Stiftung will Befestigungen rückbauen. In Hamburg starten die Arbeiten noch in diesem Jahr, etwa im Heuckenlock. Elbexperte vergleicht Fluss mit Lunge.

Hamburg. In wenigen Tagen rollt am Ufer von Juelssand an der Unterelbe ein Bagger an. Er wird tonnenweise Schlackensteine abtragen, damit die Elbe wieder ins Vorland einströmen kann. Dann, so hoffen die Experten, wird eine Prielstruktur entstehen mit Schilf- und Reetbeständen, die zur Gesundung des Flusses beitragen. Die Öffnung des befestigten Ufers an der Haseldorfer Marsch ist das erste Projekt der Stiftung Lebensraum Elbe. Sie will zwischen Geesthacht und Cuxhaven mehr Naturräume schaffen und damit den Flussbewohnern den Zugang zu neuen, wertvollen Lebensräumen ebnen.

Das Wahrzeichen von Juelssand - ehemals eine Elbinsel - ist der schmucke weiße Leuchtturm, von Seglern Kleiner Kohn genannt. Zu seinen Füßen startet nun ein Leuchtturmprojekt. "Wir werden das Deckwerk in fünf Bereichen eines etwa einen halben Kilometer langen Uferabschnitts um einen halben Meter abtragen", sagt Professor Heinrich Reincke. "Durch die jeweils etwa zehn Meter breiten Durchlässe wird das Wasser mit der Tide einströmen und abfließen können." Insgesamt sollen 500 Tonnen Schlackensteine entfernt werden - das macht 35 bis 40 Lkw-Fahrten mit einem 15-Tonner.

Reincke, Honorarprofessor für Wasserwirtschaft an der Hochschule 21 in Buxtehude, leitet die Hamburger Stiftung Lebensraum Elbe . Sie wurde vom schwarz-grünen Senat im Mai 2010 ins Leben gerufen - als politisches Signal, dass der Stadt neben der geplanten Fahrrinnenvertiefung auch der Naturraum Elbe am Herzen liegt. Denn seit Jahrzehnten wurde dem Flusslebensraum stark zugesetzt, das zeigten bereits zahlreiche Studien. "Bislang haben wir zwar die Veränderungen registriert und Projektideen zur Verbesserung des ökologischen Zustands der Elbe entworfen. Doch scheiterten viele Vorhaben am Geldmangel", sagt Reincke, der 16 Jahre lang die Wassergütestelle Elbe in Finkenwerder leitete. Nun stehe erstmals regelmäßig Geld für Baumaßnahmen zur Verfügung.

Der Elbeexperte vergleicht den Fluss mit einem Lungensystem: "Die Elbe hat kaum noch Verästelungen mit Prielen und sauerstoffreichen Flachwasserzonen. Sie sollten wiederhergestellt werden, damit der Fluss wieder atmen kann." Heute leidet die Fischwelt an heißen Sommertagen immer wieder an Sauerstoffmangel. Unterhalb des Hafens sinkt der Sauerstoffgehalt dann unter die kritische Marke von drei Milligramm pro Liter Flusswasser, dem Mindestgehalt, den die Fische zum Atmen brauchen. Lichtdurchflutete Flachwasserbereiche, in denen Algen viel Sauerstoff produzieren, sind am Elbstrom Mangelware geworden.

Vor knapp 20 Jahren hatte das Vermessungsamt Hamburg den Zustand aller Hamburger Elbufer erhoben: Nur ein Prozent der 207,4 Kilometer langen Uferlinie war demnach naturnah. Nur in diesen Bereichen gibt es einen sanften Übergang zwischen Wasser und Land, der von Pflanzen und Tieren besiedelt werden kann. Rund 38 Prozent der Ufer werden durch Spundwände vom Fluss getrennt; sie säumen vorallem Hafenbecken. Auch wenn die Becken alles andere als naturnah sind, gibt es ökologische Schäden, wenn die Hafenbehörde Hamburg Port Authority stillgelegte Becken zuschütten lässt, um Logistikflächen zu gewinnen. Reincke: "Die Becken nehmen während der Flut ein großes Wasservolumen auf und lassen das Wasser bei Ebbe langsamer abfließen." Die strömungsarmen Becken mit ihrem relativ klaren Wasser sind zudem Rastplätze für Fische.

