Das Europäische Patentamt verhandelte am Dienstag darüber, ob Unternehmen Pflanzen aus biologischen Züchtungen rechtlich schützen dürfen.

München/Hamburg. Wenn das Verfahren, mit dem eine Pflanze klassisch gezüchtet wird, nicht patentierbar ist - kann dann das Erzeugnis, das durch dieses Verfahren entsteht, patentierbar sein? Natürlich nicht, ist doch logisch, sagt der gesunde Menschenverstand. Doch mit der Logik ist es so eine Sache bei dieser Angelegenheit. Was zählt, ist das Recht, und das lässt sich durchaus unterschiedlich auslegen.

Im Europäischen Patentamt (EPA) in München stand gestern eine Grundsatzentscheidung an, die endlich Klarheit bringen sollte. Vor dem Gebäude demonstrierten Vertreter von Hilfs- und Umweltorganisationen gegen Patente auf Pflanzen und Saatgut, während in Saal 111 die Technische Beschwerdekammer über die "Schrumpeltomate" verhandelte. Diese Sorte enthält sehr wenig Wasser und eignet sich deshalb besonders gut zur Herstellung von Ketchup und Saucen.

Seit 2003 hält das israelische Landwirtschaftsministerium ein Patent auf die Tomate (EP 1211926), das in zehn europäischen Staaten gültig ist. Gegen die Patentvergabe legte der britisch-niederländische Lebensmittelkonzern Unilever 2004 Widerspruch ein mit der Begründung, das Zuchtverfahren für die Tomate sei "im Wesentlichen biologisch". Diesem Argument folgte die Große Beschwerdekammer des EPA im Dezember 2010 und erklärte das Verfahren für nicht patentierbar.

Ob auch die Tomate selbst vom Patentschutz ausgeschlossen ist, sollte gestern geklärt werden, doch nach einem harten Verhandlungstag mussten alle Beteiligten unverrichteter Dinge nach Hause gehen: Wegen ungeklärter Rechtsfragen wurde der Fall vertagt und an die Große Beschwerdekammer des EPA verwiesen. Damit bleibt offen, ob die Israelis das Patent in seiner bestehenden Form aufrechterhalten dürfen oder es widerrufen müssen.

Auch wenn der aktuelle Streitfall nur eine bestimmte Tomate behandelt - prinzipiell geht es um Hunderte von Nutzpflanzen. Deshalb ist der Ausgang des Patentstreits von entscheidender Bedeutung für Züchter und Landwirte in der EU. Bislang durften sie Saatgut und Pflanzen kaufen, die Pflanzen kreuzen und so etwa Sorten erzeugen, die widerstandsfähiger sind und höhere Erträge bringen. Das wäre nicht mehr ohne Weiteres möglich, wenn es einen Patentschutz für herkömmlich gezüchtete Pflanzen gäbe. Der Patentinhaber könnte die Zucht verbieten oder Lizenzgebühren erheben.

+++Patente auf Pflanzen+++

+++Aktivisten fordern Aigner zur Klage gegen Brokkoli-Patent auf+++

"Solche Monopole gefährden die Vielfalt. Die Preise steigen, und das geht zulasten der Verbraucher", sagt Christoph Then von der Kritiker-Koalition "No Patents on Seeds", zu der Greenpeace, Misereor und Swissaid gehören. Auch der Deutsche Bauernverband ist besorgt: Patente auf herkömmlich erzeugte Pflanzen könnten das "Aus für eine lebendige mittelständische Züchtungsbranche" in Europa bedeuten. Zwar müssten sich Investitionen in Forschung und Züchtung lohnen - Monopole dürfe es aber nicht geben.

Dass es sie trotzdem schon gibt, hat mit der offenen Rechtslage zu tun. Schon länger patentierbar sind Züchtungsverfahren, die auf technischen Methoden beruhen. Auch die daraus entstehenden Pflanzen und Samen sind patentgeschützt. Auf dieser Grundlage haben sich Konzerne bereits etliche gentechnisch veränderte Pflanzen patentieren lassen. Nicht patentierbar sind Verfahren, die "im Wesentlichen biologisch" entstanden sind, also durch Kreuzung und Selektion. Das wurde bereits 1973 im Europäischen Patentübereinkommen festgelegt. Das Gesetz bezieht sich aber nur auf das Züchtungsverfahren, nicht auf die Pflanze. Das führte dazu, dass das EPA zwar die meisten Anträge für Verfahren ablehnte, Patente für die Pflanzen aber zuließ.

Doch auch bei zumindest einem Züchtungsverfahren legte das EPA die Definition "im Wesentlichen biologisch" großzügig aus: So vergab es 2002 ein Patent für ein Verfahren, mit dem eine Brokkolisorte gezüchtet wird, die einen erhöhten Anteil Glucosinolat enthält, das angeblich vor Krebs schützt. Die Züchtung erfolgte zwar durch Kreuzung. Bei der Auswahl wandte der Patentinhaber, der US-Konzern Monsanto, aber einen molekularbiologischen Test an, mit der sich noch vor der Aussaat prüfen lässt, welche Pflanze viel Glucosinolat enthält. Deshalb wurde das Verfahren offenbar zunächst als technische Erfindung gewertet. Im Dezember 2010 stellte die Beschwerdekammer des EPA dann jedoch fest, dass ein biologisches Verfahren allein durch die Ergänzung mit solchen technischen Methoden nicht patentierbar sei.

Bereits 2003 hatten die Firmen Syngenta und Limagrain Einspruch gegen das Patent erhoben. Doch die Anhörung in der zweiten Instanz, die für den 26. Oktober 2011 in München angesetzt war, wurde überraschend abgesagt, die Parteien hatten sich geeinigt: Monsanto verzichtet darauf, das Verfahren patentieren zu lassen, dafür akzeptieren Syngenta und Limagrain den Schutz auf die Pflanze selbst. Nun will das EPA schriftlich begründen, ob das Patent eingeschränkt bestehen bleiben kann.

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat zu dem Streit um Tomaten, Brokkoli & Co eine klare Haltung: "Aus ethischen, fachlichen und rechtlichen Gründen" lehne sie Patente auf die klassische Zucht und die daraus entstehenden Pflanzen ab, heißt es auf der Webseite ihres Ministeriums.