Ein Kieler Wissenschaftler untersuchte für die Uno den Einfluss des Menschen auf die Meeressäuger. Die Entwicklung sei erschreckend.

Bonn/Kiel. Die 71 Zahnwalarten, die weltweit die Ozeane und einige große Flüsse bevölkern, leiden immer stärker an den Folgen menschlicher Eingriffe. Dies zeigt eine Untersuchung des Kieler Meeresbiologen Prof. Boris Michael Culik im Auftrag des Uno-Sekretariats der Konvention zum Schutz wandernder Tierarten (CMS, Convention on Migratory Species) mit Sitz in Bonn. "Der Fußabdruck der sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten wird immer größer. Das ist auch in den Meeren abzulesen", sagt Culik. Der Wissenschaftler fordert vor allem ein Umdenken in der Fischerei.

Der Experte für Pinguine und Wale hatte bereits vor zehn Jahren Literaturrecherchen zu den Gefährdungen der Zahnwale angestellt. Zu der Tiergruppe gehören unter anderem sämtliche Delfinarten. Der größte Vertreter der Zahnwale ist der bis zu knapp 20 Meter lange Pottwal, der kleinste der vom Aussterben bedrohte Hafenschweinswal (Vaquita), der gerade einmal 1,40 Meter misst und im Golf von Kalifornien lebt. Die Veränderungen zwischen 2001 und 2010 hätten ihn erschreckt, schildert Culik: "Inzwischen sind auch viele Arten betroffen, von denen wir bislang dachten, dass sie relativ wenig Probleme haben."

Für die neue Erhebung wertete Culik 4900 Publikationen aus, vor allem Veröffentlichungen in Wissenschaftsjournalen und auf Kongressen. Wie schon vor zehn Jahren, stellt der Beifang von kleinen Walen und Delfinen in der Fischerei die größte Bedrohung dar, gefolgt von der Jagd. Weitere Probleme schaffen Schadstoffe und Plastikmüll, der Unterwasserlärm, die Kollision mit Schiffen, die Zerstörung von Lebensräumen sowie Nahrungsmangel durch übernutzte Fischbestände.

Der Meeresschutz sei im vergangenen Jahrzehnt nicht wesentlich vorangekommen, urteilt Culik. Zwar gebe es in einigen Regionen, etwa bei den Nord- und Ostseeanrainern und an der US-amerikanischen Küste, ein großes Problembewusstsein und einige Schutzanstrengungen. Doch die hätten den Negativtrend in der Welt der Wale nicht stoppen können.

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Walarten, die in Küstengewässern leben, seien besonders betroffen, sagt der Meeresbiologe und nennt als Beispiel die Schweinswale: "Ihr Ortungssystem arbeitet mit hohen Frequenzen, die nur geringe Reichweiten haben. Die Tiere können Stellnetze erst in kurzer Entfernung wahrnehmen und dem Hindernis dann kaum noch ausweichen." In Nord- und Ostsee seien die Todesraten der Schweinswale höher als die Geburtenraten - "ein starkes Zeichen, dass die Fangmethoden sich ändern müssen", fordert Culik.

Er selbst entwickelt Techniken, die Beifang vermeiden, experimentiert etwa mit Schweinswal-Warnrufen. Diese könnten von an den Netzen befestigten Geräten abgegeben werden. Boris Culik: "Derzeit gibt es die sogenannten Pinger, die Schall aussenden, um Schweinswale zu verschrecken. Hören die Wale dagegen bekannte Warnrufe, flüchten sie nicht, sondern tasten ihre Umgebung genauer ab und nehmen die Netze wahr; sie lernen dabei."

Insgesamt 62 der 71 überlebenden Zahnwalarten (eine weitere Art, der im Jangtse beheimatete Baiji-Flussdelfin, ist inzwischen wahrscheinlich ausgestorben) sind durch Beifänge der Fischerei bedroht. Im Jahr 2001 waren es noch 50 Arten. Rang zwei belegt die Jagd mit heute 50 betroffenen Arten (2001: 47). Besonders blutige Gemetzel sind der Grindwalfang in den seichten Gewässern der Faröer und das Abschlachten von Walen und Delfinen in japanischen Buchten. Boris Michael Culik: "Jedes Jahr werden in Japan allein um die 11 000 Dall-Hafenschweinswale getötet."

Die drittgrößte Bedrohung ist die Verschmutzung der Meere mit Schadstoffen und Plastikmüll, unter der nach Culiks Recherchen 48 Zahnwalarten leiden (2001: 40). Während die Konzentrationen von langlebigen Giften wie Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) und Polychlorierten Biphenylen (PCB) im Fettgewebe von Walen deutlich zurückgegangen sei, nehme das Problem des Plastikmülls weiter zu, so Culik. Winzig kleine, aber auch größere Kunststoffschnipsel verstopfen den Meeressäugern die Mägen, sodass sie nicht mehr genügend Nahrung aufnehmen können. Sie verhungern mit vollen Mägen.

Die größten Zuwächse an betroffenen Arten gibt es bei der Lärmbelastung. Unter ihr leiden heute mindestens 24 Arten (2001: zwei). In den Meeren wird es lauter, etwa durch den Bau von Offshore-Windparks, die vermehrte Suche nach Öl- und Gasvorräten im Meeresboden und leistungsstärkere militärische Sonarsysteme von U-Bootjägern. Gleichzeitig wachsen auch die Forschungsanstrengungen. Gerade im Zusammenhang mit dem Bau von Windrotoren werden Untersuchungen zur Lärmbelastung durch Rammarbeiten verlangt. Entsprechend steigt die Zahl der Publikationen.

Auch bei den restlichen Einflüssen wächst die Bedrohung der Wale. Lebensraumverluste (18 betroffene Arten) seien häufig in Asien zu finden, so Culik. "Auch Südamerika wird zunehmend problematischer - die Regionen holen nach, was hier in Europa längst geschehen ist. Hier sind viele Gewässer längst stark verbaut."

Bei Kollisionen mit Schiffen (14 betroffene Arten) gibt es eine hohe Dunkelziffer, weiß Culik. "Wir beobachten oft Wale mit schlimmen Verletzungen auf den Rücken - auf den Schiffen, die ihnen diese Verletzungen zugefügt haben, wird dies oftmals gar nicht bemerkt." Sehr gefährlich seien Schnellfähren: "Sie geben nach vorn kaum Schallwellen ab, nur zur Seite und nach hinten. Ein schlafender Wal bemerkt eine sich nähernde Fähre nicht." Auch die Schiffspassagiere seien durch plötzliche Stöße gefährdet, betont der Biologe. So kollidierten zum Beispiel vor den Kanarischen Inseln jedes Jahr mehrere Schiffe mit Pottwalen.

Schließlich fängt der Mensch den Meeressäugern ihre Nahrung weg, wenn er mehr Fisch nutzt als nachwächst und so die Bestände über Gebühr dezimiert. Davon seien gerade Zahnwale betroffen, die größere Fische jagen - Arten, die auch auf unseren Tellern landen. Culik: "Von Schweinswalen ist bekannt, dass sie auf andere Fischarten ausgewichen sind, weil es nicht genug Heringe gab."

Um den Walen effektiv zu helfen, sei vor allem die Fischerei gefragt, so Culik: "An dieser Stellschraube müsste ernsthaft gedreht werden." Doch er schränkt sofort ein: "Sieben Milliarden Menschen wollen ernährt werden." Umso wichtiger ist eine nachhaltige Fischerei mit intelligenten Fangtechniken, die sowohl die Wale und andere Meeresbewohner schonen als auch die Bestände der Speise- und Futterfische nicht überstrapazieren.