Der Pottwal-Kadaver aus der Nordsee hat sich als Besuchermagnet entpuppt. Männer und Frauen, Jung und Alt, pilgern in den Meldorfer Hafen.

Meldorf. Ein Schild neben dem massiven Gittertor im Meldorfer Hafen verspricht Wal-Führungen im 30-Minuten-Takt. Dort hat sich ein knappes Dutzend Menschen versammelt, um „Wal zu gucken“. „Das Tier bitte nicht anfassen“, schärft Thomas Möller, Mitarbeiter beim Küstenschutz, den Besuchern ein. Er weiß nicht, wie oft er diese Mahnung seit Mittwoch schon ausgesprochen hat. „Gestern hatten wir bestimmt 600 Besucher, und heute sind es auch noch mal mehr als 300“, sagt er. Der tote Meeressäuger lockt Einheimische und Touristen. Ein Fischer hatte das Tier am Montag auf einer Sandbank rund 1,5 Seemeilen westlich von Pellworm entdeckt.

„Bitte zusammen bleiben“, mahnt Möller noch, dann geht es los. Nach 50, 60 Schritten geht ein Raunen durch die Gruppe: „Boah, da ist er...“ und „Mann, was für ein Monster“, tönt es beinahe ehrfürchtig. Zwei Minuten später stehen alle still um den toten Pottwal herum: Knapp 15 Meter lang ist er und geschätzte 30 Tonnen schwer. Doch dick sei der Wal nicht, erklärt Möller. „Bei seiner Größe hätte er gut fünf Tonnen mehr wiegen können.“ Weil er ein Leichtgewicht war, seien sich die Experten auch ohne weitere Untersuchungen bei seiner Todesursache sicher: „Der Pottwal ist schlicht verhungert“, erklärt Möller, während einige Meter abseits ein junges Pärchen abwechselnd vor dem Meeresriesen posiert.

Die beiden mühen sich, um Fotos fürs Familienalbum zu machen. „Weiter nach links – nein, noch dichter“, ruft der Freund der jungen Frau zu. Sie gehorcht mit lächelndem Gesicht und schmiegt sich dabei fast an den mattschwarzen Kadaver. Auf dessen Hautoberfläche erheben sich an vielen Stellen Blasen in der Größe von Tennisbällen. „Dort sammeln sich die Verwesungsgase“, erzählt Möller. Die Blasen zeigen, dass die Zersetzung des Wal-Körpers bereits weit fortgeschritten sei. Ein süßlich schwerer Geruch wabert von dem Wal-Bullen herüber. „Hier stranden nur männliche Pottwale, denn die Weibchen ziehen nicht in den Norden, sondern bleiben in wärmeren südlichen Regionen“, erklärt Möller.

Am Boden rund um den Wal-Kadaver des toten Säugers haben sich große Lachen von schwarzem Blut gesammelt. Dazwischen klumpiges gelbes Fett und öliger Tran: „Das ist Lebertran“, ruft eine Mutter ihrem Sohn zu. Dieser hat jedoch nur Augen für das Maul des Wales. Beziehungsweise das, was noch übrig ist. Den Unterkiefer mit den fingerlangen Zähnen aus kostbarem Elfenbein („Der hat einen Wert von 45 000 Euro“) hatte Thomas Möller schon am ersten Tag mit einer Kettensäge abgetrennt: „Der Kiefer war härter als tropisches Hartholz“, sagte er.

Am Freitag wollen Experten damit beginnen, den toten Pottwal für den Abtransport vorzubereiten. Das Skelett soll ins Naturkundemuseum in Münster gebracht werden. Dort soll es unter anderem im Herbst nächsten Jahres in der Sonderausstellung „Wale – Riesen der Meere“ eine der Attraktionen werden, sagte Museumssprecher Frank Tafertshofer.

Zuvor werden die Knochen und das LKW-Rad-große Herz jedoch nach Stralsund gebracht. In einer mehrere Monate dauernden Prozedur – der sogenannten Mazeration – sollen die Walknochen behandelt werden, um sämtliches nicht-knochige Gewebe wie Muskelreste und Fett aus dem Knochen zu lösen. Das Herz soll plastiniert werden. Dabei wird sämtliche Gewebeflüssigkeit gegen Kunststoff ausgetauscht.