Die Forschung der Physik-Nobelpreisträger David Wineland und Serge Haroche mit Atomen und Photonen könnte Quantencomputer möglich machen.

Hamburg. Es ist eine merkwürdige, paradoxe Welt, in der sich die kleinsten Teilchen tummeln. Auf mikroskopischer Ebene verhalten sich Atome, die Grundbausteine allen Lebens, und Lichtteilchen ganz anders, als wir es aus unserem Alltag kennen. Wir Menschen können nur entweder Ja oder Nein sagen, wir können nicht gleichzeitig wütend und sanftmütig sein. Einzelne Atome hingegen können mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen: Sie können sowohl in einem Grundzustand und einem angeregten Zustand sein, sie können für 0 und 1 stehen und damit sogenannte Quantencomputer möglich machen, die mit extrem vielen Zahlen parallel rechnen - und so in Minuten Aufgaben erledigen, für die herkömmliche Supercomputer Jahre bräuchten.

Allerdings sind diese Überlagerungen verschiedener Zustände sehr fragil; es galt lange als unmöglich, einzelne Teilchen zu isolieren und dabei ihre besonderen Eigenschaften zu bewahren. Der mit umgerechnet 930 000 Euro dotierte Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an zwei Forscher, denen sogar mehr als das gelang: David Wineland vom National Institute of Standards and Technology in Boulder und Serge Haroche vom Collège de France in Paris. Die beiden schafften es nicht nur, die Eigenschaften der Teilchen zu messen, sondern deren Zustände auch zu manipulieren.

Dabei gingen die Physiker verschiedene Wege: Der Amerikaner Wineland gestaltete mit Licht Atome. Dazu fixierte er geladene Atome, sogenannte Ionen, in einer Falle aus elektromagnetischen Feldern und veränderte den Zustand der Partikel mithilfe von Lichtteilchen (Photonen). Der Franzose Serge Haroche machte es andersherum: Er gestaltete mit Atomen Licht. Dazu sperrte er Photonen zwischen zwei Spiegeln ein, sodass die Teilchen hin- und herreflektiert wurden. Dann nutzte er Atome, um Photonen mit überlagernden Eigenschaften zu erzeugen.

Kollegen halten die Auszeichnung für hochverdient. "Als ich noch Doktorand war, habe ich 1989 in einer Sommerschule Vorlesungen von Serge Haroche gehört", erzählt Prof. Klaus Sengstock, geschäftsführender Direktor des Instituts für Laser-Physik an der Uni Hamburg. "Schon damals stellte er diese Ideen vor - und wir saßen da und staunten. Auch David Wineland zählt zu den Besten auf seinem Gebiet." Ein weiterer Pionier sei der Hamburger Professor Peter Toschek, sagt Sengstock.

Um zu verstehen, warum die Experimente dieser Forscher einmal zu Quantencomputern führen könnten, muss man sich zunächst klarmachen, wie herkömmliche Rechner arbeiten. Das Herz eines Computers ist sein Prozessor. Die jüngsten dieser Mikrochips bestehen aus Milliarden winziger Transistoren. Diese werden unter dem Einfluss einer elektrischen Spannung dazu gebracht, sich zu laden oder zu entladen. Eine Einstellung steht für Null, die andere für Eins, die beiden Zeichen des digitalen Alphabets - sogenannte Bits. Viele Einsen und Nullen bilden Informationen, die ein Computer in Texte, Bilder oder Videos übersetzen kann. Doch weil die Miniaturisierung herkömmlicher Chips schon bald an physikalische Grenzen stoßen wird, arbeiten Forscher weltweit an neuen Methoden, Daten zu verarbeiten.

Die größten Hoffnungen, so scheint es seit einigen Jahren, sind mit der Idee des Quantencomputers verbunden, einer Maschine, die eben jene quantenmechanische Eigenschaft von Atomen nutzt, mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen zu können. Wird festgelegt, dass der Grundzustand des Atoms für 0 steht und der angeregte Zustand für 1, könnte der Computer mit beiden Werten parallel rechnen. Quantenbits, kurz Qubits, heißen solche Systeme.

Wichtige Grundlagen für die Entwicklung von Quantencomputern schufen die jetzt ausgezeichneten Forscher Wineland und Haroche. Beide Physiker erforschten Wechselwirkung von Materie und Licht. Wineland nutzte den Umstand, dass sich die Elektronen in der Hülle von Atomen durch Licht anregen lassen. Die Elektronen sitzen auf verschiedenen Schalen. Man kann sich das auch wie eine Treppe vorstellen. Auf jeder Stufe liegen Bälle. Durch Bestrahlung mit Licht nehmen die Elektronen Energie auf; dadurch können sie eine Stufe höher springen. Diesen Zustand könnte man als 1 definieren. Fallen die Teilchen in ihren Grundzustand zurück, also eine Stufe tiefer, senden sie Licht aus. Das könnte der Wert 0 sein. Paradoxerweise können die Elektronen aber auch auf beiden Stufen stehen.

David Wineland gelang es zuletzt, acht in einem elektrischen Feld nebeneinander gefangene Atome, genauer: deren Elektronen, derart mit Laserlicht zu präparieren, dass die Teilchen jeweils einen überlagerten Zustand einnahmen, also für 0 und 1 standen. Damit hatte er ein Quantenbyte zusammen. Mit einem solchen System ließen sich einfache Rechnungen durchführen. Die Ionenfalle brachte er auf einem ein Quadratzentimeter kleinen Chip unter. Zum Vergleich: Ein Mikroprozessor der jüngsten Generation rechnet mit Milliarden Bits. Doch weil Qubits die Werte 0 und 1 annehmen können und theoretisch noch viele andere Werte dazu, könnten schon weniger als hundert Qubits reichen, um die besten aktuellen Rechner zu überflügeln.

Die Frage ist jedoch, wie sich die abgelegten Informationen von einem Atom zum anderen übertragen lassen. Hier kommt wohl nur Licht infrage. Denn erstens ist es so schnell wie sonst nichts und zweitens können die Lichtteilchen, die sich in Wellen ausbreiten, verschiedene Polarisationen haben: Sie können nicht nur entweder hoch- und runterschwingen oder nach rechts und links (also für 0 oder für 1 stehen), sondern beides gleichzeitig. Insofern könnten sie die Mehrfachinformation von Qubits übertragen. Pro Qubit bräuchte man ein Lichtteilchen. Hier kommt Serge Haroche ins Spiel: Er präparierte Licht derart, das einzelne Lichtteilchen entstanden. Bis dahin hatten Physiker angenommen, dass einzelne Lichtteilchen nur zufällig in bestimmten Mengen entstehen, dass sich dieser Prozess aber nicht gezielt beeinflussen lässt.

Trotz dieser Fortschritte ist es noch ein weiter Weg zum Quantencomputer. David Winelands Ionenfalle funktioniert bisher nur in einer Vakuumapparatur mit den Maßen eines Kühlschranks - die gesamte Anlage mit Drähten und Lasern füllt ein Labor.