Tritt bei einem Unfall in einem Atomkraftwerk die Kernschmelze ein, lassen sich Gefahren für die Menschen und unübersehbare Spätfolgen kaum vermeiden

Hamburg/Darmstadt. Der Reaktorunfall in Fukushima wirft viele Fragen auf, auch zur Sicherheit von deutschen Kernkraftwerken. Lesen Sie hier die wichtigsten Antworten:

Im Atomkraftwerk in Fukushima ist es wahrscheinlich zur Kernschmelze gekommen. Was geschieht dort?

Eine Kernschmelze entsteht, wenn sich der Reaktordruckbehälter, in dem die Brennstäbe lagern, aufheizt. Dies passiert durch den Ausfall des Kühlsystems. Steigt die Temperatur im Reaktor auf etwa 2000 Grad, schmelzen die Hüllrohre der Brennstäbe vollständig. Der pulverige Brennstoff tritt aus, sammelt sich am Behälterboden und frisst sich allmählich durch den Stahlmantel - der GAU ist eingetreten.

Wie stark wird die Umgebung bei einer solchen Kernschmelze verseucht?

Das kommt darauf an, was genau geschieht: "Bestenfalls gelingt es durch Kühlung, die Schmelze im Reaktordruckbehälter zu halten", sagt Beate Kallenbach-Herbert, Bereichsleiterin Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut Darmstadt. "Andernfalls frisst sich das heiße Material durch Behälter und Fundamente in den Boden hinein. Dort verseucht es Boden und Grundwasser über Jahrzehnte. Das schlimmste Szenario ist eine Explosion, bei der die Radioaktivität in die Luft entweicht. Sie ist nicht unwahrscheinlich, denn wenn die Hüllrohre schmelzen, entsteht Wasserstoff. Wenn dieser mit Luft reagiert, kommt es zu einer großen Explosion, die alle Sicherheitshüllen sprengt - der Super-GAU."

Wenn er eintritt, hängt der Verseuchungsgrad vom Wetter ab: Wind und Niederschlag entscheiden darüber, wie stark das Land kontaminiert wird. In Tschernobyl wurde ein Radius von 30 Kilometern zur Todeszone erklärt, in der sich niemand mehr aufhalten darf.

In Fukushima arbeiten Siedewasserreaktoren. Sind sie weniger sicher als Druckwasserreaktoren?

Bei Siedewasserreaktoren (SWR) treibt der radioaktive Dampf aus dem Reaktor direkt die Kraftwerksturbine in der Maschinenhalle an. Dagegen verfügen Druckwasserreaktoren über zwei Kühlkreisläufe: Der radioaktive Kühlkreislauf des Reaktors gibt die Hitze über einen Wärmetauscher an einen zweiten Kreislauf ab, der die Turbine versorgt. Dieser Sekundärkreislauf ist nicht kontaminiert. Das spricht für Druckwasserreaktoren. Aber auch moderne SWR sind noch im Geschäft. Man könne nicht generell sagen, der eine Reaktortyp sei unsicherer als der andere, sagt Christian Küppers, Strahlenschutzexperte beim Öko-Institut und Mitglied der Strahlenschutzkommission der Bundesregierung. Entscheidend sei die Auslegung der Anlagen, etwa das Verhältnis der Kraftwerksleistung zum Wasservolumen im Reaktor.

Auch in Krümmel und Brunsbüttel arbeiten Siedewasserreaktoren. Gibt es Unterschiede zu Fukushima?

Über technische Unterschiede kann Küppers wenig sagen - nur so viel: Mindestens die Gebäudehülle von Krümmel ist stabiler konstruiert, das zeigte am Sonnabend die Explosion im Kraftwerksblock 1 in Fukushima.

Wie hoch ist der Anteil der Siedewasserreaktoren in Deutschland?

Von den 17 Reaktorblöcken, die in den zwölf deutschen Kraftwerken Strom erzeugen, sind sechs Siedewasserreaktoren. Der älteste in Brunsbüttel ging 1976 ans Netz, gefolgt von Isar-1 (1977), Philippsburg-1 (1979), Krümmel (1983) sowie Gundremmingen B und C (1984).

Kann ein vergleichbarer Unfall auch in deutschen Kernkraftwerken passieren?

Die deutschen Kernkraftwerke seien theoretisch darauf ausgelegt, dass sie das stärkste in ihrer Region jemals bekannt gewordene Erdbeben aushalten, wenn das Epizentrum genau unter dem Kraftwerk liegt, erklärt Küppers. Kollegin Kallenbach-Herbert betont, es sei durchaus denkbar, dass auch in Deutschland ein Ereignis eintrete, "das jenseits dessen liegt, was man sicherheitstechnisch kalkuliert hat. Wenn zum Beispiel, wie im Juli 2007 in Krümmel, irgendwo ein Brand mit Rauchentwicklung auftritt, wird die Lage schnell unübersichtlich. Wenn dann auch noch Anzeigen ausfallen, kann ein ernstes Problem entstehen."

Welche radioaktiven Stoffe entweichen im Fall eines Super-GAUs?

Es tritt eine große Vielfalt von Substanzen aus. Mengenmäßig am wichtigsten sind das Jod-131, das sehr flüchtig ist, also sehr schnell entweicht. Es hat eine Halbwertszeit von acht Tagen und lagert sich in der Schilddrüse ein. Gesundheitlich besonders relevant sind noch Cäsium-137 und Strontium-90. Beide Substanzen haben eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren, das heißt zu diesem Zeitpunkt hat sich ihre Menge halbiert.

Wie wirkt sich Radioaktivität auf den menschlichen Körper aus?

Ionisierende Strahlung kann auf drei Wegen den menschlichen Organismus schädigen: direkte körperliche Folgen in Form von Früh- oder Spätschäden, genetische Auswirkungen, die sich erst in der nächsten Generation zeigen, und bei Schwangeren die Schädigung des Ungeborenen im Mutterleib.

Eine extrem starke Belastung kann sofort zum Tod führen. Bei starker Belastung treten spätestens nach wenigen Wochen typische Symptome der Strahlenkrankheit auf: Blutarmut, Hautrötungen, Übelkeit und Entzündungen der Schleimhaut. Spätschäden machen sich erst nach Jahren bemerkbar, etwa Krebserkrankungen (unter anderem Leukämie) oder Gewebeveränderungen, die sich zum Beispiel in einer Trübung der Augenlinse zeigen können.