Meist ist es das Kreuz, häufig auch Kopf- oder Nackenschmerzen. Doch Therapeuten fehlen, mahnt ein Experte anlässlich des Schmerzkongresses.

Hamburg. Ständiger Schmerz macht vielen Menschen in Deutschland das Leben schwer. Rund 17 Prozent der Bevölkerung werden laut Schätzungen davon gequält. Meistens ist es das Kreuz, das die Probleme bereitet, häufig sind es jedoch auch Kopf- und Nervenschmerzen. Aber nicht jeder geht gleich zum Arzt; viele behandeln sich selbst und greifen zu rezeptfreien Medikamenten aus der Apotheke.

Die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland ist eines der Themen beim Europäischen Schmerzkongress, der heute mit 4000 Teilnehmern aus 75 Ländern in Hamburg beginnt. "Wir haben in Deutschland einen erheblichen Mangel an Schmerzspezialisten. Laut einer Analyse, die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführt wurde, kann man von etwa 1000 praktizierenden Schmerztherapeuten in Deutschland ausgehen; 2000 bräuchte man wahrscheinlich", sagt Prof. Rolf Detlef Treede, einer der deutschen Organisatoren des Kongresses und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes.

Der Neurophysiologe von der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg in Mannheim hat zusammen mit anderen Spezialisten vor einem Jahr zu einem nationalen Aktionsplan gegen den Schmerz aufgerufen, um die Situation der Schmerzpatienten in Deutschland zu verbessern. "Inzwischen führen wir schon viele Gespräche mit Vertretern der Politik, der Kassen und der Ärzteschaft. Aber den Plan gibt es noch nicht."

In anderen europäischen Ländern ist man da offensichtlich schon wesentlich weiter. So hat Portugal laut Treede schon mehrere solcher nationalen Pläne aufgestellt und dadurch die Wartezeiten vor einer Behandlung beim Schmerztherapeuten deutlich reduzieren können. "Französische Kollegen haben auch seit vielen Jahren einen nationalen Aktionsplan gegen den Schmerz. In Italien ist vor einem Jahr ein solches Gesetz erlassen worden, und in Großbritannien haben die gesundheitspolitischen Spezialisten vor zwei Jahren einen solchen Plan gefordert. Wir hängen ziemlich hinterher", sagt der Wissenschaftler. In Deutschland müsse man in den meisten Fällen bis zu sechs Monate auf einen Termin beim Schmerztherapeuten warten.

Eine Behandlung ist dann nötig, wenn die Betroffenen sehr unter den Beschwerden leiden und dadurch stark in den Verrichtungen des täglichen Lebens eingeschränkt werden. "Wenn man die Schmerzstärke auf einer Skala von null bis zehn einteilt, dann ist Stufe vier der Punkt, an dem man mit einer Behandlung beginnt. Dabei heißt null kein Schmerz und zehn der stärkste Schmerz, den man sich vorstellen kann", sagt Treede. Das bedeutet aber auch, dass eine Bewertung dieser Beschwerden immer subjektiv ist. Nur der Betroffene selbst kann wirklich sagen, wie sehr er darunter leidet. Und nicht alle, die an der gleichen Krankheit leiden, haben Schmerzen.

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Erschwerend kommt hinzu, dass die Bewertung des Schmerzes durch Ärzte offensichtlich von vielen Faktoren abhängt. So berichten Experten auf dem Kongress, dass Schmerzen von Männern und Kindern häufig in ihrer Intensität unterschätzt werden, oder weniger ernst genommen werden, wenn es dafür keine gesicherte medizinische Ursache gibt. Eine Rolle spielt auch, wie der Arzt selbst mit Schmerzen umgeht und ob ihm ein Patient eher sympathisch oder unsympathisch ist.

Ungeklärt ist auch die Frage, warum einige einen chronischen Schmerz bekommen und andere nicht. Treede nennt Untersuchungen von Chirurgen, die festgestellt haben, dass dabei mehrere Faktoren wichtig sind. So spielt neben dem Geschick des Operateurs auch eine Rolle, ob ein Patient schon vor einem Eingriff Schmerzen hatte. Und wer dazu neigt, eher das Negative anzunehmen, wird eher von chronischen Schmerzen geplagt als Menschen, die optimistisch in die Zukunft blicken.

Auf dem Kongress werden auch neue Studien über den Einfluss der Gene auf das Schmerzempfinden vorgestellt. Danach können etwa bestimmte Eigenschaften des Erbguts beeinflussen, wie häufig Gene angeschaltet werden, die für die Produktion schmerzverstärkender oder schmerzhemmender Botenstoffe zuständig sind.

Eine wichtige Rolle für die Entstehung chronischer Schmerzen spielt das Schmerzgedächtnis, das auf dem Kongress ebenfalls Thema mehrerer Veranstaltungen sein wird. "Mitglieder meiner Arbeitsgruppe haben festgestellt, dass nach einer elektrischen Reizung der Haut die Schmerzempfindlichkeit für einige Stunden gesteigert wird. Bei fast einem Zehntel der gesunden Versuchspersonen hält diese Steigerung länger als einen Tag an. Das zeigt auch, dass die Anfälligkeit dafür, durch irgendwelche Reize einen lang andauernden Schmerz zu entwickeln, sehr unterschiedlich ist", berichtet Treede.

Auch neue Medikamente werden auf dem Kongress diskutiert, besonders zwei, die 2010 innerhalb Europas bisher nur in Deutschland zugelassen wurden. "Das eine enthält das Capsaicin des Chili-Pfeffers. Es wird als Pflaster auf die Haut gebracht, und die Wirkung kann viele Wochen anhalten. Es wirkt besonders bei HIV-Patienten gegen Nervenschmerzen, die man bisher nur schwer behandeln konnte. Ein zweites Medikament, das Tapendol, ist ein Opiat, das gleichzeitig die körpereigene Schmerzhemmung fördert", sagt Treede.

Aber Medikamente sind meistens nur eine Säule der Behandlung. "Eine ideale Schmerztherapie bei einem Schmerztherapeuten ist eine Kombination von Medikamenten, Krankengymnastik und psychotherapeutischen Maßnahmen", sagt der Neurophysiologe. Damit es gar nicht erst zu chronischen Schmerzen kommt, sollten Patienten und Ärzte akute Schmerzen ernst nehmen und behandeln, wenn sie stärker sind und länger andauern als normal. Bei Rückenschmerzen sollten so auch Trainingsprogramme eingesetzt werden. Bei Migräne gäbe es Medikamente, die das Auftreten der Attacken verhindern sollen und bei Spannungskopfschmerzen könne man etwa mit Entspannungstechniken vorbeugen.