Nach 200 Jahren siedeln die großen Nager wieder auf Hamburger Gebiet. Über die Elbe erschlossen sie sich neue Lebensräume

Sie kamen heimlich, verrieten sich nur durch ihren Appetit auf Gehölz: Im vergangenen Jahr entdeckten Naturschützer Fraßspuren des Bibers in den Vier- und Marschlanden. Eine genauere Untersuchung kommt jetzt zu dem Schluss: Gut 200 Jahre nach ihrer Ausrottung leben die bis zu 35 Kilogramm schweren Nagetiere wieder auf der Stadtfläche, legen erste Baue an, die aber noch nicht zu Burgen herangewachsen sind.

Der Biologe Axel Jahn, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutz Hamburg und Stiftung Loki Schmidt, entdeckte im vergangenen Frühjahr den ersten Biber in Hamburg. "Ich machte eine Naturführung in den Vierlanden. Zuerst sahen wir Fraßspuren, bei einer späteren Führung zeigte sich der Biber sogar." Die von Gewässern durchzogenen Gebiete jenseits der Elbdeiche sind an beiden Ufern ideales Biberland, sofern dort genug Gehölze als Nahrungsquellen wachsen. Deshalb erhielt Jahn von der Stadt den Auftrag, die potenziellen Wohngebiete der Tiere zu kartieren. Dabei stießen er und einige Helfer auf weitere Spuren. "Insgesamt haben wir im östlichen Hamburg vier, vielleicht sogar fünf Reviere ausgemacht, in denen sich jeweils mindestens ein Tier aufhält. Ob sich nur Einzeltiere oder bereits Paare angesiedelt haben, die Nachwuchs versprechen würden, können wir nicht sagen."

Die Einwanderer kommen aus Sachsen-Anhalt. Die Elbauen bei Dessau haben sich, dank konsequenten Naturschutzes, schon zu DDR-Zeiten zur Biberhochburg entwickelt. Dort liegt das Biosphärenreservat Mittlere Elbe mit dem größten zusammenhängenden Auwald Mitteleuropas. Hier leben etwa 1200 Tiere (knapp die Hälfte des sachsen-anhaltinischen Bestands) und vermehren sich redlich.

Wenn in der Biberburg der nächste Nachwuchs erwartet wird, beißen die Elterntiere ihre halbstarken Jungen des vorherigen Jahrgangs weg. Diese machen sich auf die Suche nach einem neuen, passenden Lebensraum, der noch nicht von einem Biber besetzt ist, um ein eigenes Revier zu gründen. Dabei schwimmen sie die Elbe entlang und entern auch deren Nebenflüsse. So erobern sie sich allmählich das Flusseinzugsgebiet.

Zur Zeit der Grenzöffnung anno 1990 waren die Biber bereits 20 bis 30 Kilometer oberhalb von Schnackenburg aktiv. Zum heimlichen Grenzübertritt kam es nicht mehr, da zu diesem Zeitpunkt das Land bereits vereinigt war. "Im Jahr 2002 waren die ersten Tiere in Geesthacht angekommen", erzählt Jahn, der zu dieser Zeit Biber und Fischotter in Niedersachsen und Schleswig-Holstein kartierte, aber auch für die Stiftung Naturschutz/Loki-Schmidt-Stiftung arbeitete. Offensichtlich bremste das Geesthachter Stauwehr die tierische Flussreise; erst 2007/2008 gab es vereinzelte Hinweise auf Biberbesuche in Hamburg.

Der Winter 2009/2010 könnte den Durchbruch gebracht haben, vermutet Jahn: "Damals gab es viel Eisgang auf dem Fluss. In solchen Fällen werden die Wehrtore gelegt - durch die offenen Pforten erschlossen sich die Biber Neuland. Allerdings verändert der Fluss unterhalb des Wehrs sein Gesicht: die naturnahen Ufer unterliegen dem ortsüblichen Tidenhub von dreieinhalb Metern. Unter diesen Bedingungen ist der Burgenbau unmöglich. Der Burgeingang liegt unter der Wasseroberfläche, ein aufsteigender Gang führt in die trockene Wohnhöhle oberhalb des Wasserspiegels. Jahn: "Die Biber können es zwar vertragen, wenn ihr Bau ein paar Male im Jahr durch Hochwasser vollläuft, aber Wasserstandswechsel mehrmals am Tag funktionieren nicht."

