Justus hat das Asperger-Syndrom, wie mit ihm 300 Kinder in Hamburg. Das ist eine Persönlichkeitsstörung, die zu den Autismus-Spektrum-Störungen gehört.

Hamburg. Justus ist ein sehr begabter Junge. Er spielt Klavier nur nach Gehör, er arbeitet am Computer und konnte bereits mit zwei Jahren komplizierte Sätze sprechen. Eigentlich bräuchten sich seine Eltern keine Sorgen um ihn zu machen - wenn nur all das andere nicht wäre. Dass kein Kind mit ihm spielen mag, dass er immer allein ist und nicht versteht, warum die Kinder ihn hänseln und ausschließen. Dass er langsam ist und nur eine Sache auf einmal machen kann. Dass er manchmal nicht mehr leben möchte ...

Justus ist ein Kind mit Asperger-Syndrom. Das ist eine Persönlichkeitsstörung, die zu den Autismus-Spektrum-Störungen gehört. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus, der häufig mit einer verminderten Intelligenz und gestörten Sprachentwicklung einhergeht, entwickeln sich Asperger-Kinder zunächst fast unauffällig. Sie haben eine normale, manchmal sogar hohe Intelligenz und sprechen früh und gut.

Und doch benehmen sie sich schon im Kleinkindalter anders: Sie lassen sich ungern knuddeln, sie vermeiden direkten Blickkontakt mit ihren Bezugspersonen, und sie beschäftigen sich oft exzessiv immer wieder mit der gleichen Sache. Justus hat stundenlang seinen Schnuller hin- und hergedreht, andere Kinder knipsen Hunderte Male den Lichtschalter an und aus. Die Ursachen für Asperger-Autismus sind vielschichtig: Gendefekte scheinen im Gehirn eine veränderte Neurochemie zu bewirken, woraus gestörte Neuronenschaltungen und abweichende Informationsverarbeitungen resultieren.

Bei Kindern mit Asperger-Syndrom fällt die Diskrepanz zwischen normaler Intelligenz und emotionaler Distanz auf, verbunden mit einer ausgeprägten motorischen Ungeschicklichkeit. Die Interaktion mit anderen Menschen ist deutlich gestört. "Es fehlt die Intuition, das 'Hintergrundprogramm', das uns normalerweise erkennen lässt, wie ein Gegenüber eingestellt ist," erläutert die Diplom-Psychologin Barbara Rittmann, Leiterin des Autismus-Instituts Hamburg. "Es kostet uns normalerweise keine Energie zu sehen, ob jemand traurig oder ablehnend ist oder was er von uns will. Einen Menschen mit Asperger-Syndrom erreichen diese Signale nicht."

Kein Wunder, dass ein Asperger-Kind von seinen Klassenkameraden als "komisch" empfunden wird. "Die Asperger-Kinder sind dann immer die, die stören; sie sind nicht integriert, machen schlechte Erfahrungen und ziehen sich zurück. Wenn sie mitmachen wollen, verstehen sie die sozialen Signale der anderen Kinder nicht," erläutert Rittmann. Das ist schwer für die Kinder zu ertragen, und nicht wenige werden depressiv, gehen nicht mehr zur Schule oder haben gar Selbstmordgedanken.

Viele Kinder und ihre Eltern haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits eine qualvolle Odyssee hinter sich: Sie waren bei Kinderärzten und Kindertherapeuten, die nicht wussten, was mit den Kindern los ist; sie haben Kitas und Schulen gewechselt, und die Eltern haben sich anhören müssen, hysterisch zu sein und ihre Kinder nicht erziehen zu können. Christiane Jochims ist Vorsitzende des Vereins Autismus Hamburg e. V., einer Elternselbsthilfegruppe. Sie berichtet, dass sich selbst Ärzte mit der Diagnose schwer tun, auch, um das Kind nicht abzustempeln. "Dabei hilft es dem Kind und den Eltern zu wissen, was los ist- und den Eltern, dass sie nicht schuld sind."

Mit der richtigen Diagnose kann auch eine gezielte Therapie beginnen. Die Therapiemethoden sind sehr vielseitig. "Die eine Asperger-Therapie für alle Kinder gibt es nicht," so Rittmann. "Die Therapie zielt darauf, dem Kind soziale Interaktionen begreiflich zu machen. Eltern können da viel tun, indem sie ihrem Kind immer wieder erklären, warum bestimmte Dinge so sind, wie sie sind." Im Autismus-Institut lernen die Kinder soziale Situationen unter anderem anhand durch Bildergeschichten und Merksätze. Asperger-Kinder merken z. B. oft nicht, wenn sie eine Unterhaltung stören. Da helfen Strichmännchen und Comicfiguren, deren Sprechblasen eng aneinanderstehen. Eine gezackte Sprechblase, die sich dazwischen drängt, zeigt deutlich: So besser nicht!

Die sozialen Beeinträchtigungen von Asperger-Kindern verdecken leider oft ihre Stärken und Begabungen. Viele haben ein phänomenales Gedächtnis, sie sind sehr ehrlich, haben häufig ganz besondere Begabungen und ein großes Wissen. Außerdem sind sie sehr zielstrebig und ausdauernd, wenn sie etwas wirklich erreichen wollen. Ihr Dilemma: Sie können gleichzeitig zu wenig und zu viel.

Eine Herausforderung für Eltern und Lehrer, aber auch für das Schulsystem, die Begabungen dieser Menschen zu fördern und zu nutzen.

Quelle: Quarks & Co.