Forscher wollen das Leben der Fischlarven in der Sargasso-See enträtseln. Sie verbrachten 24 Tage der achtwöchigen Reise auf der “Walter Herwig III“.

Hamburg. Der Europäische Aal (Anguilla anguilla) ist sehr fettreich. Das macht ihn schmackhaft, hat aber von Natur aus einen noch tieferen Sinn. Der erwachsene Fisch braucht die Energiereserven, um den bis zu 7000 Kilometer langen Weg in seine Laichgewässer zu bewältigen: in die Sargasso-See nordöstlich der Karibik. Seit Jahrzehnten sorgen sich Fischereiexperten über einen starken Rückgang von Anguilla anguilla. Ein zwölfköpfiges internationales Forscherteam unter deutscher Leitung machte sich auf den Weg in die Sargasso-See, um die noch weitgehend rätselhafte Fortpflanzung der Aale näher zu ergründen.

Die Wissenschaftler verbrachten 24 Tage der achtwöchigen Reise auf der "Walter Herwig III" in der Sargasso-See. "Mit einem Planktonnetz haben wir fast 2000 Larven gefangen", sagt Fahrtenleiter Dr. Reinhold Hanel, Direktor des Instituts für Fischereiökologie in Hamburg, das zum bundeseigenen Von-Thünen-Institut (vTI) gehört. Die Larven sind das entscheidende Bindeglied zwischen den in der Sargasso-See abgelegten Eiern und den europäischen Aalbeständen: Zwei Tage nach der Eiablage schlüpfen die drei bis vier Millimeter kleinen Larven, wachsen dann auf maximal 7,5 Zentimeter heran und lassen sich mit dem Golfstrom und dem nordatlantischen Strom an die afrikanischen und europäischen Küsten verdriften. Dort geschieht die Umwandlung zum Fisch - aus den Larven werden sechs bis sieben Zentimeter kleine Jungaale. Sie sind durchsichtig, daher ihr Name Glasaale.

Von der Fortpflanzung ist noch vieles unbekannt. Hanel: "Wir kennen weder den genauen Laichzeitpunkt der Aale, noch wissen wir, wie sich die Larven in der nährstoffarmen Sargasso-See ernähren. Es ist noch nicht einmal klar, ob ein oder mehr Jahre vergehen, bis sie die europäische Küste erreichen."

Viele offene Fragen also. Doch eines steht leider fest: Seit Ende der 1970er- Jahre liegt das Glasaal-Aufkommen nur noch bei ein bis fünf Prozent des langjährigen Durchschnitts. Über die Ursachen wird heiß diskutiert. Eine These lautet, es kämen zu wenige Elterntiere in die Sargasso-See. Dies rückt die Lebensbedingungen in Europa in den Fokus, sieht die Verbauung der Flüsse, Schadstoffe im Wasser und eine zu intensive Fischerei als verantwortlich für den Bestandsrückgang. Bis 2010 wurden allein jährlich 50 Tonnen Glasaale an europäischen Flussmündungen gefischt, vor allem in Frankreich. 30 Tonnen dienten dem Besatz in europäischen Gewässern, landeten in hiesigen Aquakulturen oder (in kleineren Mengen) in Spanien, Portugal, Frankreich auch direkt auf dem Teller. 20 Tonnen gingen in asiatische Aquakulturen mit Schwerpunkt China. Seit Anfang dieses Jahres ist der Export jeglicher Aalprodukte aus der EU komplett verboten.

Eine zweite These beruht auf Veränderungen im Ozean. Dies würde bedeuten, dass in der Sargasso-See noch genügend Elterntiere ablaichen, doch der Nachwuchs unter schlechten Umweltbedingungen im Laichgebiet oder auf dem Weg nach Europa leidet. Die Forschungsfahrt soll dieses klären.

"Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt", sagt Hanel. "Gestern sind die Proben in unserem Institut angekommen." Genetische Analysen sollen zunächst unter den gefangenen Larven die von Anguilla anguilla herausfiltern. In der Sargasso-See vermehren sich nämlich auch andere Mitglieder der Ordnung Aalartige. Sie umfasst rund 900 Arten, darunter Seeaale und Muränen.

Die Larven der einzelnen Arten, aufgrund ihrer Körperform Weidenblattlarven genannt, sind optisch kaum zu unterscheiden; hier kommt die Genetik ins Spiel. Ist der Nachwuchs des Europäischen Aales identifiziert, kann anhand winziger Gehörsteinchen (Otolithen) das Alter der Larven auf den Tag genau bestimmt werden. Der Querschnitt der Steinchen gibt, ähnlich wie Jahresringe bei Bäumen, den (in diesem Fall täglichen) Zuwachs wieder und könnte Hinweise zum Laichzeitpunkt geben. Die Analyse des Darminhaltes liefert Erkenntnisse zur Ernährung.

Um den Weg der erwachsenen Aale besser zu verstehen, wurden zudem 28 Tiere mit Sendern ausgestattet und auf der Hinfahrt an drei Standorten ausgesetzt: auf einer Linie zwischen den Azoren und Irland, kurz vor den Bermuda-Inseln und südlich davon am Rande der Sargasso-See. In einem früheren Projekt wurden besenderte Aale vor Irland und Portugal freigelassen. Doch von vielen von ihnen verlor sich die Spur bereits in den Küstengewässern; einige wurden von Haien und Delfinen gefressen. Um dies zu vermeiden, legten die Aale jetzt ein Stück ihres Laichwegs per Schiff zurück. Alle anderen müssen die 7000 Kilometer weiterhin schwimmen.

Video: Bestückung der Aale mit Satellitensendern

Quelle: Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei