Exzellenzserie - Teil 8: Biochemiker Oliver Bruns erforscht Nanopartikel, die Krankheiten sichtbar machen sollen

Hamburg. Den besten Durchblick hat Dr. Oliver Bruns am Heinrich-Pette-Institut (HPI) im Keller. Dort stehen mehrere Hightech-Geräte, die dem 30-jährigen Biochemiker völlig neue Perspektiven auf Organismen eröffnen, weil sie Abläufe in den Zellen quasi live abbilden - in einer Größenordnung von Millionstel Millimetern. "Was diese Mikroskope möglich machen, da bin ich jedes Mal baff", sagt Bruns, der sonst sehr sachlich redet.

Er kann beobachten, wie ein Nierenkörperchen Blut filtert oder wie Fettmoleküle in Leberzellen gelangen; er kann zuschauen, wie Antikörper an einen Tumor andocken, und bald wird er vielleicht sogar Viren auf ihrem Weg durch die Zellen verfolgen können. Möglich macht das zum Beispiel ein besonderes Fluoreszenzmikroskop, das mit einem Laserstrahl Gewebe dreidimensional abtastet und dabei pro Sekunde 30 Bilder erzeugt. Die Konturen der Zellen bilden leuchtende Teilchen, die Bruns zuvor in das Gewebe geschleust hat: Nanopartikel.

Die künstlichen Winzlinge stecken längst nicht mehr nur in Sonnencremes, wasserabweisenden Jacken oder kratzfesten Lacken, sie kommen zunehmend auch in der Medizin zum Einsatz. Denn konventionelle Methoden bringen die Medizin oft nicht mehr weiter. Zwar lokalisieren Ärzte heute selbst millimetergroße Tumore, doch was wäre, wenn sie mit solchen Spähtrupps in unserem Körper bereits Zellen erkennen könnten, die Tumore bilden? Oder Viren: Von Hunderten dieser Krankheitserreger ist heute die DNA bekannt, und doch wissen Forscher nur wenig darüber, welche Faktoren regeln, wie sich das Virus in infizierten Geweben verhält - sie können es dort schlecht beobachten.

"Nanopartikel könnten uns helfen, Krankheiten früher auf die Schliche zu kommen und sie besser zu behandeln", sagt Oliver Bruns. Welche Stoffe sich dafür am besten eignen, erforscht er am HPI im Rahmen des Projekts "Nanotechnology in Medicine", kurz "NAME", der Landesexzellenzinitiative. An den interdisziplinären Untersuchungen sind auch die Universität Hamburg, das Centrum für Angewandte Nanotechnologie sowie UKE, Desy und Bernhard-Nocht-Institut beteiligt.

Wie in der Industrie machen sich Forscher auch in der Medizin zu nutze, dass Stoffe im Nanoformat besondere physikalische Eigenschaften aufweisen. Während magnetisches Material in größerem Format seine magnetischen Momente unterschiedlich ausrichten kann, weisen die Momente von magnetischen Nanopartikeln alle in dieselbe Richtung. Eisenoxid-Nanopartikel nutzen Forscher deshalb als Kontrastmittel, um Tumore in der Leber sichtbar zu machen. Dazu spritzen sie die Partikel ins Blut. Dort werden sie von Fresszellen vertilgt, vor allem im gesunden Gewebe der Leber. Weil Tumore keine Fresszellen enthalten, erscheint das gesunde Gewebe - magnetisch verändert durch die Eisenoxidpartikel - bei einer Aufnahme im Magnetresonanztomografen dunkel, der Tumor hell.

