“Fleischatlas“ warnt vor Gesundheitsrisiken. Gefährliche Keime auf Schweinemett entdeckt

Berlin/Hamburg. Trotz eindringlicher Warnungen von Ernährungs- und Umweltexperten wollen die meisten Deutschen auf den täglichen Fleischgenuss nicht verzichten. Nach einem neuen "Fleischatlas", den die Heinrich-Böll-Stiftung, der Umweltverband BUND und die Monatszeitung "Le Monde Diplomatique" am Donnerstag veröffentlichten, verzehren die Bundesbürger jährlich pro Kopf im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch - damit liegen sie mit an der Weltspitze. Statistisch gesehen isst jeder Deutsche in seinem Leben 1094 größere Tiere: 945 Hühner, 46 Schweine, 46 Puten, 37 Enten, zwölf Gänse sowie jeweils vier Rinder und vier Schafe.

Die Folge des Massenkonsums ist ein dramatischer Wandel in der Lebensmittelherstellung. Noch in den 1960er-Jahren wurde Vieh auf den Höfen fast immer mit frischem Heu und selbst angebautem Getreide versorgt. Heute kaufen die Betreiber von Industrieställen, in denen häufig mehr als 40.000 Hühner oder 2000 Schweine gehalten werden, weltweit Futtermittel ein. Auf vielen fruchtbaren Böden in Entwicklungsländern wächst Soja für deutsche Futtertröge heran. Und auch Agrarflächen in der Bundesrepublik dienen inzwischen zu zwei Dritteln der Futtermittelproduktion. Die riesigen Anbaufelder und hoch technisierten Ställe seien ebenso Ausdruck einer "Vieh-Revolution" wie die gigantischen Schlachthöfe, so der "Fleischatlas". Allein in Europas größtem Geflügelschlachthof in Wietze (Niedersachsen) werden jede Stunde 27.000 Tiere getötet.

Neben fragwürdigen Haltungsbedingungen der Tiere ist der hohe Einsatz von Antibiotika eines der größten Probleme. "Im weltweiten Ranking liegt Deutschland mit geschätzt etwa 170 Milligramm eingesetzten Antibiotika pro Kilo erzeugtem Fleisch auf einem der vorderen Plätze", mahnen BUND und Böll-Stiftung. Inzwischen treten immer häufiger Keime auf, die unempfindlich sind gegenüber Antibiotika. "Europaweit sterben im Jahr rund 25.000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenzen", heißt es. Nach Erhebungen des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) in Berlin gehören resistente Keime längst zum Alltag der deutschen Fleischproduktion. In Schlachthöfen fanden Mediziner bei bis zu 80 Prozent des Schweinefleisches und bis zu 66 Prozent des Putenfleisches Bakterien, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe unempfindlich sind. Das Bundesinstitut warnt vor einem "Gesundheitsrisiko für den Menschen" und fordert "Maßnahmen zur Eindämmung der Entwicklung".

Vor allem Fleisch, das roh oder nicht durchgegart auf die Teller kommt, kann schwere Gesundheitsprobleme auslösen. Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn und Friedrich Ostendorff ließen 50 Mettproben aus zehn deutschen Städten auf sogenannte ESBL-Keime untersuchen. Bei acht Proben wurden die Labore fündig, darunter bei zwei Schinken-Zwiebel-Streichmettwürsten, die am 19. Dezember in Hamburger Supermärkten gekauft wurden. "Antibiotikaresistente Keime auf roh verzehrtem Fleisch sind eine tickende Bombe", sagte Höhn dem Abendblatt. Der Antibiotikaeinsatz in den Ställen müsse stark heruntergefahren werden, "über kleinere Herden und mehr Platz für die Tiere".