Gut 30 Journalisten durften erstmals die Aufräumarbeiten am zerstörten Atomkraftwerk an der japanischen Küste besichtigen.

Fukushima. Zerstörte und bröckelnde Reaktorwände, verrostete Gerüste, Kräne, die großflächige Trümmerhaufen wegräumen, große Wasserpfützen und verbogene Strommasten - dies sahen gut 30 überwiegend japanischen Journalisten, die am Sonnabend erstmals die Ruinen des japanischen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi besichtigen durften. Auf der von der japanischen Regierung organisierten Tour fuhren die Reporter per Bus durch das verwüstete Kraftwerksgelände. Am elften März begann die Katastrophe mit dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami, es folgten Havarien von vier der sechs Reaktorblöcke des Kraftwerks. "Die Lage in der Anlage verbessert sich", versicherte Umweltminister Goshi Hosono der Journalistenschar. Aber sie ist weiterhin dramatisch.

Die Besucher mussten weiße Schutzanzüge und Atemmasken tragen, durften dennoch nur vom Bus die Reaktorgebäude anschauen. Hineingelassen wurden sie nicht. "Wir, die hier arbeiten, haben das Gefühl, dass die Reaktoren stabil sind", sagte der Manager der Kernkraftwerks, Masao Yoshida. Die Lage sei aber weiterhin so ernst, dass es schwierig sei, die notwendigen Arbeiten durchzuführen, sagte er nach der Tour in der erdbebensicheren Zentrale, dem einzigen Gebäude, das die Journalisten betreten durften. In den ersten Tagen der Katastrophe habe er "mehrmals gedacht, dass ich sterben würde", wurde Yoshida zitiert. In den Reaktorgebäuden hatten sich mehrere Wasserstoffexplosionen ereignet; in den Reaktoren eins bis drei kam es zu Kernschmelzen.

Als der Bus am völlig zerstörten Reaktor Nummer 3 vorbeifuhr, habe der Geigerzähler geschrillt, berichtete die japanische Zeitung "Asahi Shimbun". Ein Angestellter der Betreibergesellschaft Tepco habe die Strahlung gemessen, das Gerät soll eine Belastung von einem Millisievert (mSv) pro Stunde angezeigt haben. In Deutschland wird im Falle eines Reaktorunglücks bei zehn mSv der Aufenthalt in Gebäuden empfohlen. Bei 100 mSv wird die betroffene Region evakuiert.

Durch das Unglück gelangte starke Strahlung in die Umwelt und in die Nahrungskette. Tote in direkter Folge wurden nicht gemeldet. Das Gebiet im Umkreis von 20 Kilometern um das AKW wurde evakuiert. 160 000 Menschen hoffen auf eine Rückkehr in ihre Heimat. Um ihnen eine Perspektive zu geben, will Japan Anfang kommenden Jahres damit beginnen, weniger verstrahlte Gebiete großflächig zu dekontaminieren, dort Häuser, Straßen, Äcker und Wälder zu reinigen.

Die Strahlenbelastung ist nach Angaben der Regierung inzwischen deutlich gesunken. Tepco hat den Reaktor Nummer 1 verhüllt, um den Austritt von Radioaktivität zu reduzieren. Einsatzkräfte in der Atomanlage hätten ihm berichtet, dass sie zum Jahresende wie geplant die Reaktoren ganz unter Kontrolle bekommen, sagte Umweltminister Hosono. "Ich finde, es ist bemerkenswert, dass wir es so weit gebracht haben", sagte er.

Auf dem Reaktorgelände und an den verstrahlten Ruinen arbeiten täglich etwa 3000 Menschen. Kritiker werfen Tepco vor, dass sich der Konzern nicht genügend um deren Sicherheit bemühe - das Unternehmen hatte die zulässige Mindestdosis an Strahlenbelastung für die Arbeiter nach dem Unglück deutlich erhöht. Inzwischen hätten sich die Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert, versichert Tepco. Das Kühlsystem des Kraftwerks sei wieder intakt, sodass die Reaktoren auf einem konstant niedrigen Niveau gehalten werden könnten. Beweise für den hohen Arbeitsaufwand, den die atomaren Ruinen erfordern, sind am Rande der Sperrzone um Fukushima zu sehen: Berge von gebrauchter Schutzkleidung, die nur einmal getragen werden kann.

Im Anschluss an ihre Visite wurden die Journalisten auf radioaktive Strahlung untersucht. Nach Regierungsangaben wird es mindestens 30 Jahre dauern, bis der Kernbrennstoff entfernt und die Atomanlage endgültig stillgelegt ist. Zudem könnte es Jahrzehnte dauern, bis Zehntausende Bewohner in die Gegend zurückkehren könnten.

Der Atomphysiker Hiroaki Koide von der Universität Kyoto bezweifelt, dass die Stilllegung des AKW so reibungslos funktionieren werde, wie es die Regierung hoffe. Die Aufräumarbeiten in den drei Reaktorkernen, in denen es zu einer Schmelze kam, stellten eine massive Herausforderung dar. Jüngste Studien legen nahe, dass die japanischen Behörden das Ausmaß des Atomunglücks weiterhin unterschätzen.

Laut einer Studie des norwegischen Instituts für Luftforschung gelangte in Fukushima-Daiichi zweimal so viel radioaktives Cäsium-137 in die Atmosphäre wie behördlich bekannt gegeben. Die Menge des freigesetzten Cäsiums, das krebserregend ist, entspreche 40 Prozent der Gesamtmenge, die 1986 bei dem bislang schwersten Reaktorunglück in Tschernobyl in die Atmosphäre gelangte.