Medizin-Auszeichnung geht an Forscher, die entdeckt haben, dass sich reife Körperzellen in entwicklungsfähige Stammzellen verwandeln lassen

Stockholm/Hamburg. Die einen träumen von einem Jungbrunnen für geschädigte Organe, die anderen befürchten das Aufstoßen einer Tür zum Klonen von Menschen: Der diesjährige Nobelpreis für Medizin und Physiologie für zwei Stammzellforscher löst ein geteiltes Echo aus. Ausgezeichnet werden der Brite Sir John B. Gurdon, 79, und der Japaner Shinya Yamanaka, 50, für ihre Entdeckung, dass ausgereifte Körperzellen in unreife Stammzellen umprogrammiert werden können. Diese pluripotenten Stammzellen besitzen - im Gegensatz zu den spezialisierten Körperzellen - noch die Fähigkeit, sich in alle Gewebetypen weiterentwickeln zu können. Eine Stärke, auf der die Forschung aufbauen will: Indem man die Zellen in ihren jungen Zustand, also auf Anfang, zurücksetzt, hoffen die Forscher, damit einmal durch Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes abgestorbene Zellen ersetzen zu können.

Thomas Perlmann vom Nobelkomitee nannte eine weitere Begründung für ihre Entscheidung: "Die beiden Preisträger haben völlig neue Felder für die Entwicklung von medizinischen Präparaten eröffnet." Sein Kollege Urban Lendahl ergänzte, dass es noch zu früh sei zu sagen, wann die Erkenntnisse in der Zelltherapie umgesetzt werden können. "Dank ihrer Arbeit wissen wir jetzt aber, dass die Zellentwicklung keine Einbahnstraße ist."

Der Anfang dieser Forschung liegt 50 Jahre zurück. Damals wies Gurdon in Experimenten nach, dass der Prozess der Spezialisierung einer Zelle umkehrbar ist. In dem Experiment ersetzte er den Kern einer Eizelle eines Frosches durch den Zellkern einer reifen, spezialisierten Darmzelle einer Kaulquappe. Das Ei entwickelte sich zu einem voll funktionierenden Klon einer Kaulquappe. Damit wies der Zellbiologe nach, dass auch im Kern einer reifen Zelle alle notwendigen Informationen für die Entwicklung eines kompletten Lebewesens enthalten sind. Jahre später wurde dadurch das Klonen von Säugetieren möglich. Das erste war das 1996 geborene Klonschaf Dolly.

Die Rückverwandlung einer Zelle war auch das Ziel des Zellforschers Shinya Yamanaka. Zunächst suchte er nach den Genen, die dafür sorgten, dass embryonale Stammzellen, die nur in Embryonen vorkommen, in ihrem unreifen Zustand gehalten werden. Nachdem er einige dieser Gene identifiziert hatte, untersuchte er, ob sie reife in unreife Körperzellen verwandeln konnten. Zusammen mit seinen Kollegen schleuste Yamanaka diese Gene in unterschiedlichen Kombinationen in reife Bindegewebszellen ein. Schließlich fanden die Wissenschaftler eine Kombination, die funktionierte: Nur vier Gene reichten aus, um die Bindegewebszelle in eine unreife Stammzelle zurückzuverwandeln. Diese Zellen, die als induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) bezeichnet werden, konnten wiederum dazu gebracht werden, sich in Nerven- oder Darmzellen zu verwandeln. Die Entdeckung Yamanakas wurde 2006 veröffentlicht und als großer Durchbruch betrachtet.

"Diese iPS-Zell-Technologie ist ein sehr vielversprechendes Forschungsgebiet, weil sich damit die Möglichkeit ergibt, aus ethisch unbedenklichen Zellquellen ausgereifte menschliche Zellen herzustellen, die dann für die Medikamentenentwicklung zur Verfügung stehen", sagt Dr. Arne Hansen, Mitarbeiter am Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Eppendorf. Aber es sei noch ein weiter Weg, bis iPS-Zellen möglicherweise zur Herstellung von Gewebeersatz genutzt werden könnten.

Nicht ganz einfach scheint es auch zu sein, die wandlungsfähigen Zellen auf dem richtigen Kurs zu halten, sodass sie bei der Weiterentwicklung zu einem der 200 Körperzelltypen das gewünschte Ziel erreichen. "Der Weg, den die Zellen nehmen, wird durch ein kompliziertes Verfahren erreicht. Dabei werden zu den Zellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten Cocktails aus Botenstoffen gegeben. Aber auch damit ist es bisher noch schwierig, den Zelltyp zu erreichen, den man ursprünglich anvisiert hatte", erklärt Hansen.

In den Jahren nach Yamanakas Entdeckung ist die Forschung an den iPS-Zellen schon weiter vorangekommen. "Die ursprüngliche Idee war: Die Reprogrammierungsfaktoren werden durch künstliche Viren in die Zelle eingebracht. Dadurch kommt es aber zu einer Veränderung des Erbguts, die immer ein Krebsrisiko birgt. Deshalb sind in den vergangenen Jahren weitere Strategien entwickelt worden, zum Beispiel indem bestimmte Eiweiße oder Nukleinsäuren in die Zelle eingebracht wurden", sagt Hansen.

Die großen Ziele bei der Forschung mit iPS-Zellen sieht der Wissenschaftler in zwei Bereichen: zum einen als mögliche Therapie von degenerativen Erkrankungen, bei denen Zellen absterben, wie zum Beispiel bei der Parkinsonschen Krankheit, bei Diabetes und beim Herzinfarkt. "Der Vorteil ist, dass iPS-Zellen von jedem Menschen aus körpereigenen Zellen hergestellt werden können, sodass keine Abstoßungsreaktionen gegen fremde Zellen auftreten können", sagt Hansen. Der zweite Anwendungsbereich liege in der Entwicklung von Medikamenten. "Mit iPS-Zellen können Testsysteme für die unterschiedlichen Organe entwickelt und Wirkungen und Nebenwirkungen eines Medikamentes besser an menschlichen Zellen untersucht werden.

Das jüngste Beispiel dafür, wie iPS-Zellen in Zukunft eingesetzt werden könnten, zeigen Untersuchungen von japanischen Forschern um Katsuhiko Hayashi von der Universität in Kyoto, deren Ergebnisse erst vergangene Woche im Journal "Science" veröffentlicht wurden. Den Wissenschaftlern gelang es, bei Mäusen aus Stammzellen funktionsfähige Eizellen herzustellen. Für die Experimente verwendeten die Forscher embryonale Stammzellen und iPS-Zellen. Beide Zelltypen wandelten die Forscher in Zellen um, die den Urkeimzellen ähneln, aus denen Ei- und Spermazellen hervorgehen. Dann erzeugten die Forscher einen künstlichen Eierstock, den sie in die Eierstöcke von Mäusen transplantierten. Dort entwickelten sich die Zellen zu Eizellen weiter, die dann künstlich befruchtet wurden. Die Embryonen verpflanzten die Forscher in Mäuse-Weibchen zurück. In beiden Fällen erhielten sie Mäusenachwuchs, der sich vermehrte.