Die größte ökologische Rolle spielen jedoch die Uferstrukturen. Fast 33 Prozent der Flussflanken sind mit Schüttungen aus Kupferschlacke, Naturstein oder Granit befestigt, fast zehn Prozent durch ein Gemisch aus Steinen, Schlacke und Erdboden verbaut, gut sieben Prozent sogar gepflastert. Die 1993 erhobenen Anteile hätten sich bis heute kaum verändert, betont Reincke. "Unser Ziel ist es, zumindest fünfProzent naturnahe Ufer zu haben." Deshalb werden auch im Hamburger Elbabschnitt noch in diesem Jahr Bagger anrollen, zunächst im Naturschutzgebiet Heuckenlock (Wilhelmsburg) und im Holzhafen (Rothenburgsort).

+++ Info: Die Stiftung Lebensraum Elbe +++

Im Naturschutzgebiet Heuckenlock liegen einer der letzten tidebeeinflussten Auenwälder Europas und ein ebenfalls seltenes Süßwasserwatt. An vielen Stellen fließt hier die Elbe ins Deichvorland, bildet ausgedehnte Reetflächen, durch die sich die Priele wie Wasseradern ziehen. Besonders wertvoll sind kleine Wattbuchten (Schlenzen). Sie bieten unter anderem dem Schierlings-Wasserfenchel Lebensraum, einer unscheinbaren Pflanze, die es weltweit nur an der Elbe im Raum Hamburg gibt. An drei Stellen, wo noch Schüttsteine das Ufer zudecken, sollen solche Schlenzen geschaffen werden, um dem stark bedrohten Schierlings-Wasserfenchel und anderen Pflanzen neue Refugien zu bieten.

Unterm Pflaster liegt der Strand. Das gilt auch für das zweite Projekt im Holzhafen an der Billwerder Bucht. Auch hier werden der Natur Steine aus dem Weg geräumt. Im Holzhafen gibt es keinen Schiffsverkehr mehr, also auch keinen Anlass, das Ufer vor Wellenschlag zu schützen. Es entwickelt sich dort ein Süßwasserwatt als Teil des neuen Naturschutzgebietes Auenlandschaft Norderelbe.

Das Schutzgebiet basiert auf einem Vorschlag der Gesellschaft für Ökologische Planung (GÖP), die auch das Tideauen-Informationszentrum an der Bunthausspitze betreibt. Die Naturräume rund ums Zentrum gehören ebenso zum neuen Naturschutzgebiet wie die renaturierte Altspülfläche Kreetsand (Wilhelmsburg), die Spadenländer Spitze und die ehemaligen Filterbecken des Wasserwerks Kaltehofe. Die größere Naturnähe des Holzhafenufers wird das Gebiet weiter ökologisch aufwerten.

"Wir haben gerade eine Studie in Auftrag gegeben, die den aktuellen Zustand der Hamburger Elbuferlinie erfasst und alle Potenziale zum Rückbau von befestigten Abschnitten aufzeigt", sagt Reincke. Einige Stellen hat er bereits im Visier, etwa am nördlichen Elbufer in Höhe des Hirschparks oder am Wrauster Bogen in Kirchwerder.

All diese Maßnahmen sind kaum mehr als Tropfen auf den heißen Stein, wenn es darum geht, der Elbe mehr Raum zu geben. Das weiß auch Heinrich Reincke. Ihm schwebt vor, dem Fluss großflächig Platz einzuräumen, etwa Flächen im Kehdinger Land oder die Haseldorfer Marsch wieder dem Fluss zu öffnen und sie an Ebbe und Flut anzubinden. "Eine Landschaft unter Tideeinfluss ist ökologisch das Wertvollste überhaupt", schwärmt der Wasserbauingenieur. "Alles, was abgeschottet ist, kommt da nicht heran - es geht nichts über die natürliche Dynamik."