Zwar bieten die Gehölze am naturnahen Elbufer den befellten Schwimmern Nahrung, aber nur für die Durchreise. Deshalb liegt es nahe, dass die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere auf der Suche nach einem neuen Revier über den Elbdeich laufen. Stoßen sie binnendeichs auf Gewässer, möglichst mit aufsteigenden Ufern, und auf Pappeln, Weiden oder andere "Futterbäume", ist der erste Schritt zur Sesshaftigkeit getan.

"Da die Tiere den Tag meist im Bau verbringen, sind sie relativ unempfindlich für Störungen", sagt Axel Jahn. Dennoch sind Konflikte programmiert. Denn die Biber graben sich Fluchtgänge und ihren Bau in die befestigten Ufer. Und wenn der Burgeingang trocken fällt, stauen sie an Fließgewässern das Wasser an, bis der Eingang abgetaucht ist. Dieses Verhalten kollidiert mit den Interessen von Deichschützern und Landwirten. Und mancher Gartenbesitzer, dessen Grundstück an ein Gewässer grenzt, könnte sich eines Morgens verwundert die Augen reiben, wenn er feststellt, dass seine Zierkirsche über Nacht gefällt wurde.

Wie konfliktreich das Nebeneinander von Mensch und Biber sein kann, zeigte sich in der vergangenen Woche im Oderbruch (Brandenburg). Bewohner der Großgemeinde Letschin mahnen auf Plakaten: "Hochwasserschutz geht vor Artenschutz." An etwa 60 Standorten sieht man dort Poster, auf denen der possierliche Nager rot durchkreuzt ist. Denn für den Verein "Wir im Oderbruch" ist klar: Biber zerstören die Deiche und sollten deshalb gejagt werden. "Wir fordern eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung für geschützte Tiere", sagte Vereinsvorsitzender Mario Forner. Schätzungsweise 300 Biber sind in der Region heimisch, die immer wieder (zuletzt 1997) unter schwerem Hochwasser zu leiden hatte.

Die Hamburger Deiche sind aufgrund des Tidenhubs zwar vor Biberattacken weitgehend sicher, dennoch betont Axel Jahn: "Wir werden ohne Bestandsbeobachtung und Schadensmanagement zukünftig nicht auskommen." Zusammen mit der Umweltbehörde hat er am 28. Februar eine Fachtagung organisiert, auf der Biberexperten von der Mittleren Elbe und aus Bayern über ihre Erfahrungen zur friedlichen Koexistenz mit dem vierbeinigen Wasserbauer berichten.

In Bayern, wo inzwischen geschätzte 12 000 Tiere leben, treten 90 Prozent der Konflikte weniger als zehn Meter vom Wasser entfernt auf, berichtet das Bayerische Landesamt für Umwelt. Wachsen in unmittelbarer Gewässernähe Maispflanzen oder Zuckerrüben, so können diese als Nahrung oder Baumaterial dienen. Vereinzelt werden Wiesen untergraben, Fisch- oder Klärteiche umgestaltet, Dämme destabilisiert oder auch Nutzholz und Obstbäume umgenagt. In 70 Prozent der bayerischen Biberreviere gibt es jedoch keine Konflikte zwischen Mensch und Nager, betont das Landesamt.

Zwei hauptamtliche Bibermanager und um die 200 ehrenamtliche Berater engagieren sich in Bayern für ein konfliktfreies Miteinander - notfalls auch durch den Fang von "Problembibern". Besser ist jedoch die Vorsorge: Wertvolle Gehölze lassen sich durch Draht schützen, ebenso Deiche oder Zu- und Abflüsse von Fischteichen. Auch Elektrozäune weisen die Tiere in die Schranken. Und: Gefällte Bäume unbedingt liegen lassen, ansonsten bringen die Nager den nächsten Baum zu Fall, um an Nahrung und Baumaterial zu gelangen.

Für Hamburg kommen die Tipps reichlich früh. Hier sucht man Fraßspuren meist noch vergeblich. Zu entdecken sind sie höchstens mit dem geschulten Auge eines Naturschützers. Und der freut sich über die ersten Zeichen des Heimkehrers.