Ein weiteres Phänomen, das bei bestimmten Nanopartikeln auftritt, ist Fluoreszenz. Oliver Bruns nimmt drei fingerlange Ampullen mit einer milchigen Lösung und hält sie unter eine UV-Lampe: Jetzt leuchtet die Lösung gelb, orange und rot. Es sind Milliarden sogenannter Quantum Dots, winzige Halbleiterkristalle, die von einer Lichtquelle angeregt in einzelnen Wellenlängen strahlen. Dieses Leuchten lässt sich unter einem Fluoreszenzmikroskop sehr scharf abbilden; außerdem leuchten Quantum Dots im Gegensatz zu normalen Farbstoffen bis zu 1000-mal heller. Forscher wollen sie im Körper wie Leuchttürme nutzen, um einzelne Moleküle, etwa Transportproteine, Antikörper oder Viren zu markieren.

Bruns führt im Keller einen Raum weiter, dort steht ein Raster-Elektronenmikroskop. "Es holt das Schauspiel in den Zellen noch näher heran - in 3-D." Er zeigt eine Aufnahme von überfettetem Lebergewebe und reicht uns eine 3-D-Brille. Aus unscheinbaren, grau-weißen Gebilden wird plötzlich eine bizarre Landschaft mit tiefen Schluchten und zerklüfteten Formationen, mittendrin: Nanopartikel.

Ohne besondere Maßnahmen würde die Immunabwehr Nanopartikel allerdings als Fremdkörper erkennen. Eisenoxid verträgt der Körper zwar problemlos, weil Eisen als natürliches Spurenelement im Blut zirkuliert. Doch wie könnte es gelingen, Eisenoxid- und andere magnetische Nanopartikel gezielt auch in andere Teile des Körper zu bringen als nur in die Leber? Was muss passieren, damit der Körper Quantum Dots wie körpereigene Stoffe behandelt und ebenfalls in bestimmte Zellen transportiert? Und wie verhalten sich die Partikel dort, richten sie Schaden an?

Oliver Bruns versieht Eisenoxid-Nanopartikel und Quantum Dots mit einer Art Tarnkappe: Er baut sie in Lipoproteine ein, Eiweißmoleküle, die Fette wie etwa Cholesterin im Blut transportieren. "Verpacken" - Partikel in einer Größe von Millionstel Millimetern? "Das ist gar nicht so schwer", sagt Bruns und lacht. Er gibt eine Lösung mit Lipoproteinen in ein Chloroformbad, wo sie sich auflösen, und mischt ein paar Tropfen einer Lösung mit Nanopartikeln bei. "Wenn das Chloroform verdampft, bilden sich die Lipoproteine wieder aus. Dabei schließen sie die kleineren Nanopartikel ein." Derart manipuliert, strömen die Partikel an Bord der Lipoproteine ungestört durch die Blutbahn.

Seine Studien führt Oliver Bruns in Kooperation mit dem UKE an Mäusen durch. "Anders geht es leider nicht", sagt er. "Wir müssen lebendes Gewebe untersuchen, denn gezüchtete Zellkulturen bilden viele Krankheiten nicht ab." Unter anderem konzentriert er sich auf ein Gewebe, in das Forscher besonders große Hoffnungen setzen: braunes Fett. Dessen Zellen speichern überflüssige Kalorien nicht, sondern verbrennen sie zu Energie. Lange glaubten Forscher, dass nur Neugeborene über braunes Fett verfügen, doch 2009 entdeckten sie es auch bei Erwachsenen - eine Sensation. Denn gelänge es, die Produktion brauner Fettzellen anzuregen, etwa durch ein Medikament, könnte dies Übergewichtigen helfen - und möglicherweise sogar die Therapie von Diabetes verbessern. Oliver Bruns gelang es erstmals, in braune Fettzellen Nanopartikel einzuschleusen. Jetzt beobachtet er mit verschiedenen Mikroskopen, wie sich die Partikel dort verhalten. "Es gibt in jeder Zelle einen Punkt, wo die wirklich wichtigen Dinge passieren, etwa eine Virusinfektion", sagt Bruns. "Genau diese Punkte zu finden, treibt mich an."

Quelle: Heinrich-Pette-Institut