direkt oder indirekt zur Fleischproduktion genutzt. Auf knapp einem Drittel der 14 Milliarden Hektar Agrarflächen werden Futtermittel angebaut. Wichtigster globaler Fleischlieferant ist mit 40 Prozent das Schwein, gefolgt von Geflügel, Rind und Schaf. Fleisch gilt gerade in Ländern wie China als "Symbol für Aufstieg und Luxus".

Die Fleischproduktion trägt inzwischen 40 Prozent zum Gesamtwert der weltweiten Agrarproduktion bei. Immer mehr Tiere werden dabei in immer größeren Ställen auf immer engerem Raum gehalten. Die USA, Brasilien und China produzieren die Hälfte aller Schweine, Rinder, Hühner, Puten und Enten weltweit. Neben diesen fünf Arten werden nur noch Schafe, Ziegen und Kaninchen in größerem Stil gehalten. So kommen im Jahr mehr als 300 Millionen Tonnen Fleisch auf die Teller, Tendenz steigend. Allein die Geflügelproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren verzehnfacht.

Innerhalb der acht Tierarten wird die genetische Vielfalt immer geringer. Denn viele Rassen eignen sich nicht für die Hochleistungsproduktion. Die Welternährungsorganisation FAO hat weltweit 8000 Rassen dokumentiert - jede fünfte ist vom Aussterben bedroht. Wenn dies geschieht, stirbt ein Gen-Reservoir, das möglicherweise Eigenschaften enthält, die in Zukunft von Bedeutung sein könnten, etwa die Robustheit gegen Krankheitserreger.

Längst verdrängten schnell wachsende Hybridtiere traditionelle Mastschweine wie das Angler Sattelschwein und das Bunte Bentheimer Landschwein. Legefreudige Einheitshennen dominieren die Eierproduktion, Hochleistungskühe die Milcherzeugung. Beispiel Geflügel: "Zwischen 1989 und 2006 reduzierte sich bei gleichbleibendem Wachstum des Marktes die Anzahl der Zuchtunternehmen, die Geflügel-Genetik bei Masthühnchen einsetzen, von weltweit elf auf vier Unternehmen und bei Legehennen von zehn auf drei Unternehmen", heißt es in dem Report. Drei Unternehmen züchten für den Weltmarkt Puten, zwei Unternehmen Enten. Sie produzieren genetisch weitgehend uniforme Tiere, die als Eintagsküken, in Kartons verpackt, zu Mast- und Legebetrieben in die ganze Welt ausgeflogen werden - "ein Zuchthahn kann bis zu 28 Millionen Nachkommen haben", so die Dokumentation.

Wo besonders viele Tiere gehalten werden, ist die Belastung der Umwelt mit Stickstoff extrem hoch, zum Beispiel im südlichen Großbritannien, in den Niederlanden, Belgien und im östlichen Niedersachsen. In Deutschland wird zwar inzwischen weniger Dünger eingesetzt, doch liegt die Menge mit 96 Kilogramm pro Hektar Jahr noch deutlich über dem Zielwert von 80 Kilogramm je Hektar und Jahr. Die Emissionen aus den Tierställen tragen zudem zum Klimawandel bei. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks hinterlässt die europäische Tierproduktion ihre Spuren. Für die Intensivmast importiert die Europäische Union jedes Jahr mehr als 35 Millionen Tonnen Soja als Futtermittel. Allein in Argentinien wird auf 20 Millionen Hektar Soja angebaut. Um neue Flächen zu gewinnen, wird Weideland umbrochen. Und für neues Weideland wird Regenwald gerodet.

Um diesem Kreislauf der Umweltzerstörung zu entkommen, steigen einige Verbraucher auf Biofleisch um. Doch sein Anteil liegt je nach Fleischart gerade einmal zwischen ein bis vier Prozent. Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung fordert ein Umsteuern in der Agrarpolitik. Ein sogenannter Vegi-Day (ein fleischloser Tag) in der Woche sei ein erster Ansatz, aber keine Lösung. Brüssel müsse die Agrarpolitik ökologischer ausrichten: "Subventionen für intensive Fleischproduktion müssen gestrichen und die kleinbäuerliche Landwirtschaft gefördert werden."

Es ist kein Zufall, dass der "Fleischatlas" gerade jetzt veröffentlicht wird - am 18. Januar beginnt in Berlin die "Internationale Grüne Woche". Die Herausgeber wollen mit ihrem Report eine Debatte über den künftigen Kurs der Agrarpolitik anstoßen. BUND-Chef Hubert Weiger sieht in der globalen Fleischproduktion einen der großen Treiber der Umweltzerstörung. Er appelliert an die Verbraucher, ihren Fleischkonsum zu reduzieren und möglichst Fleisch aus artgerechter Tierhaltung zu kaufen. Weiger forderte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) auf, sich bei den Verhandlungen für eine Agrarreform auf die Seite der EU-Kommission zu stellen und sich dafür stark zu machen, dass die Gelder aus dem Brüsseler Agrartopf stärker an Umweltauflagen geknüpft werden.